So vielen Bildern begegnet. Immer vorübergegangen, immer weiter, immer neuen nach. Und dann gerät man an einem regnerischen Vormittag doch noch einmal in ihren Bann und denkt, jetzt können nicht mehr viele kommen.
Basel, Luftgässlein. Ganz in der Nähe des Kunstmuseums und des Antikenmuseums. Hier, wo sich eine selbstbewusste Bürgerlichkeit hinter kleinstädtischen Fassaden versteckt, hier in zwei, drei lichten Räumen hat Carlo Knoell seine Galerie. Hatte, um es korrekt zu sagen.
Heute steht „Hauser & Wirth“ über der Tür. Seit September ist der Baseler Senior Director des Zürich-stämmigen Kunstgroßunternehmens. Jetzt fasst die Weltgalerie auch in Basel Fuß – mit zwei Dutzend Bildern des dänischen Malers Vilhelm Hammershøi.
Hauser & Wirth hat jetzt auch eine Galerie in Basel
Die neue Partnerschaft bremst den jungen, kunstnervösen Galeristen nicht aus. Carlo Knoell, der seine Galerie neben der international tätigen Rahmenhandlung seines verstorbenen Vaters vor etwas mehr als fünf Jahren eröffnete, hat sich nach einer Lehrzeit bei den Auktionshäusern Koller und Grisebach und der Galerie Michael Werner in London mit einem soliden Statement zur konstruktiv konkreten Kunst rasch einen Namen gemacht.
Max Bill, Verena Loewensberg, Karl Gerstner, Josef Albers, Georges Vantongerloo – sie zählen zu den Stützen des Programms, prägen einen kunsthändlerischen Stil, der sich mehr an erwiesener Qualität orientiert als an Behauptung und Experiment. Es konnte also gar nicht ausbleiben, dass die Galerie vom Start weg Aufmerksamkeit gefunden hat – mit festem Standplatz auf der wählerischen Art Basel. Und der Auftritt bei deren Messe in Miami gehörte auch bald zur Tradition.
Inzwischen ist das Künstler-Set beträchtlich ausgeweitet worden: Sonja Sekula, Irène Zurkinden, Meret Oppenheim, Agnes Martin, Miriam Cahn, Horst Antes ... Und wenn der neugierige Galerist in der Kunstgeschichte blättert, dann bleibt auch das nie ohne Entdeckung. So ist er bei Vilhelm Hammershøi hängengeblieben, beim dänischen Maler aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, den keine der Chroniken zur Heroenzeit der Moderne kennen wollte, dessen Werk selbst in der Heimat in den Depots verschlossen blieb und überhaupt erst seit rund drei Jahrzehnten für stille Furore sorgt.
So gesehen ist die konzentrierte Werkauswahl aus Schweizer und amerikanischem Privatbesitz eine kleine Sensation. Möglich geworden wohl nicht ohne die Power, den Ruf und das Netzwerk der Megagalerie Hauser & Wirth. Dabei darf mehr noch als der neue Standort Basel das Engagement von Knoell als eigentlich kapitale unternehmerische Entscheidung gelten.
Und nicht, dass sich Vilhelm Hammershøi abgeschottet hätte. Der Maler hat in Paris gelebt, sich in Dresden und Berlin aufgehalten, längere Zeit auch in London, er kam aber immer wieder nach Kopenhagen zurück. Und stets war Hammershøi (1864–1916) auf seinem eigenen Weg, nie schloss er sich einer Gruppe oder Bewegung an. Er griff keine Parole auf, hielt sich von jedem verschworenen Zirkel fern und war über die eigene Perspektive nie im Zweifel, jedenfalls nie so, dass er es in seinen Bildern verraten hätte.
Alles spielt bei Hammershøi drinnen. Drinnen in aufgeräumten Räumen, biedermeierlich sparsam möbliert. Wenn draußen, dann nie offene Landschaft. Eine Wand, eine Häuserzeile, immer versperrt irgendetwas den Blick. Es gibt keine Weite in diesem Werk, ohne dass man sagen könnte, es herrschte Enge. Gerne stehen die Türen offen, während die Fenster meist geschlossen bleiben. Wenn Figuren, dann in der Regel Rückenfiguren. Nur niemandem ins Gesicht sehen.
Abgeschieden von der Welt
Beim Selbstbildnis im ovalen Spiegel verlieren sich die Züge im Schatten, und das Licht fällt auf Ida Hammershøi, die, was sie bereitwillig wieder und wieder tut, vor dem Fenster steht und zum Fenster schaut. Mehr zu sagen, mehr zu zeigen, wäre Verrat an der Innerlichkeit, die die Bilder wie etwas unveräußerlich Kostbares schützen. Beim Bild „Morgen Toilette“ verrät die Unterzeichnung, dass ursprünglich die Gesichtszüge des Mädchens zumindest anformuliert waren und dann mit einer dunklen Haarsträhne übermalt wurden.
Lange ist diese dunkeltonig verschwiegene Interieur-Malerei, die von nichts anderem erzählt als von erfolgreichen Rückzügen in die Weltabgeschiedenheit, wie eine harmlose Pathologie gesehen worden. Entsprechend findet man den Namen Hammershøi in kaum einem der populären Lexika zur Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts. Wohl lag es auch am Künstler selbst, der wenig Geschick bei der Öffentlichkeitsbewirtschaftung bewies und sich gleichsam in sein eigenes Werk einschloss. So konnte es gar nicht ausbleiben, dass seine Malerei in den Verdacht autistischer Selbstausgrenzung geriet.
Umso größer das Staunen, als man vor rund drei Jahrzehnten – vor allem dank der Forschungsarbeiten von Felix Krämer, der heute das Düsseldorfer Museum Kunstpalast leitet – zum ersten Mal vor der unbekannten Werkfülle stand und dem Sound dieser Bilder wie einer nie gehörten Melodie lauschte. Und vollends im Betrieb erloschen ist das Staunen bis heute nicht.
Wie soll man die Stimmung beschreiben? Man denkt an Jan Vermeer. An Caspar David Friedrich. Die verzweifelte Stilllebenmalerei des Giorgio Morandi fällt einem ein. Aber kein Vergleich scheint dazu angetan, den Code dieser seltsamen Unberührbarkeit zu knacken.
Es ist, als ob den Maler all die wilden Selbstfindungen, die herrischen Durchsetzungskämpfe, das ganze Neuschaffungs-Pathos der Moderne nichts angehen würde. Als sei er von Werkbeginn an davon überzeugt, dass es an der Malerei nichts zu verwerfen und nichts zu verbessern gäbe, dass sie gänzlich intakt zur Verfügung stünde als immer wieder überraschender Anwendungsfall nachdenklichen Weltbeschreibens.
Wobei Welt den Seeleninnenraum meint, über den hinaus kein Hammershøi-Bild ausblicken würde. Es sind Orte der Farblosigkeit, des gedämpften Lichts, in dem die erdigen Töne samtig schimmern. Orte mit der stillen Kraft, das zu versinnlichen, was man als Innehalten beschreibt. Orte der Atemlosigkeit. Orte, an denen die Zeit eine Besinnungspause lang angehalten scheint – also äonenweit weg vom aufgeklärten Diskurs, mit dem die Psychologen Seelenlagen vermessen.
Schon das frühe Bildnis der Schwester Anna, das dem Studenten an der Kopenhagener Akademie ziemliche Professorenkritik eingetragen hat, sitzt da, als ließe sie alles geschehen und verriete nicht, was ihr dabei durch den Kopf geht. Und die merkwürdige Raumandeutung bestärkt nur das bewahrte Geheimnis. Dass es die gleiche merkwürdige Raumandeutung auch ohne Figur gibt, ist eine schöne Entdeckung in der Ausstellung.
Starker Auftakt zur Messe Art Basel in Basel, die sich in der kommenden Woche wieder mit ihrer Weltkunstschwemme über die Stadt ergießen wird. Dabei können nach Hammershøi wirklich nicht mehr viele Bilder kommen.
Vilhelm Hammershøi, „Silence“, bis zum 13, Juli, Hauser & Wirth, Basel