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Deutschland Anti-Israel-Aktionen an Unis

„Hier ist die Grenze zur Volksverhetzung, zum Gewaltaufruf überschritten“

Redakteur Innenpolitik
Historiker Paul Nolte Historiker Paul Nolte
Historiker Paul Nolte
Quelle: Martin U. K. Lengemann/WELT
Die Anti-Israel-Demonstranten an der FU Berlin hätten eine Grenze überschritten, sagt der dort tätige Geschichtsprofessor Paul Nolte. Ihr theatralisches Auftreten entspreche einem neuen Bild von „Aktivisten“. Dass Kollegen sich mit den Demonstranten solidarisieren, zeigt für ihn zweierlei.
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Paul Nolte, 61, ist Professor für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität (FU) Berlin. Er forscht unter anderem zur Geschichte und Theorie der Demokratie – und erlebte den propalästinensischen Protest an seiner Universität mit.

WELT: Herr Nolte, als Studenten im Protest gegen Israel kürzlich die Freie Universität Berlin besetzen wollten, sollten Sie Ihre Vorlesung abbrechen. Wieso?

Paul Nolte: Der Hof, in dem die Besetzung war, grenzt direkt an das Hörsaalgebäude. Zwei Sicherheitsleute baten mich um einen Abbruch der Vorlesung. Es sollte wohl eine Besetzung des Hörsaals verhindert werden. Das Auftreten und die Stilisierung des Protests entspricht dem neuen Bild des „Aktivisten“: Sie riefen Parolen, waren teilweise vermummt und trugen Palästinensertücher, hakten sich unter. Bei Protesten zur Zeit der Friedensbewegung beispielsweise zog man sich noch Wetter-abhängig an und wollte, dass sich andere Menschen „einreihen“. Aktivistischer Protest ist kalkulierte Störung.

WELT: Die Gruppe wollte nach dem Vorbild der Campus-Proteste in den USA ein „Camp“ in Gegnerschaft zu Israels Krieg in Gaza errichten.

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Nolte: Dabei fällt eine Trennung zwischen Performern und Zuschauern auf, die in der Protestkultur größer wird. Man sieht diese Form der Theatralisierung von Protest schon bei Kunstaktionen des „Zentrums für politische Schönheit“ vor dem Reichstag. Auch das Festkleben der „Letzten Generation“ auf der Straße zeigt eine Professionalisierung: Solche Aktionen setzen Schulungen voraus. Passanten werden zu Zuschauern, denen etwas vorgeführt wird.

Wenn sich die Besetzer hier an der FU so extrem inszenieren und Parolen rufen, zu denen übrigens auch Gewaltaufrufe gegenüber Israel und den Juden gehörten, werden sie hermetisch gegenüber ihrer Umgebung. Solcher Protest setzt auf akustische Überwältigung des Gegenübers. Ein Dialog ist da weder möglich noch gewollt.

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WELT: Besetzungen sind keine neue Protestform. Dieser „zivile Ungehorsam“ prägte etwa die schwarze Bürgerrechtsbewegung in den USA – trug also etwas Aufklärerisches in sich. Wo sehen Sie den Unterschied?

Nolte: Die Bürgerrechtsbewegung versuchte, zuerst über Klagen vor Gericht Erfolge zu erzielen. Erst als das nicht mehr reichte, änderte man in den 1950er-Jahren mit Martin Luther King die Strategie und setzte sich mit „zivilem Ungehorsam“ über Regeln hinweg. Plätze im Bus oder im Restaurant, die nur für Weiße bestimmt waren, wurden eingenommen. Das hat eher die Absurdität des Systems aufgezeigt, als seine Funktionsfähigkeit beeinträchtigt. Die Besetzungen etwa im Zuge der Studentenbewegung und der 68er gingen teilweise weiter.

WELT: Inwiefern?

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Nolte: Sie überschritten eine Grenze, weil sie die Funktion der Einrichtungen blockierten und auch Personen in physische Bedrängnis brachten. So verbarrikadierten sich Studenten an den Universitäten etwa in Präsidien oder Rektoraten. Die Besetzung eines Hörsaals ist eher symbolisch, das kann man von der Protestform her viel gelassener sehen.

WELT: An der Berliner FU wurde zu einer „Intifada“ aufgerufen, also zu Anschlägen gegen Israelis. Oder ein „freies“ Palästina vom Mittelmeer bis zum Jordan gefordert. Wird damit nicht eine Grenze überschritten?

Nolte: Genau, neben der Form des Protests kommt es auf den Inhalt an. Solche Parolen sind mindestens antiisraelisch, wenn nicht antisemitisch. Der Genozid-Vorwurf gegen Israel fällt auf die radikalen Palästina-Protestler zurück. Hier ist die Grenze zur Volksverhetzung, zum Gewaltaufruf überschritten. Deshalb ist es nicht per se falsch, dass die Polizei das Camp geräumt hat.

WELT: Das sehen viele Ihrer Kollegen anders. Mehr als 1000 Hochschulmitarbeiter kritisieren die Räumung. „Friedlicher Protest“ müsse möglich sein.

Nolte: Natürlich steht jedem das Recht auf Protest zu, das hat einen sehr hohen Stellenwert im Grundgesetz und an der Freien Universität. Man muss vieles ertragen, bis es knirscht. Der Campus ist zudem ein besonders geschützter Raum, bei dem der Ruf nach der Staatsgewalt der letzte Schritt sein sollte. Dennoch: Der Schutzraum des Campus gilt nicht mehr, wenn Straftaten begangen werden oder dazu aufgerufen wird.

Vergessen wir auch nicht: In der Mediengesellschaft geht es um Bilder. Wer von Polizisten weggetragen wird, sieht nach Opfer aus. Lehrende haben jedenfalls nicht per se die Pflicht, sich schützend vor die Studenten zu stellen. Sie haben vielmehr zuerst die Pflicht, die offene Gesellschaft zu verteidigen, auch gegen Studenten, die sie in Zweifel ziehen. Dass viele Kollegen den Solidaritätsbrief unterzeichnet haben, verweist bei manchen auf ein überholtes Feindbild von der Polizei; bei einigen freilich auch auf ideologische Überzeugungen.

WELT: Sprechen die Unterzeichner für eine Mehrheit?

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Nolte: Nein, das ist überhaupt nicht mein Eindruck. Der Brief findet gewiss Anklang in bestimmten linken Milieus der Universitäten. Es fällt zudem auf, dass Institute der Arabistik oder Islamwissenschaften anfällig für ein falsches Verständnis dieser Proteste sind. Das hat erstens mit der Herkunft der Studierenden zu tun, zweitens mit dem größeren Einfluss postkolonialer Theorie in solchen Fächern. Und drittens gibt es oftmals eine Grundsympathie mit dem Forschungsgegenstand.

Bei mir gibt es die mit den USA – aber ich kann doch trotzdem Trump für eine schreckliche Gefahr für die Demokratie halten! Warum gilt das nicht ganz selbstverständlich auch für das Urteil über die Hamas?

WELT: Das Trinity College in Dublin etwa kappt Verbindungen nach Israel. Die Hebräische Universität in Jerusalem bietet Kurse an, wie man im Ausland mit Anfeindungen auf Konferenzen umgehen sollte. Droht das auch in Deutschland? Jüdische Studenten fühlten sich zuletzt nicht mehr sicher auf dem Campus.

Nolte: Das ist sehr besorgniserregend. Die Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS) ist im Ausland weiter verbreitet als in Deutschland und auch dort wohl eher eine Minderheitsposition. Die Frage ist: Was passiert, wenn daraus Politik wird? In Deutschland droht das kaum, da die Verantwortung für den Holocaust und die Unterstützung für Israel als einzige Demokratie der Region politisch und zivilgesellschaftlich gefestigt sind.

WELT: Was aber, wenn internationale Gäste sagen: Ich spreche auf dieser Konferenz nicht, wenn Israelis sprechen?

Nolte: Dann weiß ich, wer zu Hause bleibt – und zwar nicht der Israeli. Der Kultur- und der Wissenschaftsbetrieb müssen standhaft bleiben und den Anfängen wehren. Denn subtile Verschiebungen gibt es schon.

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WELT: Wie meinen Sie das?

Nolte: Ich war Anfang des Jahres längere Zeit in Berkeley. Die postkoloniale Ausrichtung ist in den USA sehr dominant. Das wird in Buchhandlungen greifbar: Auf den Tischen zu Aktualitäten lagen ausschließlich Bücher zur Geschichte Palästinas oder der „Nakba“, also aus palästinensischer Sicht der „Katastrophe“ der Vertreibung von Palästinensern im Zuge der israelischen Staatsgründung und des arabischen Krieges gegen den neu gegründeten Staat. Zur Geschichte Israels, des Holocausts oder des Judentums sah ich da nichts – weggeblendet. Dadurch kommt ein Diskurs langsam ins Rutschen.

WELT: Wie erklären Sie sich das?

Nolte: Wir sehen hier eine Fortschreibung von Mustern der 60er- und 70er-Jahre, in denen der vermeintliche Kampf gegen Faschismus sich bereits gegen Israel richtete. Eine Sympathie für die Unterdrückten wurde auf den Nahen Osten angewendet – mit einer plakativen Zuweisung von Tätern und Opfern.

Der Postkolonialismus hat eins draufgesetzt. Siedler sind immer schuld; der Nicht-Westen ist immer im Recht. Und wie praktisch, wenn man den heimlichen Antisemitismus noch draufpacken kann.

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