Mehr als sechs Millionen Männer umfasste das deutsche Militär am 11. November 1918. Etwa 3,2 Millionen davon standen, verteilt auf knapp 200 Divisionen, in Belgien und Ostfrankreich. Sie mussten sich nach den Bedingungen des Waffenstillstands umgehend auf deutsches Territorium zurückziehen und dort demobilisiert werden.
Die meisten von ihnen hatten vom Krieg mehr als genug – aber nicht alle. Vielleicht jeder fünfte, vielleicht auch nur jeder zehnte war bereit, für seine jeweiligen politischen Vorstellungen weiter zu kämpfen.
Das war ausgesprochen gefährlich, denn wahrscheinlich verfügten in Deutschland niemals mehr Menschen über Waffen als gerade im Winter 1918/19. Unzählige Ex-Soldaten hatten ihre Gewehre und Pistolen mit nach Hause genommen. Mehr als anderthalb Millionen Ordonnanzwaffen Luger 08 und etwa zwölf Millionen Gewehre Modell 98 waren bis 1918 ausgegeben worden; jeweils Hunderttausende davon, dazu Maschinengewehre und andere Waffen, blieben verschwunden.
Da sich diese Waffen in den Händen politisch verfeindeter Gruppen befanden, drohte seit der demokratischen Revolution im November 1918 ständig ein Bürgerkrieg. Monarchistisch gesinnte Soldatengruppen wollten die Übergangsregierungen im Reich und den einzelnen Ländern ebenso absetzen wie bewaffnete Linksradikale. Dagegen mussten sich die Vertreter der neuen staatlichen Ordnung wehren.
Außerdem wurden Soldaten für den „Grenzschutz Ost“ gebraucht, denn vor allem im wiedererstandenen Polen gab es Volkstumskämpfe. Auch im Baltikum wurden Truppen gebraucht, hier zum Kampf gegen russische kommunistische Revolutionäre.
Also wurden unter den auf ihre formale Demobilisierung wartenden Soldaten möglichst loyale Verbände angeworben. Sie wurden rasch, nach den Freiwilligenverbänden der Befreiungskriege gegen Napoleon I. 1813 bis 1815, als Freikorps bekannt.
Im ehemaligen Kriegshafen der kaiserlichen Hochseeflotte etwa erschienen Mitte Februar 1919 Anzeigen, in denen es hieß: „Die Reichsregierung hat mir Befehl erteilt, in Wilhelmshaven eine Regierungstruppe aufzustellen, die, der Regierung direkt unterstehend, für den Grenzschutz Ost zur Verfügung steht.“ Aus diesem Aufruf entstand das Freikorps Marinebrigade Ehrhardt.
Wer sich freiwillig meldete, sollte den normalen Sold bekommen, den er als regulärer Soldat bekommen hatte, zuzüglich fünf Mark pro Tag, bei freier Kost und Logis. Das klang für viele Männer attraktiv – nachvollziehbar, wenn man die damaligen Lohnverhältnisse in einer extrem angeschlagenen Wirtschaft betrachtet, die im Höchsttempo von maximaler Kriegs- auf Friedensproduktion umgestellt werden musste.
Mannschaftsdienstgrade hatten im kaiserlichen Heer gerade einmal 30 Mark pro Monat bekommen. Sie konnten also mit dem Zuschlag von fünf Mark pro Tag ihre Einkünfte versechsfachen. Schon ein einfacher Soldat konnte im Freikorps damit mehr verdienen als der damalige monatliche Durchschnittsverdienst, nämlich 180 Mark statt 167,50 Mark.
Umso mehr galt das für Unteroffiziere und Offiziere. Beispielsweise ein junger Leutnant erhielt als Freikorpsmitglied 300 Mark im Monat – fast das Doppelte des Durchschnittsverdienstes, wohlgemerkt weiterhin bei freier Verpflegung und Unterkunft. Außerdem gab es weitere Zulagen für Verheiratete, Familienväter und besondere Qualifikationen. Einkommensteuern und Sozialabgaben hingegen wurden nicht erhoben.
Ein Vergleich mit heutigen Verhältnissen zeigt, warum die Freikorps 1919/20 für viele Ex-Soldaten attraktiv waren. Laut aktueller Bundesbesoldungsordnung bekommt ein junger Leutnant ohne Zulagen knapp 3000 Euro brutto und liegt damit unter dem gegenwärtigen Durchschnittslohn von etwa 3150 Euro.
Beim Einsatz außerhalb der deutschen Grenzen, beispielsweise in Polen oder im Baltikum, gab es sogar noch weitere vier Mark Risikoaufschlag pro Tag. Gleichzeitig waren die Gefahren, unter denen diese Männer dienten, deutlich geringer als noch bis November 1918: Kampfhandlungen gab es zwar, aber weder die ungeheure Zerstörungskraft, die das Trommelfeuer aus unzähligen Geschützen entfaltet hatte, noch Giftgas.
Die meisten Freikorps bezahlten die Reichsregierung oder die Landesregierungen aus ihren Etats. Dazu wurde die Notenpresse, die schon im Krieg massenhaft faktisch ungedecktes Papiergeld ausgespuckt hatte, in Dauerbetrieb gehalten.
Die unmittelbare Folge war eine deutliche Inflation, die sich immer mehr beschleunigte. Zum Jahreswechsel 1919/20 hatte die Papiermark weniger als ein Zehntel der faktischen Kaufkraft zum Jahreswechsel 1917/18. Dabei war die schon schlecht gewesen.
Freikorps waren an vielen Kämpfen und Verbrechen der Jahre 1918 bis 1920 beteiligt. Die Volksmarinedivision, ein eigentlich regierungstreuer Verband, erpresste zu Weihnachten 1918 die Übergangsregierung und nahm Geiseln. Das monarchistisch gesinnte Freikorps Gardekavalleriedivision ermordete die Kommunisten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Das Freikorps Maercker schützte einerseits die Weimarer Nationalversammlung, ging andererseits brutal gegen linksradikale Kräfte vor. Und das sind nur einige Beispiele.
Im Versailler Friedensvertrag hatten die Siegermächte festgelegt, dass ab dem 1. Januar 1921 in der Reichswehr nur noch 100.000 Berufssoldaten unter Waffen stehen sollten zuzüglich 15.000 Mann in der Reichsmarine (eine Luftwaffe war untersagt). Da jedoch Anfang 1920 noch zwischen 240.000 und 400.000 Mann zu den Freikorps gehörten (allein schon die große Spanne zeigt, wie ungewiss die Verhältnisse waren), musste stark abgerüstet werden.
Das führte direkt zum Kapp-Lüttwitz-Putsch. Denn der Reaktionär Wolfgang Kapp stützte seinen versuchten Staatsstreich auf die Marinebrigade Ehrhardt. Sie hatte wenige Tage vor der Besetzung des Regierungsviertels am 13. März 1920 ihre Auflösungsorder bekommen.
Um einen größeren Bürgerkrieg im Frühjahr 1920 zu vermeiden, gewährte die legitime Reichsregierung der Marinebrigade nach dem Scheitern des Putsches freien Abzug und bezahlte sogar den Sold der Truppe, wenn sie sich nur auflösen ließ. Nach dem Putsch wurden die meisten Freikorps rasch demobilisiert; einzelne Verbände im Ausland bildeten Ausnahmen, die teilweise noch bis 1923 aktiv waren.
Mit der Auflösung der Freikorps aber verschwanden natürlich nicht die Veteranen. Sie bildeten vielfach Wehrverbände oder Bürgerwehren, die zwar weniger stark, aber immer noch ausreichend bewaffnet waren. Manche Freikorpsmitglieder wechselten auch zu einer in Bayern aufstrebenden extremen Partei namens NSDAP oder gingen als Terroristen in den Untergrund. Die hohe Gewaltbereitschaft in der Weimarer Republik war zumindest auch eine Folge der Freikorps.
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