„Seht, der Mensch!“ Das soll der römische Statthalter Pontius Pilatus gesagt haben, als er den gepeinigten Gefangenen Jesus von Nazareth dem Volk in Judäa vorführte. Ob Pilatus ihn seinem bekannten Schicksal auslieferte oder doch vor der Todesstrafe bewahren wollte, darüber streiten Theologen und Rechtshistoriker seit 2000 Jahren.
„Ecce homo“ jedoch ist als klassisches Bildmotiv in die Kunstgeschichte eingegangen. In dieser Version von Michelangelo Merisi (1571 bis 1610), genannt Caravaggio, sehen wir den Schmerzensmann mit Dornenkrone, purpurfarbenem Umhang und leidvoll abgewandtem Blick. Carravaggesk ist nicht nur das dramatische Licht, das Jesu Brust wie mit einem Scheinwerfer illuminiert, sondern auch der erschrockene Blick des Mannes hinter Jesus und die nahbare Pose des Pilatus, der seine Ansprache nicht nur an das jüdische Volk zu richten scheint, sondern auch direkt an die Betrachter des Bildes.
Und die Betrachter kommen seit dem 28. Mai 2024 in Scharen ins Museo Nacional del Prado nach Madrid, um das Bild anzuschauen – wegen der religiösen Thematik und seiner weltlichen Geschichte. Vor ein paar Jahren tauchte das Gemälde im Online-Angebot eines spanischen Auktionshauses auf, irgendeinem namenlosen Ribera-Schüler zugeschrieben, mit abblätterndem Firnis, verdunkelt und allgemein in erbärmlichem Erhaltungszustand, ausgepreist für 1500 Euro.
Nach Hinweisen von Experten verdichtete sich jedoch bald die Spur, dass es ein weitaus kostbareres Meisterwerk sein könnte. Der spanische Staat erließ gemäß den Kulturgutschutzrichtlinien ein Exportverbot. Verkauft wurde das Bild trotzdem, an einen Briten, für 30 Millionen Euro, es sei womöglich 100 Millionen wert. Bei diesen Preisen konnte Spanien sein gesetzlich verbrieftes Vorkaufsrecht nicht wahrnehmen.
Jetzt hängt Caravaggios um 1606 bis 1609 gemaltes und frisch restauriertes „Ecce homo“ als Leihgabe des britischen Eigentümers im Museum, ganz für sich allein. Neun weitere Monate soll es dann mit anderen Altmeistern in der Sammlung des Prado gezeigt werden. Das Museum besitzt mit „David und Goliath“ ein weiteres Werk des italienischen Barockmalers, von dem nur rund 60 Gemälde bekannt sind.
Was nach der „generösen Leihgabe“, wie es das Museum formuliert, mit dem Gemälde geschieht, will niemand sagen. Museale Präsentation privater Leihgaben kann auch der Wertsteigerung von Kunstwerken dienen. Der mit der „Verwahrung“ des Caravaggio beauftragte Kunsthändler hat immerhin angedeutet, dass das auch malerisch so sehr nach Öffentlichkeit verlangende Bild seinem Publikum auch nach Ablauf der Frist nicht vorenthalten werden soll.
Die renommierte Londoner Kunsthandlung Colnaghi hat im Auftrag des Eigentümers auch den Authentifizierungs- und Restaurierungsprozess des Gemäldes überwacht. Nach der diagnostischen Untersuchung durch den italienischen Ingenieur Claudio Falcucci, der auf die wissenschaftlich–technische Erforschung und Erhaltung von Kulturgütern spezialisiert ist, wurde das Bild von dem Restaurator Andrea Cipriani in Florenz restauriert. Aufgrund ihrer Expertise wurde die Zuschreibung an Caravaggio bestätigt.