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Kultur Erster Weltkrieg

Die deutschen Juden standen zwischen allen Fronten

Integriert oder ausgegrenzt? Jüdische Soldaten des deutschen Heeres am 6. April 1916 im kurländischen Mietau bei der Sedertafel Integriert oder ausgegrenzt? Jüdische Soldaten des deutschen Heeres am 6. April 1916 im kurländischen Mietau bei der Sedertafel
Integriert oder ausgegrenzt? Jüdische Soldaten des deutschen Heeres am 6. April 1916 im kurländischen Mietau bei der Sedertafel
Quelle: © Jüdisches Museum Berlin, Schenkung von Lore Emanuel, Foto: Jens Ziehe
Der Erste Weltkrieg, wie man ihn nicht kennt: Obwohl viele jüdische Soldaten genauso patriotisch gesinnt waren wie die nicht-jüdischen, wurde ihr Engagement ab 1916 mehr und mehr in Frage gestellt.

Als Ingenieur der Siemens-Schuckert-Werke war der Ingenieur Georg Meyer einiges gewohnt. Sein Vorgesetzter hatte ihn bekniet, sich im August 1914 vom Kriegsdienst zurückstellen zu lassen. Doch er meldete sich. Stieg rasch zum Hauptmann auf. Und dann kam Ende Oktober 1916, nach zwei Jahren auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges, der Schlag. „Ich bekomme einen Haufen Befehle, darunter einen, der mich arg erregt“, trägt Meyer am 29. Oktober in sein Tagebuch ein – kurze Zeit später wird er fallen.

„Der Kriegsminister hat, um dem Gerede zu begegnen, dass so viele sich drücken, eine genaue Statistik angeordnet, wie viele jüdische Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften an und hinter der Front stehen, wie viele in den Schreibstuben sind, wie viele gefallen sind und das E.K. 2 und 1 erhalten haben. Mir ist, als hätte ich eine furchtbare Ohrfeige erhalten.“

Und Vizefeldwebel Julius Marx fragt sich: „Will man uns zu Soldaten zweiten Ranges degradieren, uns vor der ganzen Armee lächerlich machen?“ Zur selben Zeit sinniert der Feldrabbiner Georg Salzberger: „Der Enthusiasmus der ersten Kriegsmonate füllte alle Herzen mit Gottvertrauen …, in Massen strömten die Soldaten zu den gemeinsamen Feldgottesdiensten und niemand fragte nach dem Glauben des anderen …, und dann kam der Schlag.“

Die „Judenzählung“ war ein Schlag

Dieser Schlag war die so genannte Judenzählung, eine von Ressentiments getriebene Erhebung des deutschen Kriegsministeriums Mitte Oktober 1916. Sie bildet das Herz der aktuellen Sonderausstellung des Jüdischen Museums in München. Denn die von Ulrike Heikaus sorgsam kuratierte und vom Berliner Ausstellungsteam Gesa von Grote und Stefan Iglhaut klug, weil nicht nur farblich (in gedeckten Tönen) zurückhaltend arrangierte Schau „Krieg! Juden zwischen den Fronten 1914–1918“ widmet sich einem eher unbekannten Thema der vielen Weltkriegs-Memorialausstellungen: dem Antisemitismus in der Armee, der Ausgrenzung und der eskalierenden Diskriminierung deutsch-jüdischer Soldaten.

Diese spezifische Perspektive zeigt den Krieg jenseits gewonnener Scharmützel und verlorener Schlachten. Der Erste Weltkrieg war auf deutscher Seite kein Konflikt, der eine übergreifende Einheit zwischen den Konfessionen stiftete. Im Gegenteil. Am Ende dieser Schau, in der letzten von sieben Sektionen ist klar: Der in vielerlei Hinsicht häufig mehr als latente Antisemitismus der spätwilhelminischen Ära führte im Krieg zu ausgelebten Vorurteilen, zu Demütigungs- und Hassexplosionen. Und nachträglich zum Versuch der Auslöschung ihres Muts und ihrer Taten.

Das machen die ersten sechs von knapp 180 Exponaten von Leihgebern aus Deutschland, der Schweiz und den USA überdeutlich. Vergeblich bemühte sich im August 1914 der Internist und Außerordentliche Professor an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität Max Rothmann, seinen 15-jährigen Sohn Hans dem preußischen Kadettenkorps beitreten zu lassen.

Aus „Edinburgh“ wird „Flaggengala“

Nach mehreren ausweichenden Antworten und immer hartnäckigerem brieflichem Nachhaken einschließlich Vorsprache bei Kaiser Wilhelm II. wurde sein Antrag endgültig abschlägig beschieden. Die unverhüllte Begründung im letzten Armeeschreiben: Rothmanns „mosaische Religion“. Der glühende Patriot und Hochschullehrer schied ein Jahr später, verbittert und auf das tiefste enttäuscht von seinem Vaterland, das ihn ob seiner Religion bestrafte, durch eigene Hand aus dem Leben. Sein Sohn Hans wurde dann später doch noch Soldat – einfacher Soldat.

Fotografien sind in München zu sehen, private Dokumente wie Feldpostbriefe und Tagebücher, die den Kriegsalltag der 96.000 eingezogenen deutschen jüdischen Soldaten zeigen, von denen 12.000 fielen. Aber auch dreidimensionale Objekte, von der Zigarettendose, deren Name „Edinburgh“ überklebt wurde mit „Flaggengala“, bis zur Versuchsapparatur zur Ammoniaksynthese, durchgeführt von Fritz Haber und Richard Willstätter, beide jüdischer Herkunft und an Entwicklung und Verbesserung von Giftgas beteiligt. Letzterer war Professor in München, der Chemie-Nobelpreisträger rettete sich 1939 in die Schweiz.

Auch das Leben jenseits der Fronten wird vorgeführt: ein Tora-Wimpel mit Eisernem Kreuz, Operationsmobiliar des Münchner Arztes Dr. Haas, der seine Klinik als Lazarett zur Verfügung stellte, Auszüge aus der vom Militär unterdrückten psychologischen Studie zur „Psychographie des Kriegers“ und Fotografien osteuropäischen Shtetl-Lebens, dem die jüdischen Soldaten nahezu als Feldforscher begegneten.

Von wegen „glücklich, gesund und wohlbehalten“!

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Jüdische Soldaten posierten in Uniform stolz, wie so viele andere, für ihre Familien. Das Interessante und das Ernüchternde von den hier gezeigten 20 Fotoporträts findet sich auf den Rückseiten. Nicht nur die Angabe des Geburtsjahres und des Heeresteiles. Sondern auch die Sterbeorte. Sie lauten: Los Angeles, New York, Newcastle, KZ Belzec, KZ Mauthausen, KZ Kaunas, Zwangsarbeiterlager Trawniki.

Bei Paul Lebrecht, 1882 in Nürnberg geboren, von dem Auszüge seines Kriegstagebuches zu sehen sind, ist es Nürnberg. In der Nacht des 9. auf den 10. November 1938 wurde er dort so schwer von SA-Schergen verprügelt, dass er, drei Jahre lang Frontsoldat, zwei Tage später seinen schweren Verletzungen erlag. Der letzte Eintrag seines Diariums vom 11. Dezember 1918 hatte gelautet: „Mein Optimismus hat mich zwar in politischer Beziehung, nicht aber in persönlicher Beziehung betrogen. Wie ich es bei Ausmarsch bestimmt voraussah, bin auch ich glücklich, gesund und wohlbehalten heimgekehrt.“

München, Jüdisches Museum. Der Katalog (Hentrich & Hentrich Verlag) kostet Euro 24,90. Bis 22. Februar 2015.

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