Die Archäologen staunten nicht schlecht, als sie eine unterirdische Grabkammer im südspanischen Carmona untersuchten. In sechs Wandnischen fanden sie Urnen, unberührt von Grabräubern, mit Asche und menschlichen Skelettresten aus römischer Zeit.
Dass sich neben Bernsteinperlen und Stoffresten ein verschlossenes Kristallgefäß mit Parfüm in dem Mausoleum fand, das sich genauer analysieren ließ (es enthielt die Duftpflanze Patschuli), ist schon spektakulär. Der Inhalt einer Urne aus Glas stellt diesen Fund allerdings noch in den Schatten.
Nicht etwa, weil darin, wie sich zeigen sollte, ein Goldring mit Janus-Gravur und die (eingeäscherten) Überreste eines Mannes lagen. Sondern vor allem, weil sie bis oben mit einer rötlichen Flüssigkeit gefüllt war – nach rund 2000 Jahren! „Wir waren zunächst sehr überrascht, dass in einer der Graburnen Flüssigkeit aufbewahrt wurde“, erklärt der Stadtarchäologe von Carmona, Juan Manuel Román, in einer Mitteilung.
In der Gruft herrschten gute Lagerbedingungen. Zudem dürften ein Deckel und eine zusätzliche Schutzhülle aus Blei geholfen haben, dass relativ wenig verdunstete. Wie die chemischen Analysen eines Forscherteams an der Universität in Córdoba aktuell im „Journal of Archaeological Science“ zeigen, handelt es sich tatsächlich um Wein. Und dieser lässt sich sogar genauer beschreiben.
Carmona ist eine Kleinstadt etwa 43 Kilometer nordöstlich von Sevilla. Unter der römischen Herrschaft im 1. und 2. Jahrhundert blühte dieser an einem Fluss gelegene Ort in der Provinz „Baetica“ auf, es existieren noch heute Bauten aus dieser Zeit. Berühmt ist die große, gut erhaltene Nekropole, wo sich auch die erwähnte Grabkammer befindet. Bei Ausgrabungen im Jahr 2019 stieß man auf den Schaft, der zu diesem unterirdisch angelegten Mausoleum führte.
Die mit geometrischen Mustern verzierte Felsengruft, 3,29 Meter lang und 1,73 Meter breit, diente im frühen ersten Jahrhundert vermutlich als Familiengrab. Eines, das über 2000 Jahre praktisch ungestört geblieben war. Nicht alle acht Wandnischen waren benutzt. Doch in sechs fanden die Archäologen neben Grabbeigaben auch Urnen mit den eingeäscherten Überresten jeweils eines Menschen: drei Frauen und drei Männer, darunter eine Frau namens Hispana und ein Mann namens Senicio, wie Inschriften besagen.
Mit Blick auf die Details – Essensreste, verbrannte Stoffe, ein augenscheinlich absichtlich zerbrochenes Glasgefäß – versuchen Forscher sich ein Bild von den Bestattungsritualen von einst zu machen. Zwei der Urnen waren aus Glas gefertigt und in Behältnissen aus Blei aufbewahrt, und das erwies sich als Glücksfall: In beiden fand sich Asche samt Knochenresten, aber während die eine völlig trocken war, enthielt die andere zudem eine alkoholische Flüssigkeit, Wein. Da ist sich das Team um Chemie-Professor José Rafael Ruiz Arrebola inzwischen sicher.
Eine Vergleichsanalyse von charakteristischen Substanzen, wie Polyphenole oder Mineralsalze, weisen diesen zudem als „Fino“ aus. Ein Weißwein, darauf weist unter anderem das Fehlen der sogenannten Syringasäure hin, der vermutlich aus der Region Montilla-Moriles in Andalusien stammte, wo man solche Weine nach wie vor produziert.
Anhand der Messdaten verschiedener Biomarker schränken die Forscher das Herkunftsgebiet sogar weiter ein: Der damals für die Bestattung verwendete Rebsaft könnte demnach aus den Weinbergen rings um die Gemeinde Doña Mencía stammen; ein frischer Fino von dort ähnelte in seinem Profil dem Wein in der Glas-Urne. Dieser Wein war einst Teil eines Totenrituals, das offenbar Männern, aber nicht Frauen zu Ehren kam, mutmaßen Archäologen. Und die rötliche Färbung geht wohl auf Zusätze in der Urne zurück, eine Leckage, chemische oder physikalisch-chemische Prozesse, so die Chemiker, und ist ein Zeichen der Zeit.
Mit einem Alter von rund 2000 Jahren, berichtet das spanische Team, dürfte es sich um den ältesten flüssigen Rebenwein weltweit handeln. Dieser Titel gebührte bisher einer Flasche, die man 1867 bei Ausgrabungen in Speyer in einem Steinsarkophag entdeckt hatte. Sie stammt aus dem frühen 4. Jahrhundert und enthält über einem flüssigen Bodensatz ein festes, harziges Gemisch. Das bildete sich wohl, weil Olivenöl zugesetzt wurde, um den gewürzten Traubenwein darin vor eindringender Luft zu schützen.
Heute lagert dieser „Römerwein“ im Historischen Museum der Pfalz in Speyer. Das beherbergt übrigens auch eine Flasche des deutschen Wein-Jahrgangs 1678. Gefunden wurde diese am Steinauer Weinberg bei Naumburg an der Saale – und gilt als älteste gefüllte Weinflasche aus Deutschland.