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Meinung Der Planet braucht mehr Bäume - aber wie geht das schnell und günstig?

Ein Mann hält Baumsetzlinge im Arm und blickt in eine weite Landschaft
Aufforsten oder wild wachsen lassen? In der Intag-Region Ecuadors hängt das vom Zustand der Fläche ab
© Carlos Zorrilla
Auf vielen Millionen Hektar soll weltweit neuer Wald entstehen. Reiner Klingholz, Beirat von "GEO schützt den Regenwald" und ehemaliger Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, wägt zwei Methoden ab: aufforsten oder wild wachsen lassen
Reiner Klingholz

Derzeit gehen weltweit pro Jahr rund zehn Millionen Hektar Wald verloren - abgeholzt, gezielt abgefackelt oder durch Waldbrände zerstört. Das entspricht der Fläche Portugals. Doch tatsächliche reduziert sich die globale Waldfläche nur um die Hälfte, nämlich um fünf Millionen Hektar. Die andere Hälfte ist theoretisch auf dem Weg, irgendwann wieder zu einem echten Wald zu werden: Sie wird von Menschenhand mit jungen Bäumen aufgeforstet. Oder auf ihr sprießen – ganz ohne fremde Hilfe - die Keimlinge aus zufällig niedergegangenen Baumsamen. Naturverjüngung heißt dieser Prozess im Fachjargon.

Die Waldfläche pro Kopf ist kleiner denn je

Pro Kopf der Weltbevölkerung gibt es heute etwa 5.000 Quadratmeter Wald, so wenig wie nie zuvor. 1990 waren es noch gut 7.000, zu Beginn des 20. Jahrhunderts über 30.000 Quadratmeter. Dieser Rückgang gründet zum einen auf der quasi durchgängigen menschengemachten Waldvernichtung, in der Regel, um aus dem Forst Äcker oder Weideland zu machen. Zum anderen hängt der Pro-Kopf-Rückgang mit dem Wachstum der Menschheit zusammen: Die Weltbevölkerung hat sich seit 1900 auf über acht Milliarden fast verfünffacht.

Dass dieser Trend dringend umgedreht werden müsste, liegt auf der Hand: Wälder sind der wichtigste Hort der bedrohten Artenvielfalt. Geschätzte 80 Prozent aller an Land lebenden Tier- und Pflanzenarten sind in Wäldern zuhause, vor allem in den tropischen und subtropischen Gebieten. Ihre genaue Zahl ist unbekannt, denn der größte Teil der Arten ist noch gar nicht entdeckt und wissenschaftlich beschrieben. 

"Wälder beherbergen 68 Prozent aller Säugetier-Arten"

Nach Angaben der Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen beherbergen die Wälder der Welt 60.000 verschiedene Baumarten, 80 Prozent aller Amphibienspezies, 75 Prozent aller Vogel- und 68 Prozent aller Säugetier-Arten.

Zwei schwarz-weiße Stummelaffen sitzen in einem Baum
Schwarz-weiße Stummelaffen leben in vielen Wäldern Afrikas, darunter auch im Virunga Nationalpark in der Demokratischen Republik Kongo

 Wälder spenden Sauerstoff, schützen vor Erosion, speichern das Grundwasser und entziehen der Luft das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2), um daraus Holz aufzubauen. Die Wälder fungieren somit als „CO2-Senke“, was ein Segen ist, denn es gibt viel zu viele CO2-Quellen auf Erden, nämlich überall dort, wo fossile Brennstoffe in Flammen aufgehen. Büßt der Wald seine Funktion als Senke ein, wird auch er zur CO2-Quelle. Das einmal gespeicherte Kohlendioxid landet wieder in der Atmosphäre und feuert den Klimawandel weiter an. Deshalb bedeutet Waldschutz Klimaschutz.

Trendwende beim Waldverlust, aber längst kein Ende

Diese Zusammenhänge im Kopf, haben die Vereinten Nationen das laufende Jahrzehnt zur Dekade der Ökosystem-Restaurierung ausgerufen. Wälder und andere lebenswichtige Naturräume sollen geschützt, ertüchtigt oder neu geschaffen werden. Auf der Weltklimakonferenz in Ägypten im November 2022 beschlossen die EU und 26 Länder, 16 Milliarden Dollar für Waldschutz und Wiederaufforstung bereitzustellen. Das klingt erst mal gut und spricht für ein wachsende Umweltbewusstsein.

Tatsächlich hat sich das Tempo der Waldvernichtung seit Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre in etwa halbiert. Dieser Zeitpunkt gilt als „Peak Deforestation“. Seither ließen sich die hemmungslosen Kahlschläge etwas eindämmen. Aufforstungen konnten die schlimmsten Wunden heilen, doch sie schaffen es bisher nicht annähernd den Schwund auszugleichen.

Theoretisch könnten die Wälder der Erde das 20-fache der aktuellen jährlichen CO2-Emissionen speichern 

Das jedenfalls schreiben Forscher einer internationalen Arbeitsgruppe um Lidong Mo von der ETH Zürich in einer Studie, die sie jüngst im Fachblatt Nature publiziert haben. In Sachen Klimaschutz wäre das ein gewaltiger Fortschritt. Doch ganz so ermutigend sind die Ergebnisse bei genauer Betrachtung nicht. 

In Costa Rica gibt es viel natürlich nachgewachsenen "Sekundärwald". Doch die Hälfte wird innerhalb von 20 Jahren wieder abgeholzt
In Costa Rica gibt es viel natürlich nachgewachsenen "Sekundärwald". Doch die Hälfte wird innerhalb von 20 Jahren wieder abgeholzt
© Ines Possemeyer

Denn um die CO2-Emissionen der Menschheit aus zwei Jahrzehnten aufzunehmen, müssten sämtliche existierenden Wälder ungestört weiter wachsen, es dürften also keine Bäume entnommen werden. Zusätzlich wären alle einst gerodeten Flächen in dünn besiedelten Regionen wieder aufzuforsten. Keinerlei Waldbrände, Dürren, Windbruch oder Schädlingsbefall dürften die bestehenden Wälder dezimieren, was angesichts des galoppierenden Klimawandels recht unwahrscheinlich ist. Schlussendlich bräuchten die Wälder 100 bis 200 Jahre, um die gigantische Menge von 830 Gigatonnen COaufzunehmen und in Holz zu verwandeln. So viel Zeit bleibt leider nicht, um den menschengemachten Treibhauseffekt zu bremsen. 

Pflanzen oder sprießen lassen?

Dennoch wäre ein Mehr an Bäumen ein wichtiger Schritt, um wenigstens einen Teil des unerwünschten COaus der Atmosphäre zu entnehmen. Um irgendwo neuen Wald wachsen zu lassen, kennen Förster zwei Methoden: Pflanzung oder Naturverjüngung. Beide haben Vor- und Nachteile. Für Pflanzungen müssen Bäume aus Saatgut in Baumschulen vorgezogen werden. Das dauert rund zwei Jahre, ist aufwändig und kostet Geld, bevor die empfindlichen Setzlinge dann an Ort und Stelle in den Boden gesetzt werden. Danach überleben nicht alle Jungbäume, sie verdorren in Trockenphasen, werden zertrampelt oder abgefressen. Einer Untersuchung in Süd- und Südostasien zufolge überstanden im Schnitt nur 44 Prozent der Setzlinge das fünfte Jahr nach Pflanzung. Zäune gegen unerwünschte Tiere und eine Bodenverbesserung vor der Pflanzung können die Überlebenschancen verbessern – machen das Geschäft aber noch einmal teurer. Kritiker halten das Pflanzen von Bäumen zum Waldaufbau deshalb für eine Geldverschwendung. Trotzdem ist die Methode beliebt, auch weil sich mit Pflanzaktionen gut Spenden einwerben lassen oder weil Fluggäste glauben, sie könnten mit einer Art Ablasszahlung an Aufforstungsprogramme ihre Treibhausgas-Emissionen kompensieren.

Setzlinge zu ziehen, ist langwierig und teuer. Nicht alle gehen später an. Dennoch ist Aufforstung oft das Mittel der Wahl
Setzlinge zu ziehen, ist langwierig und teuer. Nicht alle gehen später an. Dennoch ist Aufforstung oft das Mittel der Wahl
© Ines Possemeyer

Waldwuchs durch Wildwuchs

Im Vergleich zu den teuren Baumpflanzungen kostet die Naturverjüngung erst einmal nichts. Man wartet einfach, bis Samen vom Wind, von Vögeln oder im Fell von Säugetieren auf die kahlen Flächen transportiert wird. Dabei keimen viel mehr Baumsamen als schließlich in einem Wald Platz haben. Über eine natürliche Selektion setzen sich jene Baumarten und -individuen durch, die am besten an das Gelände angepasst sind. In der Regel machen sich zuerst die Pioniere breit, in hiesigen Gefilden sind das Erlen, Ebereschen oder Birken. Sie sind anspruchslos, wachsen schnell, lockern mit ihren Wurzeln den Boden auf, bringen über ihre Blätter Kompost in die Erde und sie spenden Schatten für Bäume wie Eiche oder Buche, die langsamer wachsen, aber irgendwann größer als die Pioniere werden. Diese Wegbereiter leben nur ein paar Jahre oder Jahrzehnte, sie opfern sich gewissenmaßen für den eigentlichen Wald, ein Prinzip, das sich über Jahrhunderttausende der Evolution herausgebildet hat. 

Über 90 Prozent aller Wälder sind aus eigener Kraft entstanden, sie haben sich von alleine regeneriert

Naturverjüngung klappt besonders gut auf Kahlschlägen, die noch von samenliefernden Bäumen umstanden sind, oder wenn der Boden nach Waldbränden gut mit Nährstoffen versorgt ist. Manchmal muss man lediglich den Jungwald einzäunen, damit er vor Wildverbiss oder Weidetieren geschützt ist. Unter natürlichen Bedingungen breitet sich der Wald auch dort von alleine aus, wo vorher gar keiner war: In Bergregionen, wo sich die Waldgrenze durch den Klimawandel in die Höhe verschiebt, oder in Sibirien und Nordamerika, wo es die Erwärmung möglich macht, dass auf der vormals baumlosen Kältesteppe namens Tundra zusehends ein borealer Nadelwald aus Lärchen, Fichten und Kiefern emporkommt.

Auch wenn Naturverjüngung das ökologische Mittel der Wahl zu sein scheint, sind Pflanzungen mitunter vielversprechender. Sie bringen den Waldwuchs nicht nur schneller auf Trab, sondern damit lässt auch steuern, welche Baumarten wachsen, vor allem, wenn es sich um seltene, ökologisch wertvolle Arten handelt, die zuvor von Monokulturen verdrängt wurden. Zudem sind vielerorts in den Tropen wichtige Samenverbreiter, wie große Vögel oder Säugetiere, durch Jagd stark dezimiert. Zum Teil nutzen Förster auch eine Mischtechnik beim Waldneuaufbau: Sie pflanzen auf größeren Brachen verschiedene Baumarten als „Inseln der Regeneration“ und überlassen den Rest der Natur. Auf Testflächen in Costa Rica entstanden so diversere Wälder als bei einer Komplettbepflanzung.

In der Baumschule des Dorfes Danda Basaha werden jährlich rund 95.000 Setzlinge gezogen, um die degradierten Hänge im Mittelgebirge Nepals aufzuforsten
In der Baumschule des Dorfes Danda Basaha werden jährlich rund 95.000 Setzlinge gezogen, um die degradierten Hänge im Mittelgebirge Nepals aufzuforsten
© Ines Possemeyer

Auch bei Projekten von „GEO schützt den Regenwald“ kommen beide Formen der Aufforstung zum Einsatz. In Nepal etwa hat es sich bewährt, Jungpflanzen aus Baumschulen auf entwaldete Steillagen zu pflanzen und so die Hänge vor Erosion zu schützen. In Äthiopien legen lokale Waldnutzergruppen einfache Baumschulen im Gelände an und ziehen dort jene Arten, die selten geworden sind. In Ecuador werden einstige Weideflächen im Nebelwald renaturiert. Im Idealfall wird nur das Vieh ausgesperrt. Doch dort, wo das dichte Wurzelgeflecht von widerspenstigem Gras die Naturverjüngung massiv erschwert, wird mit Aufforstungen nachgeholfen. Auf anderen Flächen wird mit „seed bombs“ experimentiert, dem Austragen von Baumsamen. In allen Fällen werden die Samen oder Sämlinge möglichst in umliegenden Wäldern gesammelt, damit sie gut an die Standorte angepasst sind. 

Größte Verluste dort, wo die wertvollsten Wälder wachsen

Vor allem in tropischen Gebieten, wo es dem Wald am stärksten an den Kragen geht und entsprechend viel gespeicherter Kohlenstoff als Kohlendioxid in die Atmosphäre freigesetzt wird, wären Aufforstungen, welcher Art auch immer, dringend nötig. 95 Prozent der weltweiten Waldverluste finden in den besonders artenreichen tropischen Regenwäldern am Amazonas, in Afrika und Indonesien statt, wo die vor Ort lebenden Menschen meist relativ arm und auf Brennholz angewiesen sind und das Bevölkerungswachstum hoch ist. Nur ein kleiner Teil der zerstörten Flächen kann sich regenerieren. 

In den Bergwäldern der äthiopischen Region Kaffa pflanzen Waldnutzer auch im Unterholz selten gewordene Arten nach
In den Bergwäldern der äthiopischen Region Kaffa pflanzen Waldnutzer auch im Unterholz selten gewordene Arten nach
© Maheder Haileselassie

Positiv ist die Waldbilanz hingegen, trotz Abholzungen und zunehmenden Waldbränden, in Osteuropa, Russland, Indien und China. Dort wächst mehr nach als verloren geht. Das liegt teils an massiven staatlich gelenkten Aufforstungskampagnen wie etwa in China. Teils daran, dass die Bevölkerungen dieser Länder bereits zu einem gewissen Wohlstand gekommen sind. Generell sinkt überall dort, wo sich der Wohlstand ausbreitet, wo in der Folge das Bevölkerungswachstum ausklingt und die Landwirtschaft produktiver wird, der Druck auf die Wälder. 

Outgesourcte Waldzerstörung

Die Vorstellung, dass Länder, in denen der Wald wieder an Fläche zulegt, damit groß zum Klimaschutz beitragen, ist allerdings falsch. Denn der wohlhabendere Teil der Welt importiert viele Güter, die im ärmeren Teil auf Flächen produziert werden, auf denen früher Wald stand: Palmöl, Soja, Tropenholz oder Rindfleisch. Auch Deutschland ist stark an dieser importierten Waldvernichtung beteiligt. Zwischen Rügen und dem Bodensee vergrößert sich die Waldfläche zwar geringfügig, um etwa 2.000 Hektar im Jahr. Dafür aber verantworten die Deutschen über ihre Importe die Zerstörung von jährlich 46.600 Hektar Wald an anderen Orten.

So wichtig Waldschutz und Aufforstung sind, die Bäume allein werden das Klima nicht retten können. Viel wichtiger ist es, so schnell wie möglich mit dem Verbrennen fossiler Rohstoffe aufzuhören. Trotz vielfältiger Bekenntnisse der Weltgemeinschaft zum Klimaschutz sind die Kohlendioxid-Emissionen im Jahr 2023 auf ein neues Allzeithoch von 36,8 Gigatonnen angestiegen. Notwendig wären nach den Erkenntnissen der Wissenschaft eine Halbierung des weltweiten Kohlendioxid-Ausstoßes bis 2030, um zu verhindern, dass aus dem Klimawandel eine Klimakatastrophe wird.

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