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Geschichte Bad Kleinen 1993

Wie „Monitor“ eine Fahndungspanne zur Staatskrise aufblähte

Am 27. Juni 1993 misslang in Mecklenburg die Festnahme des RAF-Terroristen Wolfgang Grams. Zwei Menschen starben. Das WDR-Magazin „Monitor“ präsentierte eine fragwürdige Zeugin und streute einen „fürchterlichen Verdacht“. Selbstkritik danach? Fehlanzeige.
Leitender Redakteur Geschichte
Nach dem Tod von Wolfgang Grams suchen Beamte des Landeskriminalamtes am 2.7.1993 auf den Gleisen des Bahnhofs von Bad Kleinen erneut nach Spuren. Der Tod des mutmaßlichen RAF-Terroristen Grams wird seit dem 13.8.1998 erstmals vor einem Gericht öffentlich verhandelt. Die 1. Zivilkammer des Landgerichts Bonn begann in Schwerin mit der Vernehmung von Zeugen der Geschehnisse auf dem Bahnhof von Bad Kleinen. Die Befragungen sind Teil eines Zivilprozesses, mit dem die Eltern von Grams erreichen wollen, daß die Kosten für das Begräbnis ihres Sohnes vom Bund erstattet werden. Grams war durch einen aufgesetzten Kopfschuß getötet worden. Während die Eltern den tödlichen Kopfschuß einem Polizisten zuschreiben, hat sich Grams laut Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Schwerin selbst getötet Nach dem Tod von Wolfgang Grams suchen Beamte des Landeskriminalamtes am 2.7.1993 auf den Gleisen des Bahnhofs von Bad Kleinen erneut nach Spuren. Der Tod des mutmaßlichen RAF-Terroristen Grams wird seit dem 13.8.1998 erstmals vor einem Gericht öffentlich verhandelt. Die 1. Zivilkammer des Landgerichts Bonn begann in Schwerin mit der Vernehmung von Zeugen der Geschehnisse auf dem Bahnhof von Bad Kleinen. Die Befragungen sind Teil eines Zivilprozesses, mit dem die Eltern von Grams erreichen wollen, daß die Kosten für das Begräbnis ihres Sohnes vom Bund erstattet werden. Grams war durch einen aufgesetzten Kopfschuß getötet worden. Während die Eltern den tödlichen Kopfschuß einem Polizisten zuschreiben, hat sich Grams laut Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Schwerin selbst getötet
Spurensuche auf den Gleisen in Bad Kleinen 1993
Quelle: picture-alliance / dpa
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Der eigentliche Skandal begann vier Tage nach dem Desaster – als wäre die Fahndungspanne am frühen Nachmittag des 27. Juni 1993 allein nicht schon schlimm genug gewesen. Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt (BKA) hatten am Bahnhof der mecklenburgischen Kleinstadt Bad Kleinen zwei Topterroristen aus der Führungsebene der Gruppe Rote Armee Fraktion (RAF) festnehmen wollen. Spezialisten der Spezialeinheit GSG9 standen bereit, allerdings nicht in ihrer schweren Schutzkluft, sondern in Jeans und T-Shirt.

Doch Missverständnisse zwischen den Beamten und ungenügende Kommunikation sorgten dafür, dass an diesem Sonntag genau um 15.16 Uhr der wegen Mordverdachts gesuchte Wolfgang Grams Verdacht schöpfte. Während seine Begleiterin Birgit Hogefeld (und der V-Mann Klaus Steinmetz, der die Polizei auf die Fährte der beiden Linksterroristen geführt hatte) im Verbindungstunnel unter den Gleisen festgenommen werden konnten, flüchtete er die Treppe zum Bahnsteig der Gleise 3 und 4 hinauf.

ARD/WDR - "Monitor" am Donnerstag (20.12.01) um 21:00 Uhr im Ersten. Klaus Bednarz, ab Januar Chefreporter und Sonderkorrespondent des WDR, verabschiedet sich heute als Moderator und Leiter des WDR-Magazins "Monitor". © WDR/Gaby Winkler (M) - honorarfrei im WDR-Zusammenhang bei Nennung "Bild:WDR". Mehr Motive unter www.ard-foto.de
Klaus Bednarz (1942 bis 2015) sah sich als seriöser Aufklärer – die Medienkatastrophe rund um Bad Kleinen zeigte, wie wenig das zutraf
Quelle: picture-alliance / obs

Von oben schoss er auf die Polizisten in Zivil, die ihn verfolgten, und verletzte zwei von ihnen schwer; einer, der GSG9-Mann Michael Newrzella, erlag seinen Verletzungen. Die Beamten schossen zurück, und Grams stürzte von mehreren Kugeln getroffen auf das Bahngleis. Hier fiel ein letzter Schuss: Der verletzte Terrorist nahm sich in aussichtsloser Lage das Leben.

So weit, so schlimm. Am Montag, dem 28. Juni 1993, berichten die wesentlichen deutschen Zeitungen auf den Titelseite über die misslungene Aktion, am folgenden Tag sickerten weitere Details (und manche Falschmeldung) durch. Dann wanderte das Thema auf die hinteren Seiten – bis, ja bis zum Morgen des 2. Juli. Da nämlich griffen viele Blätter eine Agenturmeldung auf, die das WDR-Politmagazin „Monitor“ rechtzeitig vor der eigenen Sendung am vorangegangenen Abend um 20.15 Uhr abgesetzt hatte.

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In der Vorab-Agentur hatte es unter Berufung auf die eidesstattliche Erklärung einer Augenzeugin geheißen, dass Wolfgang Grams zunächst nur angeschossen auf dem Boden gelegen habe. Und weiter: „Zwei Beamte traten an den reglos daliegenden Grams heran. Der Beamte zielte auf den Kopf und schoss aus nächster Nähe, wenige Zentimeter vom Kopf des Grams entfernt.“

Gestützt auf diese „Erklärung“ moderierte der stets meinungsstarke„Monitor“-Moderator Klaus Bednarz den Beitrag an: „Nach ,Monitor’-Recherchen, die durch einen ersten Obduktionsbericht bestätigt werden, gibt es einen neuen fürchterlichen Verdacht: dass Wolfgang Grams nämlich am Tatort regelrecht hingerichtet wurde.“ Es folgte der Filmbeitrag der „Monitor“-Mitarbeiter Philipp Siegel und Wolfgang Landgraeber. In seiner Abmoderation spitzte Bednarz die Botschaft noch zu: „Alles deutet auf Exekution. Ein ungeheuerlicher Vorgang, der in der Geschichte der Bundesrepublik – zumindest soweit bekannt – nicht seinesgleichen hat.“

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Die eidesstattliche Erklärung, in der die vermeintliche Hinrichtung erwähnt wird
Quelle: Archiv Kellerhoff

Die Gewährsfrau war die Kiosk-Verkäuferin Joanna Baron, die dafür ein Honorar bekam (von 150 bis 250 Mark war die Rede). Doch sie hatte zwar unzweifelhaft die von Siegel getippte eidesstattliche Erklärung unterschrieben, deren entscheidenden Inhalt aber (die angeblich mit eigenen Augen gesehene „Hinrichtung“) stets bestritten – bei Vernehmungen durch Polizei und Staatsanwaltschaft, bei einem Ortstermin und vor Gericht. Auch die Feststellungen mehrerer Gerichtsmediziner widerlegten Barons angebliche Aussage in der Erklärung für „Monitor“

Trotzdem löste diese zweifelsfrei inhaltlich falsche Aussage an Eidesstatt eine schwere Staatskrise aus: Der Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) trat zurück, Generalbundesanwalt Alexander von Stahl (FDP) wurde wegen des „Monitor“-Berichts und der nachfolgenden Berichterstattung in dem Hamburger Magazin „Der Spiegel“ formell entlassen; auch beim BKA wurden leitende Mitarbeiter abgesetzt.

Seit November 2020 steht fest, dass der damalige „Spiegel“-Reporter Hans Leyendecker und seine Kollegen bis hinauf in die „Spiegel“-Chefredaktion „auf Basis einer mangelhaft geprüften und falschen Aussage einen journalistischen Fehler begangen“ hatten. So hieß es im Untersuchungsbericht der Kommission, die das Magazin nach der Pleite um den Betrüger Claas Relotius selbst eingesetzt hatte und die auch den Fall Bad Kleinen untersuchte: „Auch die von Leyendecker behauptete Übereinstimmung ,in wesentlichen Teilen’ mit der Aussage der Zeugin Baron bei ,Monitor’, die sich später als falsch herausstellte, war nicht gegeben.“

Die Augenzeugin der Anti-Terror-Aktion vor fünf Jahren, Joanna Baron (Mitte), zeigt dem Richter im Zivilprozeß Grams gegen die Bundesrepublik, Heinz Sonnenberger (links), sowie dem Anwalt der Familie Grams, Andreas Groß (r), am 14.08.1998 den Tatort im Bahnhof von Bad Kleinen, wo am 27. Juni 1993 bei der Anti-Terror-Aktion der GSG-9 der mutmaßliche RAF-Terrorist Wolfgang Grams unter bislang ungeklärten Umständen ums Leben kam. Die 1. Zivilkammer des Landgerichts Bonn ließ sich bei dem Ortstermin die Positionen der einzelnen Zeugen sowie die Abläufe bei der Polizeiaktion zeigen. (Sch01-140898)
Joanna Baron (Mitte) 1998 beim Ortstermin am Tatort im Bahnhof von Bad Kleinen
Quelle: picture-alliance / ZB
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Während also die Hamburger Redaktion immerhin nach mehr als 27 Jahren ihre eigenen Fehler aufarbeiten und das Ergebnis veröffentlichen ließ, gab und gibt sich „Monitor“ weiterhin unbeeindruckt. Auf eine detaillierte Liste mit 16 einzelnen Fragen zu sechs Themenkomplexen, die WELT im November 2020 schickte, antwortete der Bednarz-Nach-Nachfolger Georg Restle schriftlich, man könne „beim besten Willen keine sachgerechten Antworten geben“. Es folgte immerhin ein Versprechen: „Wir nehmen die Recherchen aber zum Anlass, uns mit der Sache zu befassen. Auch uns ist daran gelegen, hier Klarheit zu schaffen, soweit dies möglich ist. Wann wir hier zu einer abschließenden Bewertung kommen können, kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt leider noch nicht sagen.“

Zehn Tage vor dem 30. Jahrestag der Panne von Bad Kleinen und des anschließenden Medien-Skandals schickte WELT dieselben Fragen erneut an „Monitor“. Diesmal antwortete Restle nicht nur nicht innerhalb der angemessen gesetzten Frist, sondern überhaupt nicht. Fast genau zweieinhalb Jahre lang sollen der „Monitor“-Redaktion nicht gereicht haben, 16 konkrete Fragen zu beantworten? Der Eindruck, bei dem WDR-Magazin bestehe kein Interesse an Aufklärung der eigenen Fehler, ist schwer zu vermeiden.

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Schuldig bleibt „Monitor“ damit Antworten auf gewichtige Fragen. Beispielsweise sind in den einschlägigen Akten der Staatsanwaltschaft Schwerin zwei verschiedene Versionen der eidesstattlichen Erklärung von Johanna Baron enthalten – eine ohne und eine mit der entscheidenden (und falschen) Behauptung, sie habe einen Kopfschuss auf Grams gesehen. Waren „Monitor“ und Bednarz vor der Ausstrahlung bereits beide Fassungen bekannt? Falls ja, hätte die Redaktion die Faktenlage wissentlich manipuliert. Falls nein, liegt der Verdacht nahe, dass „Monitor“ vom eigenen Mitarbeiter hinters Licht geführt wurde.

RAF-Fahnungsplakat mit Grams und Hogefeld Januar 1985
RAF-Fahnungsplakat mit Grams (1. Reihe, 2. v.r.) und Hogefeld (2. Reihe, 2. v.l.) von Januar 1985
Quelle: BKA

Ziemlich gewiss scheint, dass der „Spiegel“-Reporter Leyendecker sich statt wie von ihm behauptet auf zwei voneinander unabhängige tatsächlich nur auf eine Quelle stützte. „Monitor“ hat sich hingegen von vorneherein mit einer fragwürdigen Aussage begnügt, um einen „fürchterlichen Verdacht“ zu streuen. Journalistisch sauberes Handwerk wäre das gewiss nicht.

Die Rolle von „Monitor“ bei der Medien-Ente um die vermeintliche Hinrichtung in Bad Kleinen ist nur eines der Themen, die auch drei Jahrzehnte nach dem 27. Juni 1993 geklärt werden müssen. Auch der Umgang innerhalb des BKA bedarf einer kritischen Überprüfung.

So soll, nachdem ein Foto des toten Grams auf dem Obduktionstisch an Medien durchgestochen worden war, intern ein Kesseltreiben gegen die Terrorspezialisten begonnen haben – das abrupt endete, als die Verantwortung eines BKA-Vizepräsidenten für den Geheimnisverrat bekannt wurde. Auch die Darstellung im 46-seitigen Bericht der Bundesregierung von März 1994 soll „falsche, unhaltbare Behauptungen und Vorwürfe“ enthalten, zu denen „die Abteilung vor der Veröffentlichung nicht einmal Stellung beziehen konnte“.

Während es keine begründeten Zweifel an der Ursache von Wolfgang Grams’ Tod gibt, nämlich Suizid, bleiben weitere Umstände dieser Katastrophe des Rechtsstaats und der Medien auch 30 Jahre danach weiter offen. Vor allem der WDR als öffentlich-rechtlicher Sender ist gefordert, die „Monitor“-Redaktion notfalls zu einer seriösen Auseinandersetzung mit der eigenen Fehlleistung zu zwingen.

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