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„Die Reben waren wie Junkies“

Weinlese von Hand hat im Bordelais nichts mit Romantik zu tun. Sie gehört oft zum Arbeitsstandard Weinlese von Hand hat im Bordelais nichts mit Romantik zu tun. Sie gehört oft zum Arbeitsstandard
Weinlese von Hand hat im Bordelais nichts mit Romantik zu tun. Sie gehört oft zum Arbeitsstandard
Anfangs erschien mancher Weinberg im Bordeaux wie ein Chemielabor und die Weinstöcke wie Abhängige. Doch das hat sich längst gewandelt.

Als Bio-Winzer haben wir in Jahren wie 2019 einen großen Vorteil“, sagt sich Stephan Graf Neipperg in Saint-Emilion. „Die Trauben reifen früher. Die Böden arbeiten wesentlich besser. Wir haben dieses Jahr den mengenmäßig größten Jahrgang jemals eingebracht.“ Seit seiner ersten Lese auf Château Canon La Gaffelière 1985.

Seit einigen Jahren stellt der Graf aus einem nordschwäbischen Adelsgeschlecht fest, dass sich mit seinem – 2014 zertifizierten – Bioanbau gute Erträge erzielen lassen. Doch es war ein langer Weg. Er begann vor inzwischen 30 Jahren, als mittels Gründüngung und Kompost wieder Leben in die Weinbergsböden gebracht wurde, um die natürliche Resistenz der Rebstöcke zu stärken. Bioanbau fordert viel Einsatz und ein motiviertes und überzeugtes Team, das zur Not auch am Wochenende einsatzbereit ist.

Trotz des Mehraufwands, den Biowein verlangt, gibt es aktuell in Frankreich eine neue Welle an Umstellungen. 2018 wurden für 13.968 Hektar Reben die Zertifikation beantragt. Zählt man bereits anerkannte Flächen und Betriebe in ihrem 2. und 3. Jahr der Umstellung auf Bio hinzu, schnellt die gesamte Bioweinfläche Frankreichs um 20% auf gut 94.000 Hektar in die Höhe – zwölf Prozent des gesamten französischen Weinbaus. Von den 2017 auf den Markt gebrachten 2,21 Millionen Hektolitern Biowein gingen 43% in den Export – Hauptabnehmer Deutschland.

Biowein-Nachfrage wächst

Mit 166,8 Millionen verkauften Flaschen sind wir die Champions des Bioweinkonsums, gefolgt von den Franzosen mit 111,6 Millionen Flaschen. Und die Nachfrage wächst. Eine Initiative des Verbandes SudVinBio im Languedoc-Roussillon entwickelte deshalb das Label CAB. Es kennzeichnet Weine, die im zweiten oder dritten Jahr des Umstellungsprozesses auf Bioanbau entstanden sind. Es soll den Winzern helfen, diesen Prozess wirtschaftlich besser zu überstehen und die Nachfrage gezielter befriedigen.

Neben dem Siegel für zertifizierte Bioweine taucht in Frankreich immer öfter auch das Siegel HVE auf. Es steht für „Haute Valeur Environnementale“, zu deutsch „hoher Umweltwert“. Bei Bioweinen wird zertifiziert, dass sie im Weinberg ohne synthetische Mittel, Kunstdünger und chemische Unkrautvernichter erzeugt wurden und im Keller auf bestimmte Praktiken verzichtet wird. HVE dagegen zertifiziert den Betrieb als solchen, insbesondere seine Maßnahmen zum Erhalt und zur Förderung der Biodiversität. Beide Zertifikate sind komplementär.

In Pessac-Léognan, auf den Weingütern der Familie Bonnie, den beiden Châteaux Malartic-Lagravière und Gazin Rocquencourt, hat Jean-Jacques Bonnie, seit er vor 15 Jahren die Verantwortung übernahm, sich stark für die Umwelt engagiert. Dazu gehörten über einige Jahre Experimente mit Bioanbau und Biodynamie. 2015 folgte die Zuerkennung des HVE-Siegels und in diesem Jahr die der ISO 14001, der international anerkannten Norm für nachhaltiges Umwelt-Management.

Nicht immer so wie man es sich wünscht

„Wir wollen kein Bio-Zertifikat erwerben, weil für uns einige Maßnahmen und Methoden sinnvoll sind, die im Bioanbau nicht akzeptiert werden“, betont seine Frau Séverine. Wie viele Winzer heute konzentrieren sich die Bonnies auf höchste Präzision. Dazu gehören zwei Traktoren, die nicht an den Blättern haften bleibende Spritzmittel auffangen. Aber auch Pferde für komplizierte Parzellen mit weichen Böden oder jungen Reben. Auf ihren lebendigen Böden entstehen hochklassige Weine, wobei Château Gazin Rocquencourt sich einer besonderen Fangemeinde in Deutschland erfreut.

Doch nicht immer geht es so, wie man es sich wünscht. „Als wir Château Smith Haut Lafitte 1991 übernahmen, haben wir sofort mit der Biodynamie begonnen“, sagt Florence Cathiard, „und es war ein Desaster. Denn wir fanden einen chemischen Weinberg vor. Die Reben waren wie Drogenabhängige. Mit unseren brutalen Biomethoden haben wir viel beschädigt. Wir brauchten vier Jahre, bis es mit unserem Kompost funktionierte.“

2019 wurde das Gut für seine inzwischen herausragenden Weine mehrfach ausgezeichnet, darunter auch mit der Bio-Zertifizierung und als bestes französisches Weingut unter den Top 50 der Welt. Heute wird die Hälfte der rund 80 Hektar Weinberge biodynamisch bearbeitet. „Ich bin überzeugt, dass es eine Wechselwirkung zwischen Pflanzen und Tieren gibt“ sagt Gutsleiter Fabien Teitgen. „Wenn die Rebe in eine Atmosphäre vielfältigen Lebens zurückkehrt, dann geht es ihr besser. Deshalb arbeiten wir viel daran.“

In die Biodynamie hineingerutscht

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Otto Rettenmaier „rutschte“ in die Biodynamie ohne eigenes Zutun hinein. Als der Gutsverwalter 1994 in den Ruhestand ging, übernahm er die Leitung des Château La Tour Figeac Saint Emilion Grand Cru Classé, das sein Vater, ein Heilbronner Unternehmer, 1972 erworben hatte. Für Weinberg und Keller engagierte er damals eine junge Frau namens Christine, die bereits Erfahrungen mit Biodynamie gemacht hatte und ihn gerade heraus fragte, was er davon hielte, wenn sie entsprechend arbeiten würden.

„Eigentlich kam mir das entgegen, denn die ganze moderne Herangehensweise, die war mir nicht so ganz geheuer“, sagt Rettenmaier. Außerdem zog er als Berater den heute weltberühmten Stephane Derenoncourt hinzu, der Christine zwei, drei Jahre später heiratete. Bereits 1997, im ersten Jahr biodynamischer Praxis, das vom Wetter her alles andere als einfach war, überzeugte das Ergebnis. Über die Jahre gelang es auf La Tour Figeac, die Qualität auf ein hohes Niveau zu heben und dem Wein Eleganz, Harmonie und Ausgewogenheit zu verleihen.

„Ich war nie 100 Prozent bio-dynamisch“, gesteht Otto Rettenmaier. „Den mehr philosophisch-religiösen Teil, den hab ich mir gespart“ – und hat inzwischen die Bio-Zertifizierung eingeleitet. „Früher war das unwichtig. Jetzt will der Handel wissen: Seid ihr zertifiziert oder nicht? Ich werde das dann trotzdem nicht groß aufs Etikett schreiben.“

Château Guiraud in Sauternes war 2011 das erste unter den Premiers Crus Classés, dessen Bioanbau auf über 100 Hektar Weinbergen offiziell anerkannt wurde. Dabei hatte sein Chef Xavier Planty bereits 1996 auf zunächst zwölf Hektar damit begonnen. Behutsam und aufmerksam, nie brutal. Von positiven Erfahrungen ermuntert, ging er daran, das ganze Gut neu auszurichten. Unter anderem pflanzte für das natürliche Gleichgewicht auf zwölf Kilometern neue Hecken. „Wir beobachten unsere Weinberge genau,“ sagt Plantys Sohn Luc, inzwischen für das Chateau verantwortlich.

Ein heißes Eisen bleibt das Pflanzmaterial

„Wir machen nichts, weil man es machen sollte, sondern wir machen nur dann etwas, wenn es dem Terroir, den Reben oder dem Boden nützt.“ So lässt er den Raum zwischen den Rebzeilen begrünt, denn die dortigen Pflanzen sind Indikatoren, die wichtige Informationen über das Befinden der Reben und des Bodens liefern. „Das Besondere in Sauternes ist, dass wir mit Edelfäule arbeiten, die zu 100 Prozent natürlich ist. Also müssen wir alles tun, damit sie sich explosionsartig entwickelt. Denn je jünger sie ist, um so reiner ist die Aromatik.“ Das beweisen die Sauternes des Château Guiraud mit Reinheit, Finesse und Mineralität vorbildlich.

Ein heißes Eisen bleibt das Pflanzmaterial, bei dem man „Klon-Selektion“ und „Massen-Selektion“ unterscheidet. Erstere vervielfältigt in einer Rebschule zu 100 Prozent das genetische Material der Pflanze, alle Reben und alle Trauben sind vollkommen identisch. Dies führt zu genetischer Verarmung und kann den gesamten Rebbestand anfällig machen.

Bei der „Massenselektion“ wählt in der Regel der Winzer selbst besonders geeignete Pflanzen verschiedener Eigenschaften (der Masse aller Gene). Gemeinsam angebaut, erhalten sie die genetische Vielfalt eines Weinbergs. Ein gelungenes Beispiel ist Graf Neippergs Sammlung authentischer Mutterreben. Seine Neupflanzen aus Massenselektionen erweisen sich als gesünder und kräftiger, die Weine gewinnen eine herausragende Komplexität.

Insgesamt mehren sich die Initiativen, im Einklang mit der Natur den Ausdruck der Weine zu vervollkommnen. Damit hat ein ganz neues Kapitel der Weingeschichte begonnen. Nicht nur in Bordeaux.

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