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Zweiter Weltkrieg Aktenfund

Die deutsche Tötungs-Theologie an der Ostfront

Zu den Triebkräften des deutschen Vernichtungskrieges in Osteuropa zählten auch die Kirchen und ihre Botschaft. Der „Tätigkeitsbericht“ eines Divisions-Pfarrers beschreibt die theologische Umdeutung.
Freier Autor Geschichte
„Die Beteiligung an den Gottesdiensten kann als vorzüglich bezeichnet werden“, schrieb der Divisions-Pfarrer. Das Foto zeigt einen Feldgottesdienst an der Ostfront „Die Beteiligung an den Gottesdiensten kann als vorzüglich bezeichnet werden“, schrieb der Divisions-Pfarrer. Das Foto zeigt einen Feldgottesdienst an der Ostfront
„Die Beteiligung an den Gottesdiensten kann als vorzüglich bezeichnet werden“, schrieb der Divisions-Pfarrer. Das Foto zeigt einen Feldgottesdienst an der Ostfront
Quelle: picture alliance / akg-images

Die Frage, was deutsche Soldaten an der Ostfront des Zweiten Weltkrieges zu grausamen Mördern machte, beschäftigt seit der Ausstrahlung des TV-Dreiteilers "Unsere Mütter, unsere Väter" wieder einmal die Nachgeborenen: Was brachte Menschen, die in bürgerlichen Ordnungsvorstellungen und ordentlichen Bildungsverhältnissen aufgewachsen waren, dazu, Massaker an Zivilisten zu begehen, ihre gefangenen Feinde verhungern zu lassen und sich am systematischen Völkermord zu beteiligen? Kurz: einen Vernichtungskrieg zu führen?

Die Antworten füllen ganze Bibliotheken. Sie argumentieren mit ideologischer Indoktrinierung, tradiertem Antisemitismus, Antikommunismus oder rassistischer oder kultureller Arroganz. Und, nicht zuletzt, der Theologie. Denn die meisten von denen, die Hitlers Befehl folgten und den Weltkrieg in den Osten trugen, waren deutlich strenger christlich erzogen worden, als wir uns dies heutzutage vorstellen können.

Dennoch errichtete der Glauben an Jesu Botschaft keine Schranken gegenüber Enthemmung und Unmenschlichkeit, sondern beförderte das Abstreifen zivilisatorischer Zügel nur noch. Der Krieg gegen die Sowjetunion wurde geradezu als Kreuzzug des christlichen Abendlandes gegen Bolschewismus und Judentum geführt, und das, obwohl das NS-Regime in seinem Kern einer antichristlichen Ideologie folgte.

Der Gegenentwurf Dietrich Bonhoeffers

Erinnerlich daran ist heutzutage vor allem das Gegenbild. Dietrich Bonhoeffer, Symbolgestalt der bekennenden Kirche, ist in christlichen Gemeinden unserer Tage geradezu omnipräsent: "Die Kirche bekennt, ihre Verkündigung von dem einen Gott … nicht offen und deutlich genug ausgerichtet zu haben ... Sie war stumm, wo sie hätte schreien müssen, weil das Blut der Unschuldigen zum Himmel schrie." Mit solchen Sätzen formulierte der evangelische Theologe, der am 9. April 1945 auf ausdrücklichen Befehl Hitlers im KZ Flossenbürg hingerichtet wurde, den Gegenentwurf zur herrschenden kirchlichen Lehre im Dritten Reich.

Wie die christliche Botschaft im Vernichtungskrieg zu einem ideologischen Rüstzeug umgebogen werden konnte, zeigt der Tätigkeitsbericht eines Divisionspfarrers, der sich im Militärarchiv des Bundesarchivs in Freiburg erhalten hat. Es handelt sich um den evangelischen Theologen, der zusammen mit einem katholischen Kollegen in der 7. Infanterie-Division der Wehrmacht Dienst tat. Die Einheit, aufgestellt in den Zwanzigerjahren in München, gehörte zu den Elite-Verbänden der Wehrmacht. Sie war die Traditionsträgerin unter anderem des Freiwilligen-Regiments "List", in dem Hitler im Ersten Weltkrieg Meldegänger gewesen war.

Vom 22. Juni 1941 an bis zum Ende war die 7. Infanterie-Division im Osten eingesetzt. Ihre Akten geben Grund zu der Annahme, dass sich die Truppe lange einer militärischen Ehre verpflichtet fühlte. Selbst der berüchtigte Reichenau-Befehl vom Herbst 1941, in dem die deutschen Soldaten zu Trägern einer unerbittlichen völkischen Idee und zu Rächern für alle angetanen Bestialitäten an der arischen Rasse erklärt wurden, wurde ihr nur deutlich verspätet und reduziert bekannt gemacht. Von Ausschreitungen gegenüber Zivilisten, wie sie aus Nachbar-Einheiten gemeldet wurden, finden sich in der Hinterlassenschaft dieser Elite-Einheit lange kaum Spuren.

Wichtigkeit eines starken Herzens

Für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. September 1943 hat ein Kriegspfarrer mit Namen Grieninger einen "Tätigkeitsbericht" verfasst. Darin resümiert er auf zwei eng beschriebenen Seiten seine "seelsorgerliche Betreuung der Truppe": "Die Beteiligung an den Gottesdiensten kann als vorzüglich bezeichnet werden. Der Mann vorne (an der Hauptkampflinie; d. Red.) weiß um die Wichtigkeit eines starken Herzens und die Glaubenskraft in guten wie in bösen Tagen."

Anders als in Divisionen mit höheren Ordnungszahlen, die später aufgestellt und oft schlechter ausgerüstet und ausgebildet worden waren, war sich diese bayerische Traditionstruppe "ihres Väterglaubens" gewiss. Ihm hielten sie nach Aussage ihres Pfarrers, der mit seinem Kollegen in der Regel überkonfessionelle Gottesdienste feierte, "unverrückt die Treue". Die vorgesetzten Dienststellen akzeptierten das und beließen der Truppe – was ungewöhnlich genug war – beide Seelsorger.

In einem gedrängten Absatz formulierte der Pfarrer die theologischen Grundsätze, die die Kameraden "unendlich dankbar" aufnahmen: "Die Gotteskräfte braucht der Soldat, um leiblich und seelisch die Belastungen zu bestehen. Er ringt mit den Lebensfragen". Es gelte daher, ihm zu zeigen, "dass uns unser Leben aufgegeben ist zur Bewährung hier auf Erden in dem besonders uns zubestimmten Vaterland wider Verbitterung, Ungeduld und Ichsucht."

"Unsere Religion ist die Ehre der Nation"

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Gott stellte uns nicht in die Welt, um glücklich zu sein, predigte der Pfarrer den Soldaten, sondern das Leben "höher zu bringen über unser Ich hinaus … Nicht ein blindes Schicksal walte herzlos mit uns, sondern des Vaters heilige Liebe. Dieser göttlichen Führung zu vertrauen, will unser Dienst aufrufen trotz der Furchtbarkeit des Krieges und der Schreckensnachrichten von zu Hause."

Das waren Worte, die als Seelsorge zu vielen Zeiten gehört wurden und werden. Dass der Divisions-Pfarrer sogar in diesem offiziellen Bericht, der auch andere Dienststellen erreichte, auf pompöse nationalsozialistische Rhetorik verzichtete, ehrt ihn. Dennoch war es von dieser Theologie nur noch ein kurzer Schritt, um die "göttliche Führung" durch die höchst menschliche des "Führers" auszutauschen. Wie hatte doch der Berliner Obmann der Deutschen Christen, Reinhold Krause, beizeiten formuliert: "Unsere Religion ist die Ehre der Nation im Sinne eines kämpfenden, heldischen Christentums."

Auch die Angehörigen der 7. Infanterie-Division mussten im Frühling 1943 erfahren, was es hieß, ihr Leben "hin zur höheren Erfüllung unseres menschlichen Seins" zu bringen. Sie wurden im "Bandenkrieg" in der Ukraine eingesetzt, wo, wie die Akten vermerken, Hunderte von Partisanen getötet wurden. Zahlreiche Unbeteiligte wurden evakuiert, ihre Dörfer verbrannt.

Bonhoeffer erkannte, dass die Kirchen des Dritten Reiches zwar "Gnadenströme ohne Ende" spendeten, aber der "Ruf in die strenge Nachfolge Christi ... seltener gehört" wurde. Den wenigsten unserer Mütter und Väter war das gegeben.

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