Kurz vor einem Bund-Länder-Treffen im Kanzleramt haben mehrere CDU-Politiker Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Untätigkeit in der Migrationspolitik vorgeworfen. "Die illegale Migration muss gestoppt werden. Es gibt dafür keine Akzeptanz in unserem Land", sagte Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) im Interview mit ZEIT ONLINE. "Das sehen wir an aktuellen Wahlergebnissen, die uns alle aufrütteln müssen. Die Menschen geben uns das Signal: Ändert endlich etwas!"

Bereits bei der letzten Ministerpräsidentenkonferenz hätten alle 16 Bundesländer die Botschaft an die Bundesregierung gerichtet: "Wir brauchen dringend einen wirklichen Richtungswechsel in der Migrationspolitik", sagte Wegner. Das wollten sie nun bekräftigen.

"Die Bundesregierung muss in entscheidenden Fragen der Migrationspolitik jetzt liefern", forderte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), Hessens Regierungschef Boris Rhein (CDU). Die Belastungsgrenze sei bei den Bürgerinnen und Bürgern und in vielen Städten und Gemeinden längst erreicht. "Das sehen wir in den Schulen, in den Kitas und auf dem Wohnungsmarkt", sagte Rhein. Zur Frage, inwiefern Asylverfahren in Dritt- oder Transitstaaten außerhalb der EU stattfinden können, habe die Bundesregierung Stellungnahmen von Experten eingeholt, sich aber bisher nicht selbst klar geäußert. "Wir erwarten bei der MPK eine politische Antwort auf die Frage: Will der Bundeskanzler daran arbeiten, Asylverfahren in Drittstaaten zu ermöglichen, oder nicht?", sagte Rhein.

Scholz soll Abschiebeverhandlungen zur Chefsache machen

Darüber hinaus erwarten die Ministerpräsidenten nach Rheins Angaben auch eine Antwort auf die Frage, "welche weiteren Rückführungsabkommen die Bundesregierung seit der letzten MPK am 6. März verhandelt beziehungsweise geschlossen hat". Die Länder selbst stünden zu ihrer Verantwortung "bei der praktischen Umsetzung der Abschiebungen". Entsprechende Voraussetzungen dafür müsse aber der Bund schaffen. 

"Ich erwarte, dass der Kanzler selbst mit den entsprechenden Ländern die Verhandlungen führt und das Thema zur Chefsache macht", sagte Rhein und verwies auf "Hebel, um den Druck auf die Staaten zu erhöhen, die ihre Staatsbürger nicht zurücknehmen wollen". Als Beispiele nannte der hessische Ministerpräsident die mögliche Rücknahme von Visazusagen und das Streichen von Entwicklungshilfe. "Und auch den Worten des Bundeskanzlers, Schwerstkriminelle nach Afghanistan und Syrien abzuschieben, müssen jetzt rasch Taten folgen", fügte Rhein hinzu. 

Das forderte auch der bayerische Ministerpräsident und Vorsitzende der CSU, Markus Söder. "Anstatt immer nur dieselben ideologischen Bedenken zu betonen, muss die Bundesaußenministerin sofort Gespräche mit den Taliban und dem Assad-Regime führen", sagte er der Augsburger Allgemeinen.

Merz fordert "Umsteuern in der Migrationspolitik"

Auch CDU-Chef Friedrich Merz warf Scholz vor, migrationspolitische Ankündigungen bisher "nicht wie versprochen umgesetzt" zu haben. "Bedenken der Koalitionspartner wurde eher stattgegeben, anstatt ein echtes Umsteuern in der Migrationspolitik einzuleiten", sagte Merz den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sagte der Rheinischen Post: "Die Sachverständigenprüfung der Bundesregierung hat ergeben: Asylverfahren in Drittstaaten sind grundsätzlich möglich." Vom Bundeskanzler erwarte er "Ernsthaftigkeit, Sorgfalt und Entschlossenheit bei der Prüfung, welches Modell das richtige für Deutschland ist". Einfach seien "solche Lösungen" nicht, räumte Wüst ein. "Aber angesichts der großen Belastungen für unsere Gesellschaft und ihren Zusammenhalt durch den Migrationsdruck müssen auch schwierige Wege betreten werden."

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte die Möglichkeit von Drittstaatsverfahren durch Experten prüfen lassen, von denen viele sich skeptisch zeigten. Über die Ergebnisse soll bei dem Treffen der Ministerpräsidenten mit Scholz an diesem Donnerstag beraten werden. Zudem dürfte es um die Ankündigung des Kanzlers gehen, den Abschiebestopp für Schwerkriminelle aus Afghanistan und Syrien aufzuheben.

Caritas warnt vor "Scheinlösungen rund um Asylfragen"

Gegen die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten sprach sich die Vorsitzende der UN-Flüchtlingshilfe, Ricarda Brandts, aus. "Solche Maßnahmen erhöhen das Risiko, dass Schutzbedürftige keinen fairen Zugang zu Asyl erhalten und ihre Rechte verletzt werden", sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Es sei wichtig, dass Asylverfahren transparent, gerecht und im Einklang mit internationalen Standards stattfänden.

Bremens Regierungschef Andreas Bovenschulte (SPD) äußerte sich ebenfalls kritisch gegenüber den Überlegungen. Er halte Asylverfahren in Drittstaaten außerhalb der EU nicht für geeignet, um die Migration einzudämmen. Die große Mehrzahl von Experten finde, dass das Modell kompliziert, teuer und kaum mit internationalem Recht zu vereinbaren wäre, sagte er im ARD-Morgenmagazin. Bovenschulte sprach sich dafür aus, vielen auf europäischer und nationaler Ebene beschlossenen Maßnahmen Zeit zu geben, um Wirkung zu entfalten.

Auch der katholische Wohlfahrtsverband Caritas warnte in den Zeitungen vor "Scheinlösungen rund um Asylfragen" und einer Stärkung menschenfeindlicher Ausrichtungen. "Weder den Menschen in Deutschland noch den Geflüchteten ist mit einer Auslagerung der Asylverfahren in Drittstaaten geholfen", sagte der Caritas-Vorstand für Finanzen und Internationales, Steffen Feldmann.