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Weinland Frankreich Alte Champagner

Wahre Lebensfreude braucht ihre Zeit

Odilon de Varine, Kellermeister bei Gosset, findet, dass Champagner bestens fürs Altern gerüstet ist Odilon de Varine, Kellermeister bei Gosset, findet, dass Champagner bestens fürs Altern gerüstet ist
Odilon de Varine, Kellermeister bei Gosset, findet, dass Champagner bestens fürs Altern gerüstet ist
Quelle: Gosset
Mit ihrer Frische vermitteln Champagner den Eindruck von Jugendlichkeit. Dabei gehören sie zu den Weinen, die am besten zu altern vermögen. Reife Jahrgänge trinkt man eher im Sitzen als im Stehen.

Ist Ihnen schon mal aufgefallen, wie unterschiedlich Champagner schmecken können? Da gibt es den Brut Nature, der mehr und mehr in Mode kommt. Frisch, knackig, viel Zitrusfrucht, animierend, ja wachrüttelnd. Aber vielleicht haben Sie auch schon mal einen Brut ohne Jahrgang (o. J.) einfach ein paar Jahre vergessen und nach dem Öffnen der Flasche über die Vielfalt an Aromen gestaunt: von Gebäck über eingelegte Früchte bis zu Nuss und einem Hauch von blondem Tabak. Vor allem aber war die Perlage ganz fein geworden, und das Getränk floss cremig über die Zunge. Sind gereifte Champagner die besseren?

Champagner hat sich als idealer Aperitif etabliert, zumal wenn es etwas zu feiern gibt. Dahinter steht ein sagenhafter Aufschwung: Wurden 1970 erstmals 100 Millionen Flaschen produziert, so waren es im vergangenen Jahr über 300 Millionen. Diese Steigerung war nur denkbar dank junger Champagner. Selbst die sind aber gar nicht so jung, wenn man sie mit trockenen Weißweinen vergleicht, die manche Weintrinker am liebsten schon zu Weihnachten nach der Weinlese hätten, spätestens aber zu Ostern.

Alte Champagner
Der Brut muss mindestens 12 Monate in der Flasche reifen
Quelle: Drappier

So läuft das beim Champagner nicht. Der Brut o. J., die Visitenkarte der Winzer und Häuser, muss mindestens zwölf Monate in der Flasche reifen. Beim Degorgieren vom Hefesatz im Flaschenhals befreit, muss er noch mindestens drei Monate ruhen, bevor er in die Regale kommt. So vergehen selbst beim jüngsten unter ihnen gut zwei Jahre, bevor der Korken knallen kann.

Alter bestimmt nicht die Qualität

Spendiert man sich einen Millésimé, einen Jahrgangs-Champagner, dann musste der mindestens drei Jahre reifen. Gerade jetzt bieten die auf Qualität ausgerichteten Häuser oft erst den Jahrgang 2014 an. Das legt nahe, dass ein ausgedehntes Hefelager ein Zeichen für bessere Qualität ist.

Da protestiert Michel Drappier, Chef des Champagnerhauses Drappier in der Côte des Bar. „Das ist, als würde man mich fragen, welches Bild das schönste wäre, eines von Picasso oder eines von Rembrandt, ein Tizian, der über vier Jahrhunderte alt ist, oder ein Vasarely? Meiner Meinung nach sind alte wie junge Werke bedeutend, und ich persönlich würde keine Wahl treffen. Und was Champagner angeht, ist der für mich ein Plural.“

Schätzt neben den ganz jungen besonders die alten Champagner: Michel Drappier, Chef des Hauses Drappier in der Côte des Bar. Sein Vater André kommt noch täglich vorbei und genehmigt sich eine Flöte Champagner
Schätzt neben den ganz jungen besonders die alten Champagner: Michel Drappier, Chef des Hauses Drappier in der Côte des Bar
Quelle: Drappier

Als Spezialist des Brut Nature liebt Michel Drappier dessen Frische, Spontaneität und Simplizität, ideal im Sommer auf der Terrasse oder im Winter, wenn einem vor dem Kamin zu heiß wird. Beim Champagner hat man es mit verschiedenen Altersstufen zu tun, erklärt Drappier und gesteht, dass er neben den jungen auch die ganz alten besonders schätzt.

Frankreichs nördlichstes Anbaugebiet

„Ich habe immer gegen die Idee gekämpft, dass Champagner ein Wein sei, der nicht zu altern vermag. Im Gegenteil, ich bin überzeugt, dass Champagner am besten fürs Altern gerüstet ist.“ Odilon de Varine, Kellermeister im Hause Gosset, führt die Geografie als Argument an. Schließlich ist die Champagne das nördlichste Anbaugebiet Frankreichs. „Man vergisst regelmäßig, dass Straßburg südlich von Épernay liegt“, betont er. „Das heißt, dass wir eine Reife erhalten, die völlig anders ist als die der anderen Anbauregionen.“

Trotz Klimaerwärmung erreichen die Trauben in der Champagne einen schwächeren Reifegrad als südlichere Gegenden und bewahren so die für Champagner unerlässliche Säure. Harmonie und aromatische Vielfalt entwickeln Champagner erst in den dunklen und praktisch konstant 12 °C kühlen Kreidekellern. Dort lässt man sie nach der Tirage (Abfüllung der Champagner für die zweite, die Flaschengärung) verweilen. Sobald sich die zweite Gärung in der Flasche vollzogen hat, beginnt die eigentliche Magie.

Die dafür verantwortlichen Hefen sterben allmählich ab, und die Autolyse setzt ein. Ihr Zelleninhalt wird durch vorhandene Enzyme abgebaut, wobei eine Vielzahl an Molekülen freigesetzt wird, die mit denen des Weins interagieren.

Sauerstoff dringt in die Flasche

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„Die Degradation der Hefen wird einen Beitrag zu den Aromen erbringen wie Brioche, Butter und Hefenoten, aber auch bei der Wahrnehmung im Mund, nämlich von Gras, von Rundheit und Fülle, durch Glutamat“, erklärt Etienne Eteneau, Verantwortlicher für Reben und Weine bei Champagne Nicolas Feuillatte. „Dieses Molekül, das auch in Sojasoße vorkommt, verursacht einen Geschmack, der das Verlangen nach einem weiteren Glas Champagner weckt. Dies hat man nicht bei Schaumwein, der keinen Ausbau auf Hefen erfuhr.“

Charline, Hugo, Michel, André Drappier
Charline, Hugo, Michel und Vater André Drappier stoßen mit einem hauseigenen Tropfen an
Quelle: Drappier

Obwohl die Hefen, ähnlich wie die Kohlensäure, der Oxidation entgegenwirken, dringt dennoch minimal Sauerstoff durch die Kapseln in die Flaschen. „Vor 15 oder 20 Jahren wussten wir das noch nicht“, erklärt Michel Davesne, Kellermeiser bei Champagne Deutz. „Durch den eindringenden Sauerstoff kommt es zu einer langsamen Oxidierung. Aufgrund mehr oder weniger dichter Kapseln kann man völlig unterschiedliche Champagner erhalten. Bei unseren Prestige-Cuvées nehme ich sehr viel festere Kapseln als beim Brut o. J.“

Die Wahl des Verschlusses entscheidet über eine schnellere oder langsamere Entwicklung in der Flasche. Für letztere ist die aktuelle Cuvée William Deutz 2009, die über acht Jahre auf den Hefen verbrachte, ein perfektes Beispiel. Neben intensiven, noch jungen Fruchtaromen zeigen sich feine Noten von Entwicklung wie Brioche, Gebäck und Toast, eine elegante Textur mit hinreißender Frische und viel Potenzial für weitere Alterung.

Degorgieren ist eine Revolution

Bevor Champagner den Weg in die große weite Welt antreten, müssen sie durch das Degorgieren von den Heferückständen befreit werden. „Das Degorgieren ist eine Revolution für den Wein“, sagt Michel Drappier. Über Jahre blieb er ohne äußere Einwirkungen in der Flasche und konnte in einem Milieu der Reduktion auf seinem Depot reifen. Gibt man ihm dafür ausreichend Zeit, kann er ein optimales Gleichgewicht erreichen.

„Die Champagne ist eine Region, in der man die Weine trinkreif kauft, selbst bei den Millésimés“, unterstreicht der junge Etienne Eteneau. „Hier übernimmt der Erzeuger die Lagerung und Reifung, manchmal bis zu 15 Jahre. Aber es gibt Champagner, die man nach drei Jahren trinken sollte, andere nach vier bis fünf, große Cuvées nach 12 oder 14 Jahren. Ihr Verbündeter ist die Zeit.“

So besticht die Prestige-Cuvée von Nicolas Feuillatte, Palmes d’Or Rosé 2008 durch ihre aromatische Vielfalt, die von roten Beeren über viele Gewürznoten bis zu trockenem Laub reicht, untermalt von feiner Tanninstruktur und exzellenter Frische. Trotz einer Komponente an feinen Evolutionsaromen noch ein Baby. Zwar schon trinkreif, aber bereit für eine große Zukunft. Ein faszinierender Start in ein zweites Leben.

Fingerzeig auf dem Rücketikett

Das beginnt zumal bei großen Champagnern nach dem Degorgieren. Von nun an reifen sie wie andere große Weine in der Flasche, allerdings unter dem besonderen Schutz der Kohlensäure. Das leider noch viel zu selten auf dem Rücketikett vermerkte Degorgier-Datum ist ein Fingerzeig für Weinliebhaber.

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„Früher habe ich Weine vorgezogen, die einen langen Ausbau auf den Hefen erfahren hatten und dann kürzlich degorgiert wurden, denn ich liebe die Frische im Champagner“, gesteht Didier Gimonnet, Kellermeister im Familiengut Pierre Gimonnet an der Côte des Blancs. „Heute begreife ich die Weinliebhaber, die einen alten Jahrgang mit Patina wollen.“

Kleine Illustration: Die Cuvée Fleuron 2014 zeigt intensive gelbe Zitrusaromen und eine Note von Brioche in der Nase, am Gaumen rund, frisch und mineralisch. Cuvée Fleuron 1995, 2001 degorgiert: sehr komplex, Aromen von Unterholz und Tabak im Bouquet, im Mund herrlich cremig, feinkörnig, exotische Gewürze, immer noch gute Frische, ein sublimer Genuss.

Mit den Jahren ändert sich die Struktur

„Wenn das Degorgieren zum richtigen Zeitpunkt geschieht, kann der Champagner die Jahre danach ohne Probleme durchschreiten“, so Odilon de Varine. „Natürlich wird er sich entwickeln. Er wird die Frische des Feierweins hinter sich lassen. Stattdessen wird er zu einem Wein mit einer ganz anderen Struktur. Er trinkt sich im Sitzen und nicht mehr im Stehen.“

Der Liebhaber alter Champagner blieb den Beweis nicht schuldig. Nach einem 15 Jahre alten brachte er in diesem Juni den Gosset Brut 12 ans de Cave à minima heraus. Helles Gold, feinste Blasen, sehr komplex mit weißen Früchten, zugleich geröstet, ein Hauch von Curry sowie Tabak und feine Salzigkeit. „In einer Welt, die immer schneller wird, nehmen wir uns die Zeit und bieten einen Wein an, der zwölf Jahre im Keller verbrachte. Wir geben Gelegenheit zu entdecken, was Zeit ist.“

Es wäre doch den Versuch wert, sich selbst Zeit zu gönnen, indem man einen Millésimé oder eine Grande Cuvée ein paar Jahre an einem kühlem dunklen Ort vergisst. So kann man die Tiefgründigkeit alter Champagner selbst entdecken.

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