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Geschichte Erster Weltkrieg

Vor Verdun waren die Feldgottesdienste immer voll

Er wollte an die Front, so nah wie möglich. In seinen Tagebuchaufzeichnungen beschreibt der französische Militärpfarrer Jean-Emile Anizan den Kriegsalltag auf dem Schlachtfeld in Lothringen.
Schon 61 Jahre alt war Jean-Emile Anzian, als er 1914 freiwillig Militärseelsorger wurde. Sein Tagebuch ist jetzt veröffentlicht worden. Schon 61 Jahre alt war Jean-Emile Anzian, als er 1914 freiwillig Militärseelsorger wurde. Sein Tagebuch ist jetzt veröffentlicht worden.
Schon 61 Jahre alt war Jean-Emile Anzian, als er 1914 freiwillig Militärseelsorger wurde. Sein Tagebuch ist jetzt veröffentlicht worden.
Quelle: Wikipedia/Public Domain

Schon 61 Jahre alt war der Priester Jean-Emile Anizan, als der Erste Weltkrieg begann. „Gleich nach der Kriegserklärung entschloss ich mich, Militärpfarrer zu werden, aber nicht in einem Krankenhaus, sondern so nah wie möglich an den Verletzten und damit auch an den Kämpfen“: Mit diesen Sätzen beginnt sein Tagebuch. Die französische Militärseelsorge veröffentlichte es jetzt anlässlich des 100. Jahrestags des Kriegsausbruchs.

Für die katholische Kirche in Frankreich war der Erste Weltkrieg trotz und wegen all seiner Grausamkeit eine Chance. Erst wenige Jahre vorher hatten Kirche und Staat ihre Scheidung vollzogen: Im 19. Jahrhundert hatte sich in Frankreich ein heftiger Antiklerikalismus entwickelt, der 1905 in der strikten Trennung der weltlichen und der geistlichen Sphäre gipfelte. Die Kirchen verloren all ihre Kirchengebäude: Kathedralen fielen an den Staat, Pfarrkirchen an die Kommunen.

Die jungen Franzosen, die 1914 an die Front geschickt wurden, hatten für Religion meist wenig Verständnis. Doch in der Hölle des Stellungskrieges, angesichts der vielen Toten und in Angst um das eigene Leben, wurde so mancher empfänglich für die Worte eines Pfarrers wie Jean-Emile Anizan.

Strikte Trennung von Kirche und Staat

„Sonntag, 6. September. Heftige Kämpfe bei Verdun. Zwei Messen, halb sieben und elf. Die Kirche ist voll. Am Ende der Messe höre ich die Beichte. (...) Ein Offizier bittet mich, zu seiner Stellung zu kommen, seine Soldaten hätten das Bedürfnis, mit mir zu sprechen“, notierte der Militärgeistliche.

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Die Existenz der etwa 900 französischen Militärseelsorger während des Ersten Weltkriegs ist angesichts der strengen Trennung von Kirche und Staat eigentlich ein Paradox. Aber in Zeiten äußerer Bedrohung verloren die inneren Konflikte an Bedeutung: In Frankreich galt im „Großen Krieg“ die „Union Sacrée“, ein Burgfrieden zwischen allen Parteien, aber auch zwischen Staat und Kirche.

Anizan war sich dessen bewusst. „Ich habe keinen größeren Wunsch, als dass Frankreich wieder seiner Mission als älteste Tochter der Kirche gerecht wird“, schrieb er in sein Tagebuch. Seine Aufzeichnungen geben nebenbei auch ungewöhnliche Einblicke in den Kriegsalltag auf dem Schlachtfeld von Verdun, das zum Sinnbild der absurden, ergebnislosen Materialschlacht wurde.

Kanonendonner um Mitternacht

„Ich werde um Mitternacht vom Kanonendonner wach. Es ist eine wunderbare Nacht. Man sieht das Feuer der deutschen Kanonen und man hört das Pfeifen der Munition, die ganz in der Nähe einschlägt. Zum Glück vergeht die Nacht, ohne dass bei uns einer getroffen wird“, notierte der Militärpfarrer.

Was bewog den 61-Jährigen, sich freiwillig an die vorderste Front zu begeben? Es dürfte eine Mischung aus religiösen und persönlichen Motiven gewesen sein. Anizan, geboren am 6. Januar 1853 in Artenay bei Orleans, hatte schon als junger Priester das Bedürfnis gehabt, sich den Ärmsten der Armen zu widmen. Deswegen war er in eine Bruderschaft eingetreten, die im Pariser Arbeiterviertel Charonne aktiv war.

Kurz vor Kriegsbeginn durchlebte Anizan, der mittlerweile die Leitung der Bruderschaft übernommen hatte, eine schlimme persönliche Krise: Nach einem internen Streit zwischen Modernisierern, zu denen er selber zählte, und Traditionalisten hatte Papst Pius X. ihn seines Amtes enthoben. Anizan zog sich zunächst in ein Kloster zurück. Dann aber entschied er, dass sein Platz an der Seite der Frontsoldaten sei: Er brach als Freiwilliger auf eigene Faust nach Verdun auf.

Bis 1916 blieb Anizan der Priester vor Verdun. Mit einer schweren Lungenentzündung kehrte er nach Paris zurück, wo er nach seiner Genesung eine neue Ordensgemeinschaft gründete: Die Söhne der christlichen Liebe, die sich heute in einem Dutzend Ländern um Benachteiligte kümmern. Hochgeehrt starb er am 1. Mai 1928 in Paris.

epd / DW

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