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Geschichte Erster Weltkrieg

Als Deutschlands Katholiken fast zerrissen wurden

Die katholische Kirche ist übernational – jedenfalls im Prinzip. Im mörderischen Völkerschlachten der Jahre 1914 bis 1918 war dieser Anspruch allerdings nicht durchzuhalten.
Leitender Redakteur Geschichte
Ein katholischer Feldgottesdienst 1916. Auf beiden Seiten der Front zelebrierten Priester die Heilige Messe nach demselben Ritus. Ein katholischer Feldgottesdienst 1916. Auf beiden Seiten der Front zelebrierten Priester die Heilige Messe nach demselben Ritus.
Ein katholischer Feldgottesdienst 1916. Auf beiden Seiten der Front zelebrierten Priester die Heilige Messe nach demselben Ritus.
Quelle: picture-alliance / akg-images

Das Hörensagen überraschte wenig: Die Pfaffen, natürlich! Schon in der zweiten August-Woche 1914, nach wenigen Tagen Krieg also, verbreitete sich die vermeintliche Gewissheit wie ein Lauffeuer in Deutschland, dass in Belgien Priester an der Spitze angeblich irregulär kämpfender Freischärler stünden.

In kürzester Zeit wusste ganz Deutschland von den Gerüchten, und in den protestantischen Landesteilen fühlten sich gerade besonders national eingestellte Bürger bestätigt: Katholiken sei eben einfach nicht zu trauen. Das meinte man seit Bismarcks Kulturkampf rund 40 Jahre vorher zu wissen.

Ein Katholik, das könne eben kein aufrechter Deutscher sein. Denn seine letzte Autorität sei eben nicht der Kaiser als Oberhaupt der preußisch-deutschen protestantischen Nationalkirche, sondern der Papst in Rom.

Ein Drittel Katholiken

Dabei war jeder dritte Untertan Wilhelms II. ein Katholik, im gesamten Reich ebenso wie in Preußen. Ganze Regionen waren rein katholisch geprägt, Nieder- und Oberbayern etwa, Westfalen und Oberschlesien. Sollte wirklich ein Drittel der Deutschen illoyal sein?

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Als besonders problematisch erwies sich der Konfessionskonflikt zu Beginn des Ersten Weltkriegs in gemischten Gebieten. In Hildesheim etwa stand der im Rat der Stadt per Akklamation beschlossene „Burgfriede“ vor dem Ende. Der nur mühsam kaschierte Graben zwischen Katholiken und Protestanten lebte in der Stadt wieder auf.

In der Garnisonsstadt gab es nicht nur einen evangelischen Stadtsuperintendenten, sondern auch ein fast elfhundert Jahre altes Bistum. Viele Protestanten reagierten ihre Wut über die angeblichen belgischen Kriegsverbrechen unter Beteiligung von Geistlichen an katholischen Einrichtungen in der Stadt ab.

Prophet des Friedens

Bischof Adolf Bertram musste mäßigend eingreifen. Er mahnte öffentlich, man solle die Taten Einzelner nicht verallgemeinern. Grundsätzlich infrage stellte aber auch der katholische Kirchenfürst die Berichte über angeblich mordende Priester in Belgien nicht.

„Was hat die Kirche mit den Krieg zu tun?“, fragt der Theologe Martin Lätzel in seiner neuen Überblicksdarstellung „Die katholische Kirche im Ersten Weltkrieg“. Gehört doch nach allgemeinem Verständnis die Gewaltlosigkeit zum Wesen einer Religion, die sich in ihren Grundfesten auf einen Propheten des Friedens beruft, eben Jesus Christus.

Doch natürlich haben Christen im Namen und im Auftrag verschiedener Kirche über mehr als anderthalb Jahrtausende hinweg immer wieder Kriege geführt. Unzählige Gräueltaten geschahen im Zeichen des Kreuzes. Nur wer das mitteleuropäisch-abendländische Christentum der Jahrzehnte seit 1945 absolut setzt, kann überrascht sein, dass Krieg und Kirche zusammenpassen.

Für Kaiser und Vaterland

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Lätzel, im Hauptberuf Ministerialbeamter in Schleswig-Holstein, macht sich auf zu einer „historisch-theologischen Lesereise“ durch die Jahre des Völkerschlachtens 1914 bis 1918. Er fasst den Stand der oft verstreuten Literatur zusammen und verknüpft die Erkenntnisse mit Zeugnissen führender Kirchenfürsten, katholischer Intellektueller und auch einfacher Gläubiger, nämlich Soldaten und ihrer Feldpost.

Nach Kriegsbeginn sahen sich viele Katholiken zu besonders lauten Bekenntnissen für Kaiser und Vaterland genötigt. Sie wollten den von der protestantischen Mehrheit oft offen zur Schau gestellten Zweifel an ihrer Verlässlichkeit entgegentreten.

Tatsächlich gab es keinerlei Hinweise, dass etwa die ganz überwiegend katholischen Soldaten der 6. Armee nicht engagiert gegen ihre ebenfalls katholischen Gegner in den französischen Schützengräben gekämpft hätten. Sie hatten im Gegenteil genauso verbissen den Feind zu töten versucht wie die meist protestantischen Soldaten der 4. Armee ihr Gegenüber, die anglikanischen, also nationalprotestantischen britischen Truppen.

Heilige Messe auf beiden Seiten

Besonders herausfordernd war der Dienst für katholische Feldgeistliche, denn die Botschaft des Evangeliums war kaum in Übereinstimmung zu bringen mit der Realität im Stellungskrieg: Auf beiden Seiten wurde die Heilige Messe nach ganz ähnlichem Ritus gefeiert – und in aller Regel auf Latein.

In Frankreich war wenige Jahre vor Kriegsbeginn die Trennung von Kirche und Staat gesetzlich besiegelt worden; trotzdem waren etwa in Verdun die Feldgottesdienste französischer Geistlicher voll. In Deutschland hatte die katholische Kirche den entgegengesetzten Weg beschritten: Nicht Trennung vom Staat, sondern möglichst weitgehende Integration war hier das Ziel, die Lehre aus dem Kulturkampf.

An der Front spielten derlei Überlegungen eine geringere Rolle. „Wer vor dem Kriege wahrhaft religiös war, der ist es im Kriege geblieben, wovon die Zahl der beim Feldgottesdienste Kommunizierenden Zeugnis ablegt“, zog ein Diakon aus dem Erzbistum Paderborn 1917 Bilanz.

Bilaterale Beziehung

Er fügte allerdings hinzu: „Bei vielen aber, die vor dem Kriege religiös lau waren und nur äußerlich ihre religiösen Übungen verrichteten, hat das Scheidewasser des Krieges den Rest zerstört.“ Es tröstete den Priester kaum, dass für Protestanten diese Feststellung in noch viel größerem Maße galt als für Katholiken.

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Ganz treffend hält Martin Lätzel fest, dass der Erste Weltkrieg aus der im Prinzip weltumspannenden, eben allgemeinen (griechisch: „katholikos“) Kirche eine bilaterale Beziehung gemacht habe: hier die deutschen Katholiken, dort der Papst. Dass Frankreich und vor allem Belgien ebenfalls katholisch geprägt waren, wurde ausgeblendet.

Da machte es dann auch nichts, dass nicht ein einziger belgischer Priester jemals des aktiven Kampfes gegen die deutschen Besatzungstruppen überführt wurde. Die Pfarrer, die angeblich massenhaft von Kirchtürmen aus hinterrücks auf reguläre kaiserliche Soldaten hatten schießen lassen, waren eine reine Fiktion. Ebenso wie der vermeintliche „Volkskrieg“ der Belgier insgesamt.

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