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Europa Wallis in der Schweiz

Wenn Höllengestalten durch das Lötschental ziehen

Sie sehen gruselig aus, werden aber nicht richtig grob: Tschäggättä heißen die Monster, die an Fasnacht das Lötschental in der Schweiz unsicher machen. Ihre Masken sind Unikate, wer sich dahinter verbirgt, ist ein Geheimnis.
Schweiz: Autorin Barbara Blunschi mit ihrer Maske aus dem Lötschental Schweiz: Autorin Barbara Blunschi mit ihrer Maske aus dem Lötschental
Die Autorin mit ihrer Maske aus dem Lötschental
Quelle: Barbara Blunschi

Sie lag tief im Schrank verborgen, doch ich habe sie trotzdem gefunden und ihren Anblick bis heute nicht vergessen. Die leeren Augenhöhlen und der aufgerissene Mund mit den furchterregenden Zähnen. Meine Mutter hatte das Monster vor gut 60 Jahren mit nach Hause gebracht.

Ihr Chef, der Spielhändler Franz Carl Weber in Zürich, hatte ihr die Maske, die sie per Zufall im Lager entdeckte, mitgegeben. Die Haare waren schrecklich verfilzt, und so konnte das Souvenir aus dem Lötschental nicht mehr an die Kundschaft verkauft werden.

Im Spielwarengeschäft an der prominenten Bahnhofstrasse wurde seinerzeit auch typisch schweizerisches Kunsthandwerk angeboten. So eine Maske kostete damals etwa 40 bis 50 Schweizer Franken und musste in einem Topzustand sein.

Mein Vater mochte die höllische Fratze gar nicht und schickte sie sozusagen in die Verbannung in den Kasten. Für mich war sie der Inbegriff eines Monstergesichts, das nicht nur kleinen Kindern einen Schrecken einjagte. Als mir Jahre später eine Walliser Freundin von der Tradition der „Tschäggättä“ im Lötschental berichtete, kamen die Erinnerungen an die Monstermaske wieder hoch.

Wer hinter der Maske steckt, ist ein Geheimnis

Tschäggättä heißen die maskierten Gestalten, die nach altem Brauchtum das Lötschental unsicher machen. Aber nur in der Zeit von Maria Lichtmess (2. Februar) bis zum „Gigiszischtag“ (dem Dienstag vor Aschermittwoch).

Schweiz: Tschäggättä tragen nicht nur Masken sondern auch Handschuhe, um unerkannt zu bleiben
Tschäggättä tragen nicht nur Masken sondern auch Handschuhe, um unerkannt zu bleiben
Quelle: picture alliance/KEYSTONE

Tschäggättä nennen die Einheimischen auch die gefleckten Kühe, doch das Gewand, das die wilden Gesellen tragen, ist aus Ziegen- oder Schaffell. Mitsamt der Maske und den angehängten Trichla (Kuhglocken), ist so ein Kostüm schnell einmal 30 Kilo schwer.

Wer sich darunter verbirgt, ist ein Geheimnis. Die Beine und Schuhe stecken in groben Säcken, und Handschuhe aus Garnresten oder anderen Materialien verdecken die Hände. So können die Träger unerkannt jeden Abend durch die Gegend streifen und den Leuten einen Schrecken einjagen. Außer am Sonntag.

Tschäggättä in der Schweiz: Die maskierten Gestalten streifen am Abend durch das Lötschental und jagen anderen einen Schrecken ein
Die maskierten Gestalten streifen am Abend durch das Lötschental und jagen anderen einen Schrecken ein
Quelle: picture alliance/KEYSTONE

Doch richtig grob werden die Tschäggättä nicht. Wer sich ihnen in den Weg stellt, wird höchstens in den Schnee geschubst. Aber nur, wenn der auch weich genug ist, wird versichert.

Im Lötschental spielten Sagen eine große Rolle

Um mehr über das Tschäggättä-Brauchtum zu erfahren, hatte ich mich – vor Corona – für einen Maskenschnitzkurs im Lötschental angemeldet. Das abgeschiedene Tal war bis zur Eröffnung des Lötschbergtunnels im Jahre 1913 nur ganz schwer erreichbar. Entsprechend sind die vier Gemeinden Ferden, Kippel, Wiler und Blatten unter sich geblieben. Sagen und Mythen spielten in den von den Naturgewalten beherrschten Dörfern eine wichtige Rolle.

Tschäggättä im Lötschental (Schweiz): Die Masken sind von Hand geschnitzte Unikate – für Touristen ein beliebtes Souvenir
Die Masken sind von Hand geschnitzte Unikate – für Touristen ein beliebtes Souvenir
Quelle: PA/ dpa
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Um ins Lötschental zu gelangen, müssen Autofahrer ihren Wagen in Kandersteg auf den Zug verladen. Ich hatte mich für die Bahn entschieden und musste in Bern umsteigen. Dort sollte man in einem der vorderen Wagen Platz nehmen, um in Goppenstein wieder aussteigen zu können. Wobei das mit dem Platznehmen normalerweise an einem schönen Wintertag so eine Sache ist.

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Das Postauto von Goppenstein Richtung Lötschental fuhr ein paar Minuten später ebenfalls fast voll wieder los. Doch bei der Haltestelle Ferden Schulhaus war ich fast die Einzige, die ausstieg. Die meisten Passagiere fuhren weiter Richtung Ski- und Wandergebiet auf der schneesicheren Lauchernalp.

Lötschental in der Schweiz: Mitsamt der Maske und den angehängten Kuhglocken kann das Kostüm der Tschäggättä schnell einmal 30 Kilo schwer werden
Mitsamt der Maske und den angehängten Kuhglocken kann das Kostüm der Tschäggättä schnell einmal 30 Kilo schwer werden
Quelle: picture alliance/KEYSTONE

Mein Ziel war die Schnitzstube, wo Thomas Werlen (79) bereits auf seine Schüler wartete. Als erfahrener „Schnätzer“ zeigte er der kleinen Gruppe die Kunst des Maskenschnitzens.

Unter fachkundiger Anleitung wird während zwei bis drei Stunden das Schnitzen erlernt und alles über den urigen Brauch der Tschäggättä verraten. Pro Erwachsenen kostet der Kurs 45 Franken und für Kinder bis 16 Jahre 40 Franken (Infos und Termine: wallis.ch, loetschental.ch).

Ein exotisches Souvenir mit echten Zähnen

Auf den Werkbänken lagen bereits die vorgefertigten Maskenrohlinge und das Werkzeug bereit. Im Gegensatz zu den typischen Lötschentaler Masken waren diese aber aus Lindenholz, um es uns Neulingen etwas einfacher zu machen. Das weichere Material lässt sich viel einfacher bearbeiten als die traditionellen Larven aus Arvenholz. Ein paar Fratzenmasken hingen an den Wänden der Schnitzstube und dienten als Inspiration.

Tschäggättä in der Schweiz: Früher steckten noch echte Kuhzähne in den Mäulern der Fratzen, das ist heute nicht mehr so
Früher steckten noch echte Kuhzähne in den Mäulern der Fratzen, das ist heute nicht mehr so
Quelle: picture alliance/KEYSTONE

Ich konnte es nicht lassen und stülpte mir eine über den Kopf. Die Sicht aus den Augenlöchern war ziemlich beschränkt, und es müffelte schrecklich nach Ziege. Wie wir unser gutes Stück gestalteten, überließ der Meister seinen Schülern.

Der Lötschentaler begann 1965 mit den Schnitzarbeiten, um sich ein paar Franken zum Lohn dazuzuverdienen. Seine Masken waren bei den Touristen beliebt als exotisches Souvenir. Damals noch mit echten Kuhzähnen, die in den Mäulern der Fratzen steckten. Genauso wie die Maske aus Kindertagen, die mein Vater leider bei einem Umzug entsorgte.

An Fasnacht werden die besten Tschäggättä prämiert

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Das passiert mit meiner selbst gebastelten Maske garantiert nicht. Stundenlang hatte ich daran gewerkelt und mir sogar eine Blase am Daumen geholt. Mit dem fertigen Kunstwerk machte ich mich auf den Weg zum traditionellen Fasnachtsumzug in Wiler.

Schweiz: Beim Fasnachtsumzug werden die besten Masken prämiert
Beim Fasnachtsumzug werden die besten Masken prämiert
Quelle: picture alliance/KEYSTONE

Doch erst stand ein Abstecher ins Lötschentaler Museum in Kippel auf dem Programm. Anhand von über 100 Holzmasken wird dort die Geschichte und die Entwicklung des Maskenwesens im Lötschental präsentiert und erklärt. So manche Maske schaut so aus, als käme sie direkt aus Afrika.

Jene am Fasnachtsumzug erinnerten mich hingegen an Fantasiewesen aus Netflix-Serien oder Videospielen. An jedem Tschäggättä hängt ein Zettel mit einer Nummer, denn später werden die Besten bei einer Prämierung auserkoren. Die Rivalität unter den Schnitzern ist groß. Erst nach der Preisverteilung erfährt man, wer die Monster erschaffen hat. Dabei werden sie in drei Kategorien unterteilt: groß, mittel und klein.

Schweiz: Tschäggättä nennen die Einheimischen auch gefleckte Kühe, doch das Gewand, das die wilden Gesellen tragen, ist aus Ziegen- oder Schaffell
Tschäggättä nennen die Einheimischen auch gefleckte Kühe. Das Gewand, das die wilden Gesellen tragen, ist aber aus Ziegen- oder Schaffell
Quelle: picture alliance/KEYSTONE

Die Lötschentaler haben keine Nachwuchsprobleme, denn zwischen den riesigen Gestalten entdeckte ich auch ein paar Knirpsmasken. 1860 versuchte der Prior der Pfarrei in Kippel den Brauch zu verbieten, aber es gelang ihm nicht. Und selbst eine Pandemie schafft das nicht!

Einige Tschäggättä werden wahrscheinlich vom 2. bis 16. Februar 2021 – meist abends mit Abstand – durch die Gassen ziehen. Der traditionelle „Tschäggättu-Loif“ von Blatten nach Ferden und der „Leetschär“-Fasnachtsumzug sind jedoch abgesagt. Doch die wilden Masken kann man ja auch daheim tragen.

Die Schweizer Autorin bloggt auf reisen-lifestyle.ch.

Schweiz: Fasnachtsumzüge wird es 2021 wegen Corona nicht geben, doch einige Tschäggättä werden vermutlich trotzdem durch die Gassen ziehen
Fasnachtsumzüge wird es 2021 wegen Corona nicht geben, doch einige Tschäggättä werden vermutlich trotzdem durch die Gassen ziehen
Quelle: picture alliance/KEYSTONE

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