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Geschichte „25 Punkte“

Mit einem „gestohlenen Programm“ begründete Hitler die NSDAP

Der 24. Februar 1920 gilt als offizieller Gründungstag der NSDAP. Tatsächlich präsentierte Adolf Hitler an diesem Tag die „25 Punkte“ seiner Partei – sie hieß aber noch „Deutsche Arbeiterpartei“.
Leitender Redakteur Geschichte
GERMANY - JANUARY 01: Adolf Hitler holding a speech, about 1925. (Photo by Imagno/Getty Images) [Hitler haelt eine Rede. Photographie. Um 1925.] Getty ImagesGetty Images GERMANY - JANUARY 01: Adolf Hitler holding a speech, about 1925. (Photo by Imagno/Getty Images) [Hitler haelt eine Rede. Photographie. Um 1925.] Getty ImagesGetty Images
Von Hitlers Auftritt am 24. Februar 1920 gibt es keine Fotos. Dieses Bild zeigt eine Hitler-Rede um 1928
Quelle: Getty Images

Was kann peinlicher sein als eine Versammlung in einem nur halb oder sogar weniger gefüllten Saal? Seit der Massenkundgebung des rechtsextremen und antisemitischen Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes im Münchner „Kindlkeller“ am 7. Januar 1920 wusste Adolf Hitler, was er unbedingt wollte: genau so eine Großveranstaltung seiner Deutschen Arbeiterpartei (DAP) mit mehreren Tausend Zuhörern.

Vermutlich ahnte er aber, dass sein Name noch nicht zugkräftig genug sein würde, um einen der riesigen Bierausschänke Münchens zu füllen. Deshalb warb der formale DAP-Vorsitzender Anton Drexler am 20. Februar 1920 einen in Bayern bekannten Redner an, den Mediziner Johannes Dingfelder. Er erklärte sich bereit, einen bereits fünfmal öffentlich gehaltenen Vortrag bei einer Versammlung der DAP zu wiederholen.

Mit dem beim völkischen Publikum angesehenen Dingfelder als Hauptredner wagte es die DAP am Samstag, dem 21. Februar 1920, für den folgenden Dienstag den großen Saal des „Hofbräuhauses“ zu buchen – er fasste vollbesetzt 2000 Personen. Am selben Tag kündigten rechtsradikale Zeitungen in München die Versammlung an; außerdem gingen Plakate in den Druck. Auf deren leuchtend rotem Papier wurde aufgerufen, am 24. Februar 1920 zu Dingfelders Vortrag mit dem Titel „Was uns not tut!“ zu kommen. Von Hitler war auf dem Plakat keine Rede.

circa 1923: Adolf Hitler (1889 - 1945), Leader of the National Socialist German Workers' Party. (Photo by Keystone/Getty Images) Getty ImagesGetty Images
Adolf Hitler auf einem Porträtfoto, aufgenommen Anfang der 1920er-Jahre
Quelle: Getty Images

Doch der „Werbeobmann“, also Chefpropapagandist, der DAP plante seinen eigenen Coup: Er wollte im Hofbräusaal mit einem Programm an die Öffentlichkeit treten. Seit Wochen arbeiteten einige Mitglieder an Entwürfen. Anfang Februar 1920 stand der Text im Wesentlichen, den Hitler und Drexler dann zwei Tage vor der Versammlung redigierten, ins Reine schrieben und in Druck gaben. Er umfasste 25 Punkte; eine Mischung aus nationalistischen, antikapitalistischen und antisemitischen Forderungen.

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Hitler, der aufgabengemäß die Leitung der Versammlung übernommen hatte, hielt sich an die Ankündigung und erteilte nach der Begrüßung sofort dem Gastredner das Wort. Der Saal war überfüllt. Unter den Zuhörern waren auch viele Anhänger linker Parteien, die aber während Dingfelders Vortrag nicht größer störten. Das lag sicher mit daran, dass er moderat auftrat, wie ein Berichterstatter der Münchner Polizei festhielt: „Die Ausführungen des Referenten waren durchaus sachlich und oft von tiefem religiösen Geist getragen.“

Titelblatt der Broschüre "Adolf Hitler – Sein Leben, seine Reden" von 1923
Titelblatt der Broschüre "Adolf Hitler – Sein Leben, seine Reden" von 1923
Quelle: Archiv Kellerhoff

Kein Mal sagte Dingfelder das Wort „Jude“. Ganz anders ein Teil des antisemitisch gestimmten Publikums: Ein halbes Dutzend Mal vermerkte der Polizeibericht Zwischenrufe wie: „Juden! Juden! Hinaus mit den Juden!“ Der Hauptredner ging darauf nicht ein, sondern schloss mit der Ankündigung: „Unser Volk wird einst erwachen! Dann wird es wieder genesen und dann wird es wieder wahr werden, dass am deutschen Wesen einst wird die Welt genesen!“

Eine ideale Vorlage für Hitler. Er dankte Dingfelder sowie den anwesenden politischen Gegnern „für ihr ruhiges Verhalten“ und versprach, dass „wir Ihnen dann auch nicht in den Rücken fallen werden“. Damit allerdings war sein Vorrat an Sachlichkeit aufgebraucht.

Denn nun steigerte er sich in die für ihn charakteristische Aneinanderreihung von Vorwürfen, nacheinander gegen die Regierung und ihre Beamten, gegen – natürlich angeblich jüdische – Kriegsgewinnler, Schieber und Wucherer sowie gegen Zeitungen. Seine Anhänger reagierten begeistert; der Polizeibericht vermerkte „lebhaften Beifall“, aber auch immer öfter Zwischenrufe wie „Nieder mit der Judenpresse!“ oder „Aufhängen!“.

Nun begann Hitler, die 25 Punkte des DAP-Programms zu verlesen: „1.Wir fordern den Zusammenschluss aller Deutschen auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes der Völker zu einem Groß-Deutschland. 2. Wir fordern die Gleichberechtigung des deutschen Volkes gegenüber den anderen Nationen, Aufhebung der Friedensverträge von Versailles und St. Germain. 3. Wir fordern Land und Boden (Kolonien) zur Ernährung unseres Volkes und Ansiedlung unseres Bevölkerungsüberschusses.“

Adolf Hitler with seven men at wreathed monument, ca. 1920. (BSLOC_2013_9_151) | Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Dieses Foto soll Hitler 1920 zeigen, stammt aber wahrscheinlich aus der Zeit um 1927
Quelle: picture alliance / Everett Colle
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So ging es in einem fort – prägnant formulierte, aber unflexible Maximalforderungen. Wenn die 25 Punkte umgesetzt seien, werde es kein weiteres Programm geben, hieß es weiter: „Die Führer lehnen es ab, nach Erreichung der im Programm aufgestellten Ziele neue aufzustellen, nur zu dem Zweck, um durch künstlich gesteigerte Unzufriedenheit der Massen das Fortbestehen der Partei zu ermöglichen.“

Das Publikum nahm das Programm gespalten auf. Seinerzeit besuchten oft auch politische Andersdenkende die Versammlungen von Parteien. Freizeitvertreib in einer Welt fast ohne Kinos, ohne Radio, erst recht ohne Fernsehen, in denen Theater zu teuer waren für Normalverdiener und die meisten Wohnungen reine Schlafstätten.

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„Während der Verlesung des Programms kam es von der Gegenseite oft zu Zwischenrufen, denen ,Hinaus’-Rufe folgten. Es herrschte oftmals ein großer Tumult, sodass ich glaubte, jeden Augenblick kommt es zu Schlägereien“, vermerkte der Berichterstatter der Münchner Polizeidirektion.

GERMANY - JANUARY 01: Adolf Hitler?s DAP (German workers?party) membership-card. Photography, 1920. (Photo by Imagno/Getty Images) [Mitgliedskarte Adolf Hitlers bei der Deutschen Arbeiter Partei. Photographie. 1920] Getty ImagesGetty Images
Die nachträglich ausgestellte, falsche Mitgliedskarte für Adolf Hitler. In Wirklichkeit war er das 55. Mitglied und bekam die Mitgliedsnummer 555
Quelle: Getty Images

Ähnlich sah es der Vertreter des „Völkischen Beobachters“, damals noch eine von der DAP unabhängigen Zeitung mit allerdings extrem rechter Ausrichtung: „Herr Hitler entwickelte einige treffende politische Bilder, die stürmischen Beifall fanden, aber auch die zahlreich anwesenden vorgefassten Gegner zum Widerspruch veranlassten.“ Die 25 Punkte des eigentlichen Programms erschienen ihm weniger bemerkenswert; sie kämen „in den Grundzügen dem Programm der deutschsozialistischen Partei“ nahe.

Die USPD-Zeitung „Der Kampf“ warf Hitler und Drexler gar ein Plagiat vor: Ihr Programm habe die DAP „der Einfachheit halber aus dem sozialistischen Programm“ abgeschrieben. Entsprechend lautete die Überschrift des Artikels: „Ein gestohlenes ,Programm‘!“

2-P75-P3-1920-B (1971930) Gründung der NSDAP / Festsaal Hofbräuhaus / Foto Nationalsozialismus: NSDAP. Gründung bzw. Umbenennung der Deutschen Arbeiterpartei in NSDAP, am 24. Februar 1920, im Hofbräuhaus in München.- - Blick in den großen Festsaal des Hofbräuhauses, mit einer Wandmalerei, die an den Gründungstag erinnert.- Foto. |
Die "Traditionsecke" im Festsaal des Münchner "Hofbräuhauses". Weder wurde hier am 24. Februar 1920 die NSDAP gegründet noch waren es "sieben wackere Kämpfer"
Quelle: picture alliance / akg-images

Obwohl die Präsentation des Parteiprogramms also durchaus unbefriedigend verlaufen war, bauschte Hitler den 24. Februar 1920 später zum Gründungsakt seiner NSDAP auf. In seinem Bekenntnisbuch „Mein Kampf“ schrieb er: „Als ich endlich die fünfundzwanzig Thesen Punkt für Punkt der Masse vorlegte und sie bat, selber das Urteil über sie zu sprechen, da wurden sie nun eine nach der andern unter immer mehr sich erhebendem Jubel angenommen, einstimmig und immer wieder einstimmig, und als die letzte These so den Weg zum Herzen der Masse gefunden hatte, stand ein Saal voll Menschen vor mir, zusammengeschlossen von einer neuen Überzeugung, einem neuen Glauben, von einem neuen Willen.“

Davon allerdings hatten die Berichterstatter der Münchner Presse, unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung, nichts mitbekommen. Es handelte sich um eine reine Stilisierung.

Adolf Hitlers perverse Fantasien

Nachdem der Freistaat Bayern eine Wiederveröffentlichung von Hitlers „Mein Kampf“ lange verhindert hatte, erschien im Januar 2016 eine kritische Edition des Instituts für Zeitgeschichte. WELT-Geschichtsredakteur Sven-Felix Kellerhoff kennt die Abgründe der antisemitischen Hetzschrift.

Quelle: Die Welt

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Wie übrigens auch die Behauptung, die DAP habe im Zusammenhang mit dem 25-Punkte Programm ihren Namen zu „Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei“ erweitert. Das ist zwar oft zu lesen, auch in der inzwischen vielfach als Maßstab geltenden Onlineenzyklopädie Wikipedia. Hier heißt es, „die offizielle Ummeldung von DAP in NSDAP (sei) bereits am 20. Februar 1920 vollzogen worden“.

In Wirklichkeit kam der neue Name erst um oder nach Ostern 1920 in Gebrauch. Am 1. März benutzten Hitler, der bereits an erster Stelle unterzeichnete, und der formale Vorsitzende Anton Drexler in einem Brief an die völlig unabhängig gegründete „Deutsche National-sozialistische Arbeiterpartei in Österreich“ noch die Selbstbezeichnung Deutsche Arbeiterpartei. Drei Tage später forderte Hitler bei einer weiteren Versammlung im „Hofbräukeller“ die Zuhörer ausdrücklich auf, „in die DAP“ einzutreten. Auch die Münchner Zeitungen benutzten in Artikeln über die Veranstaltungen der Hitler-Partei im März 1920 als Parteinamen das Kürzel DAP.

NSDAP-Parteiprogramm
NSDAP-Parteiprogramm in einer späteren Fassung als Februar 1920
Quelle: Archiv Kellerhoff

Erst Anfang April tauchte die Schreibweise „Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei“ auf; in einem Polizeibericht erstmals zu einer Versammlung am 6. April 1920. Persönlich verwendete Hitler den neuen Namen offenbar zum ersten Mal am 2. Mai bei einer Rede in Rosenheim. Zwei Wochen zuvor aber hatte er schon gesagt: „In diesem Sinne sind wir Nationalsozialisten.“

Nun hatte seine Partei nicht nur eine charismatische Führungsfigur, sondern auch ein Programm und einen attraktiven Namen. Der Aufstieg der Hitler-Bewegung begann.

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Dieser Artikel wurde erstmals im Februar 2020 veröffentlicht.

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