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Geschichte Misslungene Generalprobe

Wie Adolf Hitler sich am 1. Mai 1923 blamierte

Zum „Tag der Arbeit“ wollte die NSDAP die bayerische Regierung erpressen. Doch der zuständige General der Reichswehr blieb standhaft, ließ seine Truppen aufmarschieren – und fügte den Rechtsextremisten eine empfindliche Niederlage zu.
Leitender Redakteur Geschichte
Large audience viewed from the speaker's podium at a Hitler speech. Munich, June 20, 1923. (BSLOC_2013_9_159) Large audience viewed from the speaker's podium at a Hitler speech. Munich, June 20, 1923. (BSLOC_2013_9_159)
Das Publikum bei einer Rede des NSDAP-Chefs 1923, gesehen vom Rednerpult aus – also Hitlers Position
Quelle: picture alliance / Everett Collection

Die Eskalation war absehbar. Wie üblich hatten die Gewerkschaften für den 1. Mai 1923 eine Kundgebung auf der Theresienwiese beantragt. Seit 1890 demonstrierte die deutsche Arbeiterbewegung traditionell an diesem Datum für ihre Forderungen. In Bayerns Städten waren solche Umzüge bereits vor 1914 genehmigt worden, sogar mit roten Fahnen. Daher sah die Polizeidirektion München kein Problem, auch in diesem Frühjahr eine Kundgebung mit anschließender Demonstration zuzulassen. Doch der Anführer der völkisch-rechtsextremen Bewegung in Oberbayern fühlte sich provoziert – weil er sich provoziert fühlen wollte: Adolf Hitler schäumte.

Zumal die SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag am 25. April durchgesetzt hatte, über die Auflösung aller „bestehenden Sturmabteilungen und Stoßtrupps“ abzustimmen. Mit 62 zu 50 Stimmen lehnte das Parlament ab, obwohl mehrere bürgerliche Abgeordnete für den SPD-Antrag stimmten.

ALFRED ROSENBERG Rosenberg (left) with Hitler in 1923 Date: 1893 - 1946 (Mary Evans Picture Library) || Nur für redaktionelle Verwendung
Alfred Rosenberg, Hitler und der Miliz-Anführer Friedrich Weber (v. l.) bei einer Parade 1923
Quelle: picture-alliance / Mary Evans Picture Library/WEIMA

Stattdessen nahm das Parlament eine Vorlage der Bayerischen Volkspartei (BVP) an, die der Regierung wohl Handlungsfreiheit verschaffen sollte: „Stoßtrupps, Sicherheitsabteilungen oder sonstige parteipolitisch eingestellte Einrichtungen ähnlicher Art“ sollten nach einer Einzelfallprüfung dann „unterdrückt“ werden, wenn sie „auf Gewalttätigkeiten, auf Störung der öffentlichen Ordnung und insbesondere auf Störung der Versammlungsfreiheit anderer Parteien“ gerichtet seien. Dieser Beschluss verlagerte lediglich die Verantwortung vom Parlament auf die Regierung – die BVP-Fraktion im Landtag hatte sich aus der Verantwortung gestohlen.

Der SA waren solche Differenzierungen ohnehin gleichgültig: Am 26. April kam es in München zu heftigen Rangeleien zwischen Hitler-Anhängern und Kommunisten, bei denen vier Menschen verletzt wurden. Der Gründer und Ehrenvorsitzende der NSDAP, Anton Drexler, wurde von seinem Arbeitsplatz, einer Werkstatt im Münchner Reichsbahnausbesserungswerk, vertrieben; ob er dabei zusammengeschlagen wurde oder nicht, stellten beide Seiten unterschiedlich dar. Jedenfalls waren die Voraussetzungen nach dem am selben Tag verabschiedeten BVP-Antrag gegeben, sowohl die nationalsozialistischen wie die kommunistischen „Stoßtrupps“ umgehend zu „unterdrücken“.

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Doch nichts geschah; im Gegenteil: Bei einer Besprechung in der Münchner Polizeidirektion an der Löwengrube ebenfalls am 26. April gab der bayerische Justizminister Franz Gürtner die Devise aus, selbst ein bewaffneter Aufmarsch der von Hitler dominierten „Arbeitsgemeinschaft Vaterländischer Verbände“ am 1. Mai sei nicht strafbar. Eine solche Auslegung band die Polizeibeamten zwar nicht formal, denn sie waren dem BVP-Innenminister Franz Xaver Schweyer unterstellt. Doch weil die Strafverfolgung bei den Staatsanwaltschaften lag, die Gürtner beaufsichtigte, kam die Weisung einem Freibrief für die Radikalen gleich.

Gleichzeitig erhöhte die „Arbeitsgemeinschaft“ noch einmal den Druck auf die Regierung und stellte am 27. April 1923 ein nicht einmal mehr kaschiertes Ultimatum. Man habe „in Erfahrung gebracht, dass die proletarischen Selbstschutzverbände zusammen mit der sozialistischen und kommunistischen Partei am 1. Mai ihre Feier mit Umzügen Bewaffneter durch die innere Stadt in einer Art abzuhalten gedenken, die nicht anders aufgefasst werden kann als eine bewusste und gewollte Herausforderung des gesamten Bürgertums“.

Es folgte eine unmissverständliche Ankündigung: „Deshalb haben sich Arbeitsgemeinschaft und vaterländische Verbände entschlossen, die von den sozialistischen und proletarischen Kampfverbänden geplanten öffentlichen Aufzüge zu verhindern.“ Damit maßten sich Hitler und seine Helfer an, „gewisse polizeiliche Aufgaben“ wahrzunehmen, wie die Reichsregierung in ihrem Entwurf für eine Notverordnung nach Artikel 48 der Reichsverfassung vorausgesagt hatte.

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Broschüre über die Ereignisse am 1. Mai 1923, veröffentlicht im Januar 1928
Quelle: Public Domain

An dieser Anmaßung änderte auch nichts mehr, dass die Drohung scheinbar verbindlich schloss: „Sollte die Regierung von sich aus die als Kampfansage wirkende und gegen das nationale Empfinden weitester Kreise gerichtete sozialistische Kundgebung unterdrücken, darf sie auf die rückhaltlose Unterstützung der vaterländischen Verbände rechnen.“ Nämlich nur in diesem Fall.

Nun musste Bayerns Ministerpräsident Eugen von Knilling reagieren. In der Ministerratssitzung vom folgenden Tag kritisierte er, dass „die Polizeidirektion den Zug aus eigener Machtvollkommenheit genehmigt habe“ – und meinte die Kundgebung der Gewerkschaften. Anschließend verfügte der Ministerrat, dass einerseits die Umzüge der Arbeiterbewegung eingeschränkt würden und andererseits die Reichswehr am 1. Mai in München massiv Präsenz zeigen sollte.

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Der NSDAP-Chef war nicht gewillt, sich einschüchtern zu lassen: Er verlangte nun ausdrücklich „aggressives Vorgehen mit Anwendung von Waffengewalt“. Wenig später ruderte er zurück und sagte nun, „dass sich die Aktion nicht gegen die Regierung richtet, sondern nur eine Auseinandersetzung mit ,Rot’ sein soll“. Trotzdem setzte er einen förmlichen Beschluss durch: „Die Aktion wird bewaffnet gemacht, der Landeskommandant wird verständigt.“

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Also suchte Hitler mit einem Begleiter General Otto von Lossow auf und verlangte die Herausgabe von Waffen aus Militärdepots an seine Leute. Der Landeskommandant der Reichswehr in Bayern lehnte das Ansinnen jedoch rundheraus ab.

Angesichts dieser klaren Haltung des Generals schwand bei einigen führenden Mitgliedern der „Arbeitsgemeinschaft“ die Bereitschaft, tatsächlich wie geplant am folgenden Morgen bewaffnete Trupps überall in Münchens Innenstadt aufzustellen, um vorbeikommende Demonstrationszüge der Arbeiterbewegung anzugreifen. Stattdessen sollten ihre Verbände auf dem Oberwiesenfeld weit nördlich der Innenstadt antreten.

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Am 1. Mai morgens um drei Uhr gab Hitler der SA entsprechende Anweisungen, und um sechs Uhr standen gut 2000 Männer mit gehorteten oder von Sympathisanten in Kasernen beiseitegeschafften Gewehren auf dem Oberwiesenfeld. Doch die Reichswehr hatte um den alten Exerzierplatz einen Kordon gelegt, zu dem sogar Panzerautos mit MGs gehörten.

Gegen Mittag erschien der NSDAP-Chef selbst bei der angetretenen SA, um eine Rede zu halten – und klein beizugeben: „Hitler sagte dann noch, dass nun kein Mann den Kopf hängen lassen solle, wenn der Befehl ergehe, dass die Waffen wieder abgegeben werden müssen“, hielt ein Polizist die Ansprache fest. Und fügte hinzu: „Unser Tag wird wohl schon in allernächster Zeit kommen!“

Adolph Hitler, leader of the Nazi party pictured with General E F W Ludendorff, followed the failed Munich Beer Hall Putsch (coup) in November 1923. Date: 1937 (Mary Evans Picture Library) || Nur für redaktionelle Verwendung
Erich Ludendorff und Hitler waren 1923 die führenden Figuren der völkischen Szene in München und Oberbayern (Foto von 1924)
Quelle: picture-alliance / Mary Evans Picture Library/ILLUS

Tatsächlich war der 1. Mai 1923 für die Rechtsextremisten ein Fiasko: Die „Arbeitsgemeinschaft“ hatte Bayerns Regierung offen erpresst. Doch weil General Lossow standhaft geblieben war, konnte Hitler dem Staat seinen Willen nicht aufzwingen. Außerdem hatte höchstens ein Drittel der radikalen Wehrverbände die Weisungen der Anführer befolgt – und diese Männer mussten vor dem Abmarsch ihre Waffen der Reichswehr übergeben.

Noch am selben Dienstag notierte ein Konkurrent Hitlers in sein Tagebuch: „In München war das reinste Narrenhaus. Die ,Vaterländischen Verbände’ haben sich in ihrer Nervosität und Führerlosigkeit bis auf die Knochen blamiert.“ Es war die misslungene Generalprobe für den Putschversuch im November 1923.

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