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Geschichte Reichskonkordat

Warum die Kirche mit den Nazis einen Pakt schloss

Vor 80 Jahren schlossen die katholische Kirche und Hitler-Deutschland den ersten völkerrechtlichen Vertrag des Dritten Reiches. Der Zeithistoriker Thomas Brechenmacher erklärt, wie es dazu kam.
Leitender Redakteur Geschichte
Mit versteinerten Mienen lassen sich der Vizekanzler Hitlers, Franz von Papen (2. v.l.) und Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli (3.v.r.) nach der Unterzeichnung des Reichskonkordats am 20. Juli 19033 fotografieren Mit versteinerten Mienen lassen sich der Vizekanzler Hitlers, Franz von Papen (2. v.l.) und Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli (3.v.r.) nach der Unterzeichnung des Reichskonkordats am 20. Juli 19033 fotografieren
Mit versteinerten Mienen lassen sich der Vizekanzler Hitlers, Franz von Papen (2. v. l.) und Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli (3. v. r.) nach der Unterzeichnung des Reichskon...kordats am 20. Juli 1933 fotografieren.
Quelle: picture-alliance / akg-images

Es war der erste außenpolitische Erfolg der Regierung Hitler: Am 20. Juli 1933 unterzeichneten Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli, ab 1939 Papst Pius XII., und Vizekanzler Franz von Papen in Rom das Reichskonkordat zwischen dem Vatikan und Deutschland. Es beendete formal die jahrzehntelangen Auseinandersetzungen des preußisch-protestantisch geprägten deutschen Nationalstaates und der übernationalen katholischen Kirche. Gut zwei Wochen vor der Unterschrift unter das Konkordat hatte sich die Deutsche Zentrumspartei, seit 1870 die entscheidende Kraft des politischen Katholizismus, selbst aufgelöst. Seit vielen Jahren schon forscht der Historiker Thomas Brechenmacher über die Umstände dieses Reichskonkordats. Der Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam hat persönlich die Unterlagen im berühmt-berüchtigten „Geheimarchiv“ des Vatikan gesehen und ausgewertet.

Die Welt: Was war das Reichskonkordat nun wirklich – Hitlers Dank für die Zustimmung der Zentrumspartei zum Ermächtigungsgesetz vier Monate zuvor? Oder der Versuch, der katholischen Kirche in Deutschland eine formalrechtliche Grundlage für die Abwehr des nationalsozialistischen Totalitätsanspruchs zu geben?

Thomas Brechenmacher: Eindeutig Letzteres. Um mit Konrad Repgen zu sprechen: Das Reichskonkordat war die „vertragsrechtliche Form der Nichtanpassung der Katholischen Kirche an das Dritte Reich“. Dagegen hat die Zustimmung der Zentrumspartei zum Ermächtigungsgesetz mit dem Reichskonkordat nichts zu tun. Schon gar nicht war das Reichskonkordat ein „Geschenk Hitlers“, sondern ein von beiden Seiten äußerst hart verhandelter völkerrechtlicher Vertrag.

Die Welt: Entscheidend an der Ausarbeitung des Reichskonkordats beteiligt war Franz von Papen, ein reaktionärer ehemaliger Politiker der Zentrumspartei. Auch Staatssekretär Eugenio Pacelli war ein hoch konservativer, antikommunistisch eingestellter Kirchenfürst. Wie haben sich diese beiden eigentlich verstanden?

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Brechenmacher: Nicht sehr gut. Papen war im Vatikan nicht besonders angesehen, weil man über seine eitle, selbstsüchtige Persönlichkeit Bescheid wusste; aus katholischer Sicht galt er als unzuverlässig. Mit dem Zentrum hatte er gebrochen, außerdem stieß man sich im Vatikan an der Nachricht, der Katholik von Papen habe bei der Taufe der Großnichte des protestantischen Reichspräsidenten als Pate fungiert. Pacelli war Papen gegenüber höchst misstrauisch. Aber von Papen kam im April 1933 eben als Vizekanzler nach Rom und war insofern ein Gesprächspartner, den man akzeptieren musste.

Die Welt: Was war das Interesse Hitlers am Reichskonkordat?

Brechenmacher: Hitler versprach sich ganz klar Prestige, Anerkennung, einen ersten großen Erfolg, den er in die Welt hinausposaunen konnte.

Die Welt: Und was wollte Pacelli, selbst ehemaliger Nuntius in München und Berlin, erreichen?

Brechenmacher: Pacelli dachte an die Situation der Kirche und der Katholiken in Deutschland. Mit den Länderkonkordaten aus der Zeit der Weimarer Republik war der Heilige Stuhl gut gefahren. Aber man ahnte nun auch: Diese Zeit wird mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten vorbei sein. Das neue zentralistische, totalitäre System würde sich um die Konkordate mit Bayern, Preußen und Baden keinen Deut mehr kümmern. Vielmehr war mit einem massiven kirchenfeindlichen Kurs der Nationalsozialisten zu rechnen. Um dem wenigstens als Rechtsbasis etwas entgegenzusetzen, gingen Pacelli und Pius XI. auf die Verhandlungsofferte ein. Beide handelten im Interesse der Kirche, nahmen dafür aber eben den Propagandaerfolg Hitlers in Kauf.

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Die Welt: Sie sagen, die wesentlichen Akten des Vatikan zum Reichskonkordat seien bereits seit 1972 publiziert. Warum gibt es dennoch so harte Auseinandersetzungen über die Bewertung dieses Abkommens?

Brechenmacher: Die Auseinandersetzungen sind völlig unabhängig von der Quellen- und Faktenlage. Die in regelmäßigen Abständen wiederkehrenden Fantasien über einen „Pakt“ der Kirche mit Hitler haben unterschiedliche Motivationen. Manchmal steckt einfach Profilierungssucht dahinter, manchmal auch die schlichte Weigerung, die Quellen zur Kenntnis zu nehmen. Daneben gibt es natürlich kritische Fragen, die zweifellos ernster zu nehmen sind: Ist die Kirche in ihrer Politik der Selbstabsicherung gegenüber Hitler nicht zu blauäugig gewesen? Hat sie sich zu sehr auf die eigenen Belange konzentriert, ohne die bereits sichtbare Entrechtung anderer Gruppen, etwa der Juden, in ihrer Dramatik wahrzunehmen?

Die Welt: Die seit wenigen Jahren im Vatikanarchiv zugänglichen Handakten von Eugenio Pacelli setzen erst mit Oktober 1933 ein – also mehr als zwei Monate nach dem Konkordat. Ist da gesäubert worden? Und falls ja – warum?

Brechenmacher: Pacelli selbst hat erst im Oktober 1933 begonnen, sich eine Auswahl von Akten als Handmaterial zusammenzustellen; für die Zeit davor hielt er dies offensichtlich nicht für notwendig. Im Übrigen sind Säuberungen wie in jeder Behörde nicht vollständig auszuschließen. Keine Säuberung kann jemals so gründlich sein, dass alle Spuren eines Vorgangs verwischt werden – außer es werden alle Akten zu einem Vorgang vernichtet. Dies ist aber beim Reichskonkordat nicht der Fall, im Gegenteil: Im Archiv des Staatssekretariats liegen Akten zum Reichskonkordat in zehn umfangreichen Bündeln vor. Zusammen mit den Parallelüberlieferungen in anderen Archiven führt dies zu einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit, dass den Historikern hier nichts von Bedeutung durch die Lappen gegangen ist.

Die Welt: Der bekannteste Anhänger Hitlers in der katholischen Hierarchie war Alois Hudal, der Rektor des deutschen Priesterkollegs Santa Maria dell’Anima in Rom. War er tatsächlich der Nazi im Vatikan?

Brechenmacher: Zunächst war Hudal kein Angehöriger der Kurie, sondern eben „nur“ Rektor der Anima. Er war eine schillernde Gestalt im Leben Roms jener Zeit, aber kein Repräsentant des Vatikans. Auch dem Nationalsozialismus stand er keineswegs mit ungeteilter Begeisterung gegenüber. Einerseits war er es, der mit einem Memorandum den Prozess des Heiligen Offiziums gegen die materialistische Ideologie des Nationalsozialismus in Gang setzte, andererseits versuchte er in seinem Buch „Grundlagen des Nationalsozialismus“ einen „schlechten“ von einem „guten“ Nationalsozialismus zu trennen. Nur mit letzterem sei eine Koalition möglich. Im Vatikan erkannte man sofort, wie illusorisch diese Idee war, und kaum war Hudals Buch erschienen, distanzierten sich Pius XI. und Pacelli auch schon offiziell.

Die Welt: Wann werden endlich alle Akten des Vatikans zur nationalsozialistischen Zeit geöffnet?

Brechenmacher: Bis zum Pontifikatswechsel im März 1939 sind die Akten ja geöffnet. Nun fehlen noch die Jahre des Weltkriegs. Allerdings liegen auch schon elf Bände der Auswahledition „Actes et documents du Saint Siège relatifs à la Seconde Guerre Mondiale“ („Akten und Dokumente des Heiligen Stuhls in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg“) vor. Seit Jahren hört man Gerüchte und Spekulationen, wann und in welchem Umfang die Öffnung für das Pontifikat Pius’ XII. erfolgen wird; mal heißt es 2014, dann wieder 2015, schließlich, man könne überhaupt nichts dazu sagen. Die Entscheidung liegt allein beim Papst. Was die Inhalte betrifft, vermute ich, dass die Situation so sein wird wie im Fall der Öffnung der Dokumente für das Pontifikat Pius XI., 2003 und 2006: Wir werden eine Vielzahl interessanter Details vorfinden, die uns lange Jahre beschäftigen werden und am Ende diese ganze Geschichte in viel schärferem Licht erscheinen lassen. Die Enthüllung großartiger Geheimnisse erwarte ich nicht.

Stets in einer schwierigen Lage war Cesare Orsenigo, in der NS-Zeit Nuntius des Vatikan in Berlin und Doyen der in Deutschland akkreditierten Diplomaten. Hier mit Hitler beim Neujahrsempfang 1935
Stets in einer schwierigen Lage war Cesare Orsenigo, in der NS-Zeit Nuntius des Vatikan in Berlin und Doyen der in Deutschland akkreditierten Diplomaten. Hier mit Hitler beim Neuja...hrsempfang 1935.
Quelle: picture-alliance / akg-images

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