Der Schuss war tödlich genau gezielt: Am 1. April 1991 gegen 23.30 Uhr durchschlug eine Gewehrkugel das Doppelglasfenster einer Villa am Düsseldorfer Rheinufer. Aus 63 Metern Entfernung traf das Geschoss im Kaliber von 7,62 Millimeter den Eigentümer des Hauses in den Rücken.
Das Opfer: Detlev Karsten Rohwedder, Sozialdemokrat und Wirtschaftsmanager, seit Juli 1990 Präsident der Treuhandanstalt, die den harten Übergang der DDR- in eine Marktwirtschaft abfedern sollte. Im Bekennerschreiben der Terrorgruppe Rote-Armee-Fraktion (RAF), datiert auf den 4. April 1991, hieß es: „Die Krönung von Rohwedders Karriere sollte seine Funktion als Bonner Statthalter in Ostberlin sein. Seit ihrer Annexion ist die Ex-DDR faktisch Kolonie der Bundesrepublik.“
Es war der Versuch der Terroristen, die heftigen Spannungen im Vereinigungsprozess von West und Ost zu nutzen. Das misslang; der Mord an Rohwedder blieb das letzte tödliche Attentat der RAF und der vorletzte Anschlag insgesamt. Erst zehn Jahre später konnte kriminaltechnisch nachgewiesen werden, dass der Linksextremist Wolfgang Grams zumindest am Tatort gewesen war.
Jetzt hat das ZDF den Mordfall Rohwedder in frei adaptierter Form zum Thema des zweiteiligen Thrillers „Der Mordanschlag“ gemacht. Eine andere Möglichkeit hatten Regisseur Miguel Alexandre und Autor André Georgi auch nicht. Denn der Mord an Rohwedder ist nicht wirklich aufgeklärt – ebenso wenig wie die meisten anderen Anschläge der sogenannten dritten Generation der RAF.
Zwar steht fest, dass sich Grams am Tatort aufgehalten hatte. Doch das ist keine besonders überraschende Einsicht, stand doch seine zentrale Rolle im harten Kern der Linksterroristen in den 1980er-Jahren nie infrage. Ungeklärt ist dagegen, ob Grams wirklich persönlich geschossen hat und wer die andere durch allerdings bis heute nicht auswertbare winzige DNA-Reste nachgewiesene Person vor Ort war.
Die neue Kommandoebene der Terroristen, die seit der Festnahme 1982 der zweiten RAF-Generation, bestehend aus Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar und Adelheid Schulz, nachgewachsen war, hatte aus den Fehlern ihrer Vorgänger gelernt: Bei ihren Anschlägen hinterließen sie kaum mehr Spuren. Nur noch wenige Fingerabdrücke konnten in Fluchtwagen und konspirativen Wohnungen oder an Waffen gesichert werden; daher gelang es der Polizei nur ausnahmsweise, bestimmte Personen mit einzelnen Taten in Verbindung zu bringen.
Allerdings wiesen die Anschläge der neuen Kommandoebene eine überraschende Unterschiedlichkeit auf – und zwar sowohl was die Auswahl der Opfer als auch was die technische Ausführung der Angriffe anging. Bei den Attentaten der Jahre 1984 bis 1991 standen technische Perfektion und völliger Dilettantismus direkt nebeneinander.
So war die Waffe, mit der ein Scharfschütze bei Nacht und durch das Glas eines Doppelfensters hindurch mit einem einzigen Schuss Rohwedder getötet hatte, schon einige Wochen zuvor von der RAF benutzt worden – bei einem absolut stümperhaften Anschlag auf die US-Botschaft in Bonn.
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Quelle: WELT/Jana Wochnik und Daniela Will
Dabei hatten am Abend des 13. Februar 1991 bis heute unbekannte Täter mehr als 250 Schuss aus insgesamt drei Gewehren über den Rhein hinweg abgefeuert – auf eine Distanz von mehr als einem halben Kilometer. Lediglich 62 Geschosse trafen ihr Ziel und verursachten leichten Sachschaden.
Die RAF „rechtfertigte“ diesen Anschlag in ihrem Bekennerschreiben mit dem angeblichen „Vernichtungskrieg gegen das irakische Volk“. Gemeint waren damit die unter UN-Mandat durchgeführten Militärschläge gegen Saddam Hussein, der zuvor den Nachbarstaat Kuwait okkupiert hatte.
Die unaufgeklärten RAF-Morde
Wegen des Nebeneinanders von dilettantischen und technisch perfekten Anschlägen spekulierten manche Journalisten, es gebe möglicherweise zwei oder mehr verschiedene Gruppen, die unter dem Namen RAF agierten. Warum allerdings sollten zwei verschiedene Gruppen dieselben Waffen benutzen?
Technisch perfekt waren der Überfall auf den Luftfahrtmanager Ernst Zimmermann 1985, der mit einem Kopfschuss regelrecht hingerichtet wurde, und der Anschlag auf die Rhein-Main Air Base im selben Jahr. Dafür wurde ein 20 Jahre junger US-Soldat ermordet, nur um an seinen Ausweis zu kommen; bei der anschließenden Bombenexplosion starben zwei weitere Amerikaner.
Auch das Bombenattentat auf Siemens-Vorstand Karl Heinz Beckurts 1986, dem außer ihm sein Fahrer Eckhard Groppler zum Opfer fiel, und der Anschlag auf Alfred Herrhausen 1989, den Vorstandssprecher der Deutschen Bank, gehörten zu den perfekt umgesetzten Angriffen. Beim Mord an Herrhausen wurden eine komplizierte Bombenkonstruktion sowie eine Zündanlage mit Lichtschranke eingesetzt; obwohl sein Wagen schwer gepanzert war, starb der Bankchef: „Das hätte auch einen Panzer umgeworfen“, urteilten Polizeiexperten über die Sprengfalle.
Mit ähnlicher Präzision erfolgte am 27. Juli 1990 ein Anschlag auf Hans Neusel, den Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Er überlebte nur, weil er an diesem Tag ausnahmsweise selbst fuhr, denn sein Chauffeur hatte Urlaub. Hätte Neusel wie gewohnt rechts im Fond gesessen, hätte die Bombe ihn zerfetzt.
In direktem Gegensatz zu diesen perfekten Anschlägen auf hochrangige Opfer standen andere Verbrechen der dritten RAF-Generation. Unerwartet traf die Behörden das Attentat auf den Diplomaten Gerold von Braunmühl am 10. Oktober 1986; der Beamte war zwar für Europa- und Nato-Politik zuständig und damit wichtig, aber in der Öffentlichkeit praktisch unbekannt. Bei dem Mord an dem nicht bewachten Ministerialdirektor wurde dieselbe Waffe verwendet, mit der 1977 Hanns Martin Schleyer hingerichtet worden war.
Ebenfalls untypisch ausgeführt wurde ein Angriff am 20. September 1988: Zwei Terroristen schossen mit einer Repetierflinte viermal auf den nicht gepanzerten Dienstwagen des Staatssekretärs im Bundesfinanzministerium, Hans Tietmeyer; sein Chauffeur konnte ihn trotz mehrerer Treffer am Wagen zum nächsten Polizeirevier bringen. Aus dem Stand auf ein fahrendes Auto hatte die RAF bis dahin noch nie geschossen; schon gar nicht mit einer Flinte, also mit nur wenigen Schüssen.
Auch mehrere versuchte Bombenattentate, zu denen sich die dritte Generation der RAF bekannte, misslangen durch die offensichtliche Unfähigkeit der Täter. Etwa 1984 in Oberammergau auf eine Nato-Offiziersschule und 1991 in Budapest auf jüdische Emigranten aus der Sowjetunion – weil die Zünder nicht oder zu früh losgingen.
Trotzdem sind Spekulationen, es habe die dritte Generation der RAF nie gegeben, sondern es handele sich um eine „verdeckte Operation“ von Geheimdiensten, um missliebige Beamte und Manager auszuschalten, unsinnig. Gleich zwei ehemals führende Mitglieder der dritten Generation, Birgit Hogefeld und Eva Haule, bezeugten das Gegenteil.
Birgit Hogefeld, die 1993 bis 2011 im Gefängnis saß, gab dem „Spiegel“ 1997 ein Interview, in dem sie sich zu dieser Theorie unmissverständlich äußerte: „In den linksradikalen Zusammenhängen, die ich kenne, hatte dieser Unsinn nie eine Bedeutung.“
Und Eva Haule, die unter anderem wegen dreifachen Mordes mehr als 21 Jahre in Haft gesessen hatte, erklärte in einem Leserbrief an die linksextreme Tageszeitung „Junge Welt“ 2007: „Hier noch mal klipp und klar – die RAF war verantwortlich unter anderem für die Aktionen gegen Alfred Herrhausen, Gerold von Braunmühl und Detlev Rohwedder.“
ZDF, 5. und 7. November, jeweils 20.15 Uhr
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