Ob es jemand auf die Universität schafft, hängt in Deutschland stark vom Elternhaus ab. Der sogenannte Bildungstrichter ist ein Symbol für diese Chancenungleichheit. Nun legt das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung neue Zahlen vor. Nancy Kracke ist dort für die Studie verantwortlich.

ZEIT ONLINE: Frau Kracke, wie groß ist die soziale Schieflage beim Zugang zum Studium?

Nancy Kracke: Sie ist weiterhin ziemlich groß. Das zeigt der Bildungstrichter eindrücklich: Von hundert Kindern aus einer Akademikerfamilie schaffen es 78 auf eine Hochschule, von 100 Kindern von Nichtakademikern nur 25. Von den Schülern und Schülerinnen, deren Eltern überhaupt keinen beruflichen Abschluss haben, schaffen es sogar nur 8 Prozent an eine Hochschule.

ZEIT ONLINE: Hat sich daran über die Jahre etwas verändert?

Kracke: Erstaunlich wenig. Seit circa 20 Jahren sind die Zahlen im Großen und Ganzen stabil.

ZEIT ONLINE: Andererseits ist die Zahl der Studierenden ohne Akademikereltern hoch. Das zeigten Ihre Zahlen auch.

Kracke: Richtig, 45 Prozent der Studienanfänger und Studienanfängerinnen kommen aus nicht akademischen Familien.

ZEIT ONLINE: Gibt es also doch einen Bildungsaufstieg?

Kracke: Den gibt es schon. Aber gleichzeitig haben Schulabgänger ohne akademischen Hintergrund in der Familie eben weiterhin einen Nachteil.

ZEIT ONLINE: Wo zeigt der sich?

Kracke: Der erste große Einschnitt ist der Übergang nach der Grundschule. Von 100 Akademikerkindern besuchen danach 80 eine Schulform, die zu Abitur oder Fachabitur führt. Von den Nichtakademikerkindern sind es nur 46.

ZEIT ONLINE: Damit ist quasi mehr als die Hälfte schon einmal weg.

Kracke: Nicht ganz, zumindest ist unser Bildungssystem heute viel durchlässiger als früher. Auch nach der Realschule kann man noch wechseln und das Abitur machen. Doch diese Gelegenheit nutzen auch Kinder aus besser gebildeten Familien, wodurch sich das Verhältnis kaum ausgleicht. Tatsächlich werden die wichtigsten Weichen schon sehr früh gestellt.

ZEIT ONLINE: Zu früh?

Kracke: Aus der Forschung lässt sich ableiten, dass eine längere Grundschulzeit für die Chancengleichheit Vorteile hätte. Da hätten die Kinder aus weniger privilegierten Familien mehr Zeit, ihr Potenzial zu entfalten.

ZEIT ONLINE: Wäre damit denn viel gewonnen? Auch mit Abitur bleiben die sozialen Unterschiede beim Hochschulzugang ja erhalten.

Kracke: Das stimmt. Während von den Akademikerkindern so gut wie alle ein Studium aufnehmen, tut das von den Abiturienten ohne akademischen Hintergrund nur ungefähr die Hälfte.

ZEIT ONLINE: Woher kommt die Scheu vor der Uni?

Kracke: Wenn niemand in der Familie studiert hat, ist schon die große Auswahl an Fächern und Hochschultypen eine Hürde. Auch die Bewerbung für einen Studienplatz ist nicht immer einfach. In einem unserer Befragungen hat jemand die Uniwelt einmal als Blackbox bezeichnet.