Angesichts antisemitischer Ausschreitungen bei propalästinensischen Demonstrationen mehren sich Forderungen nach einer Verschärfung des Strafrechts. Die Justizministerien in Hessen und Berlin fordern Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) dazu auf, einen konsequenteren rechtlichen Schutz jüdischen Lebens in Deutschland zu prüfen.
Konkret schlägt Hessens Justizminister Roman Poseck (CDU) vor, einen eigenen Straftatbestand für die Leugnung des Existenzrechts Israels zu schaffen – analog zu dem Verbot, den Holocaust zu leugnen. Die Initiative soll bei der Justizministerkonferenz übernächste Woche eingebracht werden. „Die in der Leugnung des Existenzrechts Israels liegenden Gefahren für den öffentlichen Frieden im Sinne eines Schutzes des friedlichen Zusammenlebens vor gewalttätigen Übergriffen ... sind von derart erheblicher Bedeutung, dass eine Strafbewehrung des Verhaltens erforderlich und angemessen ist“, heißt es in der Beschlussvorlage für die Konferenz, die WELT vorliegt.
Auf die Frage, wie Bundesjustizminister Buschmann den Vorschlag bewertet, teilt eine Sprecherin mit, man könne der Justizministerkonferenz nicht vorgreifen. Dort würden etwaige Vorschläge diskutiert werden.
Unter Juristen ist der Vorschlag umstritten. Verfassungsrechtler Joachim Wieland von der Universität Speyer sieht im Gespräch mit WELT einen entscheidenden Vorteil: „So könnten alle Demonstrationen mit antisemitischen Ausschreitungen verboten werden.“
Bisher gebe es für die Behörden und Gerichte noch viel Spielraum zur Interpretation. Etwa bei der Frage, ob die verbreitete Parole „From the river to the sea, Palestine will be free“ rechtens ist. Mit dem Satz ist gemeint, es solle auf einem Gebiet vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer ein freies Palästina geben – also dort, wo sich aktuell Israel befindet. Eine Äußerung, die Israel das Existenzrecht abspricht und bei einer Neuregelung des Gesetzes eindeutig strafbar wäre.
Wieland zufolge würde im Zweifel auch das Bundesverfassungsgericht der Neugestaltung des Paragrafen folgen. Hintergrund sei Deutschlands besondere Verantwortung gegenüber jüdischem Leben.
Anderer Ansicht ist Eric Hilgendorf, Strafrechtler an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Die bisherige Gesetzgebung reiche aus, um extreme Fälle der Leugnung von Israels Existenzrecht zu erfassen, argumentiert er. Darunter gehöre etwa Aufstachelung zum Rassenhass oder zur Vernichtung von Jüdinnen und Juden. „Nicht erfasst werden pseudoakademische Darlegungen, die etwa beinhalten, die Existenz des Staates Israels sei rechtswidrig. Solche Äußerungen sind zwar absurd, aber keine konkrete Gefahr“, sagt Hilgendorf. Man habe in Deutschland ein Problem mit Menschen, die israelfeindlich erzogen wurden. „Dieses Problem mit dem Strafrecht lösen zu wollen, ist Symbolpolitik.“ Nötig sei stattdessen mehr Aufklärung an Schulen und in Moscheen.
Auch im Bundestag herrscht gegenüber dem Vorschlag aus Hessen Zurückhaltung. „Bevor man in strafrechtlichen Aktionismus verfällt, muss insbesondere mit Blick auf Berlin – wo aktuell die meisten Grenzüberschreitungen bei Demonstrationen stattfinden – die Frage beantwortet werden, warum die als Law-and-order-Partei angetretene CDU dieses Problem nicht in den Griff bekommt“, sagt Katrin Helling-Plahr, rechtspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion.
Canan Bayram, Obfrau im Rechtsausschuss und Berichterstatterin für Strafrecht für die Grünen-Bundestagsfraktion, erklärt: Auf Grundlage der bestehenden Vorschriften könnten die Ermittlungs- und Versammlungsbehörden schon jetzt einschreiten, wenn der öffentliche Friede oder die Sicherheit von Jüdinnen und Juden in Gefahr ist. „Ob darüber hinaus Gesetzgebungsbedarf besteht, muss unter Auswertung der bisherigen Spruchpraxis der Gerichte genau geprüft werden.“
Volksverhetzungsparagraf ausweiten?
Der Vorstoß aus Hessen ist nicht die einzige Verschärfung des Strafrechts, die dieser Tage debattiert wird. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, forderte, den Paragrafen bezüglich Volksverhetzung auszuweiten. Es habe in der Vergangenheit häufig Einstellungen von Ermittlungsverfahren gegeben, die auf Unverständnis gestoßen seien, so Klein.
Der Vorschlag geht zurück auf ein Forschungsprojekt der Strafrechtlerin Elisa Hoven von der Universität Leipzig. Ihre Argumentation: Aktuell sei dem Strafgesetzbuch zufolge die „Störung öffentlichen Friedens“ Voraussetzung, um wegen Volksverhetzung belangt werden können. Damit aber der öffentliche Frieden in Deutschland als gestört gelten kann, müssen sich die Äußerungen gegen eine in Deutschland lebende Gruppe richten. Wird indes gegen eine ausländische Gruppe gehetzt – etwa Juden, die in Israel leben – sei die Strafbarkeit vielerorts nicht eindeutig.
Um dies zu ändern, müsse der Passus des öffentlichen Friedens aus dem Paragrafen im Strafgesetzbuch gestrichen werden, so Hoven. Ein Vorhaben, das bei anderen Rechtswissenschaftlern auf Kritik stößt. „Unser Strafrecht schützt die Interessen und Schutzgüter von Menschen, die sich in Deutschland befinden und nicht im Ausland, auch wenn wir mit den Opfern dort sympathisieren“, sagt Hilgendorf. Bei den propalästinensischen Demos richte sich der Hass aber ohnehin nicht nur explizit gegen Juden in Israel, sondern auch gegen Juden in Deutschland. „Den Gerichten sollte es also möglich sein, die Demonstranten wegen Volksverhetzung zu verurteilen“, so Hilgendorf.
Sein Kollege Wieland rät ebenfalls von einer Überarbeitung des Paragrafen ab. „Denn dann wären auch Äußerungen zum Krieg in Syrien oder zur Situation der Kurden in der Türkei sehr schnell strafbar. Die Polizei würde kaum hinterherkommen, all diese Versammlungen zu verbieten.“
In Deutschland gilt generell das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Dieses kommt aber nur denen zu, die es friedlich nutzen, also keine Straftaten begehen. „Wenn die Prognose aufgrund bisher gemachter Erfahrungen mit Veranstaltern von Versammlungen negativ ausfällt, also absehbar ist, dass der friedliche Charakter nicht gewahrt werden kann, muss ein Verbot möglich sein“, sagt der Berliner Verfassungsrechtler Christian Pestalozza. Es gelte das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Die Behörden müssten vor einem Verbot prüfen, ob unter bestimmten Auflagen an die Veranstalter oder Veränderungen bei Zeit und Ort die Friedlichkeit doch gewahrt werden kann.