Bonjour Tristesse. Wer als Reisender in Gelsenkirchen, Ludwigshafen oder in Frankfurt/Main aus dem Bahnhof läuft, bekommt erst einmal schlechte Laune. Die Gegenden sind seit Jahren eine Beleidigung fürs Auge, und das lässt sich leider auch nicht schönreden. Das ist schade, denn eigentlich sollten gerade Bahnhöfe eine Visitenkarte für ankommende Besucher darstellen. Bekanntlich ist der erste optische Eindruck entscheidend, und das gilt nicht nur zur Einschätzung von Personen, sondern auch von Orten.
Deshalb wäre es heuchlerisch, sich über das Entsetzen ausländischer Fußballtouristen aufzuregen, die gerade auf allen Kanälen über die EM-Gastgeberstädte Gelsenkirchen und Frankfurt/Main lästern. So spottet der britische Fußballfan Paul Brown nach seiner Ankunft im Gelsenkirchener Hauptbahnhof auf dem Kurznachrichtendienst X: „Gelsenkirchen sieht aus wie ein absolutes Drecksloch!“
Zugleich bekommt auch das Bahnhofsviertel von Frankfurt/Main sein Fett ab, es sei ein „Zombieland“ und ein „Höllenloch“, warnen britische und belgische Medien ihre Fußballfans.
Man könnte das natürlich diplomatischer formulieren, doch die deftige Kritik ist nicht unberechtigt. Sowohl Gelsenkirchen als auch Frankfurt/Main führen, neben Ludwigshafen, bei diversen Rankings als hässlichste Städte Deutschlands, und das nicht ohne Grund.
Ihre Unansehnlichkeit steht ihnen im Wege, egal, wie sich das jeweilige amtierende Stadt-Marketing auch bemüht. So unterstützte etwa Ludwigshafen jahrelang bewusst Touren durch seine hässlichsten Ecken, bis die Förderung als wenig zielführend gestoppt wurde.
Da fragt man sich: Warum schaffen es diese Städte nicht, sich aufzuhübschen oder für Reisende spannende Angebote vorzuschlagen, gerade vor Großereignissen wie der Fußball-EM? Immerhin erwartet das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung 600.000 ausländische EM-Touristen mit 1,5 Millionen Übernachtungen, die eine Milliarde Euro einbringen. Und falls es den Gästen unterwegs gut gefällt, kommen sie wieder.
Dem Marketing von Gelsenkirchen fällt nicht viel ein
Ob das freilich für Gelsenkirchen gilt, bleibt fraglich. Die Stadt im Ruhrgebiet hat es nicht leicht. Einst lästerte man über Gelsenkirchener Barock, Synonym für schlechten Geschmack, in den 1960ern galt die Stadt als Industrieansammlung mit Wohnmöglichkeit. Heute sind Stahl und Kohle weg, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Keine glorreichen Voraussetzungen. Dabei hat Gelsenkirchen eine touristische Besonderheit: Sie ist die beste Event-Stadt des Westens für Sport und Konzerte, dank der gigantischen Veltins Arena.
In der Heimat von Schalke 04, mit fast 164.000 Mitgliedern einer der größten Fußball-Clubs weltweit, gibt es sogar geführte „Schalke-Touren“ durch die Stadt. Zur Einstimmung könnte man Fußballtouristen diese Runde empfehlen, statt sie am Bahnhof stehenzulassen.
Doch dem Marketing von Gelsenkirchen fällt dazu bloß ein Kurzvideo ein. Auf die Frage „Gefällt euch Gelsenkirchen?“ jubeln vier angeheiterte britische Fußballfans im Chor: „Jaaaa!“ Das ist Schöntrinken, aber keine Tourismusstrategie.