Junge Menschen in Europa machen sich zunehmend Sorgen um den Zustand der Demokratie in ihrem Land. Zu diesem Schluss kommt die Studie Junges Europa 2024 der Tui Stiftung. Demnach wissen die 16- bis 26-Jährigen zwar um den Wert von Demokratie und haben deren Prinzipien verinnerlicht. Gleichzeitig hätten die jungen Europäerinnen und Europäer immer weniger das Gefühl, dass ihre Interessen in den Institutionen vertreten werden.

75 Prozent der Befragten sehen Wählen demnach als Bürgerpflicht an und als wichtiges Mittel, politischen Einfluss auszuüben. 39 Prozent gaben an, mit der bestehenden Demokratie in ihrem Land nicht zufrieden zu sein. 

Für die repräsentative Studie befragte die Tui Stiftung 5.874 Menschen im Alter von 16 bis 26 Jahren in sechs europäischen Ländern. Seit 2017 versucht die Stiftung mit der Studie jedes Jahr, die Lebenswelt, Identität und politischen Einstellungen junger Europäer zu erfassen.

Mangelnde Repräsentation in den Parlamenten

Die Unzufriedenheit begründen die Autorinnen der Studie unter anderem mit einem mangelnden Repräsentationsgefühl junger Menschen innerhalb demokratischer Institutionen. So gaben im Durchschnitt nur 17 Prozent an, sich in ihrem nationalen als auch im Europäischen Parlament "stark" vertreten zu fühlen. Mehr als jeder Zweite stimmte der generellen Aussage überwiegend zu, Politiker würden sich nur wenig um die Belange junger Menschen kümmern. 

Am wenigsten fühlten sich die Befragten aus Italien und Griechenland in ihren Parlamenten vertreten. Allgemein ist das Vertrauen in die nationale Politik auf sehr niedrigem Niveau – nur jeder Zehnte gab an, politischen Parteien Vertrauen entgegenzubringen.    

Vier von zehn sehen Demokratie "in Gefahr"

Doch trotz dieser als mangelhaft empfunden Repräsentation bleibt die Demokratie das favorisierte, politische System. So gab jeder Zweite an, dass die Demokratie große Stärken habe – vor allem Deutschland verzeichnet mit 48 Prozent hierbei die höchste Zustimmung, Griechenland hingegen die geringste.

Den Erkenntnissen zufolge sind sich viele junge Menschen jedoch des Drucks bewusst, unter den die europäischen Demokratien zunehmend geraten. Zwei von zehn Befragten stimmten der Aussage zu, die Demokratie in ihrem Land in Gefahr zu sehen, ein weiteres Viertel gab "teilweise" an. Besonders in Deutschland und Griechenland gab es bei diesem Thema hohe Zustimmungswerte. Mehr als die Hälfte aller Befragten beobachtete zudem bereits "demokratiefeindliches Verhalten". Insbesondere zwischen den politischen Lagern von rechts und links nehmen mehr als 70 Prozent eine starke Polarisierung war.

Weiter hohe Zustimmung zur EU – außer in Polen

Ungebrochen bleibt eine stabile, zustimmende Haltung zur Europäischen Union. Die Mitgliedschaft ihres Landes in der EU hält mehr als jeder Zweite für "eine gute Sache". Vor allem in Italien, Spanien und Griechenland identifizieren sich zwei Drittel der jungen Menschen mit Europa, lediglich in Polen identifiziert sich eine Mehrheit mit seit zwei Jahren steigender Tendenz als ausschließlich polnisch (55 Prozent). 

Die Verbindungen zwischen den EU-Ländern sollten sogar gestärkt werden, gaben 39 Prozent der Befragten an. Ausschlaggebend dafür dürften Entscheidungen wie die Reisefreiheit (49 Prozent) und Freizügigkeit für Studium und Arbeit (42 Prozent) sowie der Euro als gemeinsame Währung sein (38 Prozent), die als wichtigste Errungenschaften angesehen werden.     

Migration verdrängt Klima- und Umweltschutz als wichtigstes Thema

Beim drängendsten Problem auf europäischer Ebene ergab die Studie eine neue Erkenntnis: Das ist für die Befragten derzeit das Thema Migration. Es verdrängte das wichtigste Thema der vergangenen Jahre, Umweltschutz und Klimawandel, mit großem Abstand auf den zweiten Platz.  

Eine Erkenntnis der vergangenen Jahre bestätigte sich bei der diesjährigen Befragung jedoch erneut: Rund ein Drittel (34 Prozent) der jungen Europäer blickt pessimistisch in die Zukunft. Hier zeigt sich laut den Autorinnen und Autoren der Studie, dass die Vielzahl globaler und nationaler Krisen junge Menschen weiterhin stark belastet und unter Druck setzt.    

"Sie denken nicht in Lagern, sondern eher pragmatisch"

Grundsätzlich ergebe die politische Orientierung junger Europäer laut den Erkenntnissen der Studie aber ein differenziertes Bild. "Es gibt ein stabiles Wertefundament, jungen Europäerinnen und Europäern ist es nicht egal, in welchem System sie leben – ob in einer Demokratie oder Autokratie", sagte Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin, der die Studie wissenschaftlich begleitete. 

"Sie denken nicht in Lagern, sondern eher pragmatisch, nüchtern und kritisch. Die eher flexible politisch Einstellung macht es den Parteien schwierig, klare Angebote zu bieten", sagte der Forscher.