Ach, die nervigen Nachbarn! Üblicherweise zofft man sich um Heckenhöhe, Laubbläserlärm oder Qualm vom Grill. Nicht so in Kensington: In dem Londoner Nobelquartier geht Nachbarschaftsstreit in anderen Dimensionen ab. Etwa in der Melbury Road. Das Haus mit der Nummer 31 ist eine XXL-Villa von 1875 mit 46 Zimmern, sieben Bädern und drei Küchen, aber dem Besitzer immer noch zu klein, weshalb sie dringend erweitert werden musste – um Zehn-Meter-Pool und Fitness-Studio, unterirdisch. So hatte es Popstar Robbie Williams für sein geschätzt 20 Millionen Euro teures Anwesen „Woodland House“ geplant.
Sehr zum Verdruss seines Nachbarn in Nummer 29: Jimmy Page, Led-Zeppelin-Gitarrist. Der Baulärm störe ihn, die Erschütterungen von Bagger und Bohrhämmern gefährdeten sein denkmalgeschütztes „Tower House“, klagte Page vor Gericht und gab zu Protokoll, er spiele zu Hause nur akustische Gitarre – ganz leise, mit Rücksicht auf die empfindlichen Buntglas-Fenster seines Anwesens. Williams setzte seine Umbaupläne durch, soll ihn mit extra lauter Musik beschallt haben und witzelte bei Konzerten über den Nachbarschaftsstreit.
Derlei Scharmützel spielen in Großbritanniens bester Wohnlage, die sechsmal so teuer ist wie der Rest des Königreichs. Und sie kommen natürlich vor bei der Tour von David Tucker, einem Architekturspezialisten mit Humor und hellem Hut, der Besucher regelmäßig durch Londons Nobelstadtteil führt – „Kensington, The Royal Village“ ist ein unterhaltsamer Stadtrundgang, gespickt mit Geschichte und Geschichten. Die Tour wird angeboten von London Walks, vom Magazin „Time Out“ als „beste geführte Rundgänge“ ausgezeichnet.
Von der Melbury Road sind es nur ein paar Schritte zur „Billionaire’s Row“. Der Volksmund übertreibt nicht mit diesem Spitznamen für die Straße, die offiziell Kensington Palace Gardens heißt. Sie beherbergt überwiegend Milliardäre. Etwa Oligarch Abramovich in Nr. 17 (Besitz wegen Ukraine-Krieg eingefroren), Indiens Stahl-Baron Lakshmi Mittal in Nr. 18 (Palast mit Ballsaal und Schwimmbad) oder den Sultan von Brunei in Nr. 20 (mit güldenen Kandelabern hinter jedem Fenster).
So zog der Luxus in Kensington ein
Ob die royalen Nachbarn wohl neidisch sind auf den Kensington Palace gegenüber, wo Touristen regelmäßig für Selfies Schlange stehen vor dem vergoldeten Tor? Dahinter wuchsen die Prinzen William und Harry auf, hier wohnten der Prinz und die Prinzessin von Wales, also William und Kate, mit ihren Kindern bis 2022 – sie zogen aufs Land bei Windsor, der Palast ist aber weiterhin ihre offizielle Residenz.
Der östlich angrenzende Hyde Park wird täglich von Touristen-Karawanen durchzogen. Also biegt Guide David lieber ab zum deutlich kleineren, weniger bevölkerten Holland Park, der in seinem Nordteil eher ein Wald ist und südlich davon ein japanischer Ziergarten mit Bonsai-Wasserfällen, Teichen und akkurat arrondierten Blumen-Arealen.
Die angrenzende Straße Holland Park wirkt so uniform, als habe ein Architekt seinen Lieblings-Haustyp mehr als 40 Mal geklont. Hier stehen fast identische weiße Stadtvillen, alle mit Doppelerker und schmiedeeisernem Vordach. Nummer 23 soll David und Victoria Beckham gehören. Diese Adresse posten sie nicht öffentlich, dafür aber bei Instagram reichlich vom 800-Quadratmeter-Interieur inklusive Fitness-Studio, Ankleidezimmer oder Konzertflügel unter Stuck.
Weitere Promis mit Stadthaus in Kensington sind Sänger Elton John, Popstar Adele und Britanniens Ex-Premier David Cameron. „Sie alle residieren in einer Gegend, die vor gut 300 Jahren nur deshalb attraktiv war, weil man die damals viel kleinere, aber übel stinkende Großstadt London nicht bis hier draußen roch“, erklärt David Tucker grinsend.
„Dann brannte London 1666 zu 80 Prozent ab, und die Royals flüchteten in den Kensington Palace.“ Schnell hätten Wohnungen für Bedienstete hergemusst, und das gesellschaftliche höfische Leben verlagerte sich nach Kensington, ergänzt der Guide, was wiederum die hohe Zahl imposanter Villen und Straßenzüge erklärt.
Warum alle Zäune schwarz gestrichen sind
An der lauten Kensington High Street erläutert Tucker kurz die schöne Art-Déco-Fassade des Kaufhauses Barker’s, biegt dann ab in den Kensington Church Walk, eine Gasse mit edlen Herrenausstattern, Juwelieren und einem Kindergarten, dessen Jahresbeitrag für Dreijährige bei 23.000 Euro liegt.
„Schon mal überlegt, warum alle Zäune in dieser Gegend schwarz sind?“, fragt der Guide. Und schiebt die Erklärung gleich hinterher: „Bis 1861 waren sie golden oder rot, dann starb der deutschstämmige Prinzgemahl Albert, den die Briten sehr schätzten, weil er das ramponierte Image der Royals wieder aufpoliert und die Royal Albert Hall gebaut hatte. Aus Trauer und Respekt sollten alle Zäune schwarz gestrichen werden – sie sind es bis heute geblieben.“
So auch in den Onslow Gardens, einer von weißen Häuserzeilen gesäumten Straße, deren Nummer 69 Drehort war für schwarzen Humor: Auftragskiller Ken Pile soll Mrs. Coady umbringen, einzige Zeugin eines Juwelenraubs. Doch er killt in mehreren Versuchen immer nur einen der Hunde, die die alte Dame ausführt – eine Schlüsselszene der Krimikomödie „Ein Fisch namens Wanda“ von 1988 mit John Cleese und Jamie Lee Curtis.
Schwerreiche Nachbarn im Krieg
Tucker führt seine Gruppen immer auch von den Edelstraßen in die Hinterhofgassen. Diese sogenannten Mews (Stallungen) beherbergten ursprünglich Garagen für Kutschen und Boxen für Pferde. Besonders schön und gut erhalten: die Kensington Court Mews mit umlaufender Galerie über den Garagen, die zu den ehemaligen Bediensteten-Wohnungen führt. Selbst solche vergleichsweise kleinen Immobilien werden für Millionen Pfund gehandelt, Popikone Madonna schlug beispielsweise in den Queen Gate Mews zu.
Anderenorts, in einer unscheinbaren Gasse namens South End, sind sie wiederum Schauplatz von Nachbarschaftsstreit. Dort, so erzählt Tucker, habe eine exzentrische Lady namens Zipporah Lisle Mainwaring ihrem Kontrahenten Niall Carroll ein Mews-Reihenhaus weggeschnappt, als sie dessen 4,5-Millionen-Pfund-Gebot mit 4,75 Millionen konterte.
Carroll torpedierte daraufhin jahrelang alle Umbaupläne von Mrs. Lisle Mainwaring erfolgreich beim Bauausschuss von Kensington. Weshalb die erboste Dame eines Nachts die Fassade ihres Hauses rot-weiß gestreift streichen ließ. Die Nachbarschaft war entsetzt! Der Stadtrat beschloss nach langen Verhandlungen: Binnen 28 Tagen sollte die Besitzerin diesen Zuckerstangen-Look wieder entfernen, doch sie pfiff darauf, zog vor Gericht – und gewann. Weshalb sie nun ein luxuriös umgebautes (inzwischen streifenfreies) Domizil mitten in Kensington bewohnt.
Mit ihrem Kampf avancierte sie zur TV-Heldin: Die BBC widmete ihr die Doku „Posh Neighbours at war“ – frei übersetzt: „Schwerreiche Nachbarn im Krieg“. Sehr zur Freude von David Tucker, dem der Streit besten Stoff für seine Kensington-Führungen lieferte.
Weitere Informationen zum Viertel in London:
Touren: Die Tour „Kensington, The Royal Village“ mit David Tucker dauert zwei Stunden und kostet umgerechnet 23 Euro pro Person (walks.com/our-walks/old-kensington-londons-royal-village/). Kensington lässt sich auch auf eigene Faust erkunden entlang der „blue plaques“ – blauer Schilder, die an vielen Fassaden prangen und an prominente Bewohner wie Alfred Hitchcock (153 Cromwell Road) oder Winston Churchill (28 Hyde Park Gate) erinnern (english-heritage.org.uk/visit/blue-plaques/).
Weitere Infos: visitlondon.com