„Jahrhundertbauwerk“ Brenner-Tunnel

Ab durch die Röhre: Wenn es von Innsbruck nach Südtirol nur noch 45 Minuten dauert

Am 6. Juli 2020 erreichte beim Erkundungsstollen Ahrental–Pfons die Tunnelbohrmaschine Günther (benannt nach dem Landeshauptmann) und damit der letzte im Baulos Tulfes–Pfons den Durchbruch.

Am 6. Juli 2020 erreichte beim Erkundungsstollen Ahrental–Pfons die Tunnelbohrmaschine Günther (benannt nach dem Landeshauptmann) und damit der letzte im Baulos Tulfes–Pfons den Durchbruch.

„Ein Projekt, das verbindet“, lautet der Schriftzug über den beiden großen Löchern, die zu Halbkreisen geformt sind und in den Berg hineinführen. Und: „Hier entsteht der Brenner-Basistunnel.“ Es ist der südliche Eingang in Südtirol rein in die Röhre, die durch die Alpen gebohrt wird und nach 64 Kilometern in Österreich wieder herauskommt, bei Innsbruck. Hier, beim Ort Franzensfeste, ist das Südportal, auf Italienisch heißt es: „Portal Sud Fortezza“. Eine Statue der Heiligen Barbara darf nicht fehlen, sie ist Schutzpatronin der Bergleute.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

„Ein Jahrhundertwerk“ nennt es Martin Ausserdorfer an diesem Ort mit seinen Tälern und Bergen, mit den unendlich vielen Apfelbäumen und Weinstöcken. Der 42-Jährige ist ein zupackender Typ, er leitet die so genannte Beobachtungsstelle des Brenner-Basistunnels. Diese begleitet und überwacht den Bau und ist vor allem Ansprechpartner für die Bevölkerung. Ausserdorfer organisiert gerade den diesjährigen „Tag des offenen Tunnels“, am 8. Juni werden wieder tausende Menschen kommen, schauen und eine Zeitlang selbst in diese ganz andere, neue Welt unter den Bergen gebracht werden.

Größtes europäisches Projekt

Der Tunnel ist das größte europäische Verkehrsprojekt. Im Jahr 2032 oder mit einer gewissen Bauerverzögerung 2034 - genau weiß man es noch nicht - sollen die ersten Züge durchfahren. Die einen sollen die Lkw aufladen, die sonst die Brenner-Autobahn quälend verstopfen. Die anderen werden Personen befördern, welche dann auf dem Weg in den Süden oder zurück lieber die Bahn als das Auto nehmen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Die Fahrtzeit von Innsbruck nach Bozen in Südtirol würde nicht wie bisher zwei Stunden dauern, sondern 45 Minuten. Und die große Strecke von München nach Verona wäre in drei Stunden bewältigt, jetzt sind es mit der schnellsten Zugverbindung 5 Stunden und 22 Minuten. Mit dem Pkw weiß man nie, wie lange es dauert - das können fünf Stunden sein, im Stau aber auch mal zehn.

Die Alpen mit ihren Bewohnern würden dann massiv von Lärm und verstopften Straßen entlastet, größere Teile des Verkehrs auf die ökologischere Bahn umgeleitet werden. Alle würden, wenn die Züge pünktlich sind, schneller ankommen und wüssten auch wann.

Werden die Kosten explodieren?

In den beiden Tunnelröhren in Franzensfeste ist es kalt. Sie sind an die acht Meter hoch, Menschen sehen darin klein aus, ebenso wie die Autos und Lastwagen, die immer wieder rein und raus fahren. „Wenn es fertig ist, sieht man von außen nicht viel vom Tunnel“, meint Julia Gruber, Südtiroler Sprecherin der grenzüberschreitenden Betreibergesellschaft für den Tunnelbau, die Brenner Basistunnel BBT SE. Diese wird von Italien und Österreich getragen. Das Gelände davor, das jetzt aus hellem Schotter besteht, werde begrünt. „Und es kommt ein Fußballplatz hin.“

Das Südportal in Franzensfeste.

Das Südportal in Franzensfeste.

Kann ein solches Megaprojekt gelingen? Ohne größere Widerstände, mit nicht sehr viel zeitlicher Verzögerung und einer gewissen Erhöhung der Kosten, aber keiner Explosion? Man war von neun Milliarden Euro ausgegangen, jetzt schätzt man 10,5. Die Erfahrungen in Deutschland mit vergleichbaren Vorhaben sind desaströs - siehe Stuttgart 21, den Berliner Flughafen oder die zweite Münchner S-Bahn-Stammstrecke, wo alles viel, viel, viel teurer wird oder geworden ist und erst viel, viel, viel später fertiggestellt.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Martin Aussendorfer leitet die so genannte Beobachtungsstelle des Brenner-Basistunnels.

Martin Aussendorfer leitet die so genannte Beobachtungsstelle des Brenner-Basistunnels.

Die Südtiroler und auch die Österreicher, wie man später sehen wird, scheinen da Rezepte zu haben. „Es sind viele kleine Dinge, die die Menschen stören“, sagt Martin Ausserdorfer, „man muss da sensibel sein und auf Augenhöhe sprechen, nicht von oben herab.“ Er hat ein Beispiel: Ein Bauer kam wegen einer BBT-Baustelle nicht mehr auf seine Wiese. „So etwas lässt sich lösen, muss gelöst werden.“ Das könne man nicht von Rom oder von Wien aus machen, das müsse vor Ort geschehen. Er, der sich als „gute Seele und Watschnmann“ sieht, sagt: „Ich kenne hier jeden.“

In der trutzigen Festung Franzensfeste wird Kunst gezeigt - und in mehreren Räumen gibt es den „BBT-Infopoint“. Dessen Leiter Heinz Tschigg meint: „Es gibt kaum einen Südtiroler, der noch nicht hier war.“ Auch viele Urlauber kommen, um sich anschaulich über die Geschichte des Brenners zu informieren, die von den Alpenüberquerungen durch die Römer bis zum BBT reicht.

Zehn Kilometer im Norden in Mauls ist derzeit die größte BBT-Baustelle. Helm, Warnweste und Sicherheitsstiefel sind Pflicht, rein in den Tunnel. Bei schummrigem Licht fährt man lang durch die Röhren. Es gibt viele Abzweigungen vom einen in den anderen Tunnel, Abkürzungen, da würde man sich leicht verfahren. Man gelangt zu dem großen, hallenartigen Ort, den sie die „Kathedrale“ nennen. Es ist ein Knotenpunkt mit einer 20 Meter hohen Decke. Arbeiter laufen umher, Baumaterial ist gelagert, mehrere Lkw sind abgestellt. Das Förderband rasselt, auf ihm werden die vielen Tonnen Gesteinsbrocken nach draußen transportiert, die beim Bohren und Sprengen immer tiefer hinein in den Berg anfallen.

Die so genannte Kathedrale ist ein Knotenpunkt mit einer 20 Meter hohen Decke.

Die so genannte Kathedrale ist ein Knotenpunkt mit einer 20 Meter hohen Decke.

„Wir haben jetzt sehr weiches Gestein gefunden“, sagt die Projektmitarbeiterin Giuditta Vecchione. Vom Gestein ist abhängig, wie man bei den Röhren vorgeht, was man benötigt, damit die gewaltigen Berge darüber nicht runter brechen. Unter dem Wolfendorn im Zillertal ist die größte Stabilität erforderlich - der Berg erstreckt sich vom Tunnel aus 1800 Meter in die Höhe.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

2,5 Millionen Lkw fahren im Jahr über die Brennerautobahn und 14 Millionen Pkw. 200 Züge passieren die jetzige Strecke täglich - mehr geht nicht. Die Umweltdaten haben sich verbessert, da nicht mehr so viele giftige Abgase ausgestoßen werden wie früher. Der Lärm ist geblieben - und vor allem der Stau. Der Brenner-Basistunnel dürfte ein großer Wurf werden.

Weiter Richtung Norden, in die Nähe von Innsbruck, wo der eigentliche Tunnel endet oder beginnt - je nach Fahrtrichtung. In der Sillschlucht wird fleißig gewerkelt. BBT-Sprecher Andreas Ambrosi redet über eine 200 Meter lange und neun Meter hohe Stützwand, 130 Meter Vortunnel und zwei Eisenbahnüberführungen. Per Gesetz wurden viele ökologische Vorschriften gemacht: Es entsteht ein Naherholungsgebiet, die Fische können ungestört schwimmen, man errichtet eine neue Surferwelle und eine Fußgängerbrücke.

Im Tunnel bei Franzensfeste (von links): Andreas Ambrosi, Giuditta Vecchione, Julia Gruber.

Im Tunnel bei Franzensfeste (von links): Andreas Ambrosi, Giuditta Vecchione, Julia Gruber.

Tief im Tunnel wiederum arbeiten die beiden Poliere Wolfgang Gutschi und Christian Ahnecker. Poliere sind die Leiter eines Baustellenabschnitts. „Vor einer Stunde erst ist hinten gesprengt worden“, erzählt Gutschi. Sie berichten von ihren Arbeitszeiten: neun Tage am Stück, dann fünf Tage frei. Am Tunnel wird in drei Schichten rund um die Uhr gearbeitet. Insgesamt sind 15000 Menschen für das Tunnelprojekt beschäftigt. Zum Abschied sagen die Poliere: „Glück auf.“

Auch in Österreich, in Steinach am Brenner, gibt es ein schönes neues Gebäude mit einer Ausstellung zum Tunnel - die „Tunnelwelten“. 10000 Besucher kommen im Jahr. Davor steht der „Günther“. Das ist der gewaltige Bohrkopf der ersten Tunnelbohrmaschine von 2015, er hat einen Durchmesser von acht Metern, wiegt 147 Tonnen und hatte einen Bohr-Weltrekord aufgestellt: 61,04 Meter in 24 Stunden.

Maria Lorenzatto und Florian Riedl vor dem Bohrkopf  "Günther".

Maria Lorenzatto und Florian Riedl vor dem Bohrkopf "Günther".

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Zum Günther sind Maria Lorenzatto und Florian Riedl gekommen. Die Förderschullehrerin war bis vor kurzem Tunnelpatin, ehrenamtlich hat sie sich um die Arbeiter des Bauabschnitts H52 gekümmert. „Einmal im Monat bin ich mit einer Jause runter zu ihnen, wir haben gegessen und getrunken.“ Den Bergleuten hat es gefallen, „alle sind gekommen“.

Riedl ist Bürgermeister von Steinach mit seinen 4000 Einwohnern und sitzt im Tiroler Landtag für die konservative ÖVP. Er spricht vom „Verkehrskollaps hier“ und dass man immer wieder den Stau auf der hoch gelegenen Brücke der Autobahn sehen kann. „Wir stehen beim Transitverkehr bei fünf vor zwölf“, sagt er, „wir brauchen alles, was Entlastung schafft.“

Wir stehen beim Transitverkehr bei fünf vor zwölf. Wir brauchen alles, was Entlastung schafft.

Florian Riedl,

Bürgermeister von Steinach

Die Zulaufstrecke von Innsbruck nach Wörgl bei Kufstein, damit die Züge auch außerhalb des Tunnels schnell vorankommen, ist schon seit 2012 fertiggestellt. Gern hätte man auch angeschaut, was sich in Bayern tut von Kufstein über Rosenheim nach München. Dort soll der so genannte Nordzulauf zum Brenner-Basistunnel entstehen, um die Züge schnell fahren zu lassen.

Doch das Projekt scheint über viele Jahre von etlichen von der CSU gestellten Bundesverkehrsminister irgendwie verschlafen worden zu sein. Auch vom gegenwärtigen FDP-Ressortchef Volker Wissing ist dazu kaum etwas zu hören. Es gibt eine „Aktionsgemeinschaft Brennerbahn“, der auch der Freistaat Bayern angehört. Auf deren Homepage steht zur deutschen Strecke: „Im Frühjahr 2015 hat der Dialog des Trassenauswahlverfahrens für die Neubaustrecke begonnen.“ Das war es. Die Diskussion mit einigen Bürgerinitiativen, die die Neubaustrecke prinzipiell verhindern wollen, dauert seitdem an. Der Bundestag soll 2025 über den Bau abstimmen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Martin Ausserdorfer, die gute Seele und der Watschnmann in Südtirol, kann das nicht verstehen. Anfangs waren in seiner Heimat 75 Prozent der Bürger gegen den Tunnel, jetzt sind 80 Prozent dafür. „Ich bin maßgeblich enttäuscht über Bayern“, sagt er, „die sind zehn Jahre zu spät dran.“ Habe man den Nordzulauf nicht, dann sei es so wie wenn man zuerst mit dem Ferrari fährt und dann in den Kleinwagen umsteigt. „Natürlich kann man das machen“, sagt Ausserdorfer, „es wird aber langsamer.“

Die ersten Züge sollen 2034 durch den Tunnel fahren. Die Fertigstellung auf bayerischer Seite wird auf 2040 geschätzt. Frühestens.

Mehr aus Mobilität

 
 
 
 
Anzeige

Spiele

Das tägliche Kreuzworträtsel

Testen Sie ihr Allgemeinwissen und finden Sie das Lösungswort des Tages.

Anzeige