Während der Besichtigung dieses Bunkers denke ich immer wieder: Was, wenn jetzt Ernstfall wäre? Wenn Bomben fielen und wir mit Tausenden anderen hier „gefangen“ wären, auf der Flucht, eine Notgemeinschaft, zufällig zusammengewürfelt auf engstem Raum.
Unser Aufenthalt ist auf zwei Wochen ausgerichtet. Was wir „besitzen“: 1 Rolle Klopapier (der Durchschnittsverbrauch liegt bei 17,2 Blatt pro Tag), 1 Grubentuch, 1 Stück Seife, 1 Tüte, 1 Moltexdecke als Unterlage für die durchgeschwitzten Betten; außerdem 1 Trinkbecher, 1 Suppenschüssel, 1 Löffel (keine Messer und Gabeln, die man als Waffen oder Suizidwerkzeuge verwenden könnte).
Bei 2702 Menschen sind die Temperaturen tropisch, die Luftfeuchtigkeit liegt bei 90 Prozent. Viren fühlen sich in diesem Klima wohl. Deshalb gibt es einen spartanischen Rettungsraum: mit wenig Medikamenten, dafür mit Leichensäcken.
Doch das Schlimmste bleibt die klaustrophobische Enge – und die Langeweile. Denn Spiele oder Bücher sind nicht vorhanden. Dafür Sitze mit Gurten und Schaumgummistützen in Kopf und Nacken.
Wir teilen uns mit drei Leuten im Wechsel eine Spannfedermatratze; sie sind in „Schlafsälen“ zu 150 Stück als Dreierstockbetten gestellt. Acht Stunden dürfen wir ausruhen, die restliche Zeit müssen wir sitzen oder wenige Schritte tun. Zum Beispiel zu den Toiletten mit ihren Spiegeln aus polierten Metallplatten und Klokabinen, die einfach nur einen Vorhang haben.
„Für das körperliche Wohl ist in den kulinarischen Genusstempeln gesorgt“, merkt der etwas sarkastische Ehrenamtliche des Vereins Hamburger Unterwelten trocken an. Das Wichtigste an der dort ausgegebenen Komprimatverpflegung (= pulverförmige Mischnahrung) sind die 2400 Kalorien, die sich auflösen lassen in warmem Wasser; man kann sie aber auch so verzehren.
Nein, schön wäre es hier in Wirklichkeit sicher nicht!
Grusel im größten Tiefbunker von Hamburg
Doch es ist wahnsinnig interessant, durch die betonierten Räume zu laufen und sich diese Was-wäre-wenn-Ausnahmesituation vorzustellen. Dass man sich dabei gruselt, gehört zu den Erkenntnissen, die man auf einer solchen Tour immer mitnimmt.
Ein Bunkertrip ist auch eine Schutzimpfung gegen rechtsnationalen Populismus und für das hohe Gut Frieden. Dabei war dieses dreigeschossige unterirdische Bauwerk sogar ein „Luxusbunker“. Es gab Notstromaggregate, Trinkwasserbrunnen und Filtersysteme, die selbst ABC-Gifte aus der Luft ziehen konnten. Lediglich einen Atombombenabwurf in einem Umkreis von zwei Kilometern hätte niemand überlebt: Dafür hat der größte Tiefbunker Hamburgs eine viel zu geringe Mauerstärke.
Obgleich ihn die Nazis in den letzten Kriegsjahren errichtet hatten, „entdeckte“ man ihn zu Zeiten des Kalten Krieges neu. Die Einrichtung stammt original aus der Zeit zwischen 1964 und 1969, ebenso die Leuchtfarbe zu den Ausgängen, die noch 20 Minuten nach einem totalen Stromausfall sichtbar bleibt.
Spätestens wenn sich im Schleusengang automatisch und sehr schnell die Türen schließen, ziehen einem Szenen durch den Kopf, die sich hier, 12 bis 14 Meter unter dem wuseligen Hauptbahnhof, abspielen könnten – und man sieht die Nachkriegszeit und die Gegenwart wieder ein wenig anders ...
Informationen zum Bunker:
Der Tiefbunker liegt am Steintorwall unter dem Hauptbahnhof Hamburg (Westseite), der Hauptbahnhof ist mit U- und S-Bahnen gut zu erreichen. Touren finden etwa 14-tägig statt, meist um 14 Uhr. Tickets und genaue Termine online: hamburgerunterwelten.de. Wichtig! Es geht steile Treppen hinab und hat konstant 12 Grad Celsius – also warme Kleidung anziehen! Die Tour dauert etwa 100 Minuten, Eintritt: 8 Euro (Mindestalter: 12 Jahre).
Der Artikel ist ein Auszug aus dem jüngst erschienenen Buch „Hamburg – Abenteuer“ von Matthias Kröner, Michael Müller Verlag/mm-abenteuer.de. Das Buch beschreibt 33 Erlebnisse in und um Hamburg, die außergewöhnlich sind und abseits üblicher Touristenrouten stattfinden. Der Verfasser ist Reisebuchautor (fairgefischt.de).
Pool, Spielbank, Kino, Bar – Schweizer Firma baut Bunker für Superreiche
Als der Krieg in der Ukraine begann, wurde auch in Deutschland plötzlich nachgeschaut und nachgezählt: Wie steht es im Ernstfall um unsere Bunker? Dass es selbst bei diesem Thema ganz andere Dimensionen gibt, zeigt ein Schweizer Unternehmen. Denn das bietet für den Ernstfall Luxus-Bunker an.
Quelle: WELT / Max Seib / Kevin Knauer