Der Knall war unüberhörbar: Der stellvertretende Abteilungsleiter im Kaufhof Frankfurt ging gegen Mitternacht vom 2. auf den 3. April 1968 gerade durch die Bettenabteilung im 4. Stock des modernen Warenhauses an der Zeil 116, als er hinter sich ein ohrenbetäubendes Geräusch hörte. Erschrocken fuhr herum und sah keine zehn Meter entfernt eine breite lodernde Feuerwand. Rauchschwaden wälzten sich auf ihn zu, der dichte Qualm drang in Augen und Nase.
Als er losrannte, um sich in Sicherheit zu bringen, nahm er aus dem Augenwinkel wahr, dass es noch in einer anderen Abteilung auf dieser Etage brannte: bei den Spielwaren. Hier standen Teddybären, Puppen und Carrera-Bahnen aus Kunststoff in Flammen. Bald brannte es überall auf der Etage.
Genau um 0.06 Uhr löste die Sprinkleranlage automatisch aus. Und weil auch die Weiterschaltung an die nächstgelegene Feuerwache funktionierte wie vorgesehen, waren keine 60 Sekunden später zwei Löschzüge auf dem Weg zur Kaufhof-Filiale genau vis-à-vis der Hauptwache.
Es war die Urszene des deutschen Linksterrorismus: Die Brandstiftung mit Zeitzündern in zwei Frankfurter Kaufhäusern in dieser Nacht, neben dem Kaufhof noch einige Minuten zuvor im kleineren, aber teurer positionierten Schneider an der Zeil 98, etwa 200 Meter weiter östlich, war die erste politisch motivierte Gewalttat, die Andreas Baader und Gudrun Ensslin begingen, mutmaßlich zusammen mit zwei Mittätern.
Dieses Kaufhaus ist von der im März bekannt gegebenen Schließung von weiteren 52 Filialen der Firma Galeria Kaufhof in Deutschland (noch) nicht betroffen. Wie lange dieses 2008 aufwendig sanierte und mit einer neuen Fassade ausgestattete Warenhaus noch bestehen wird, kann derzeit aber niemand sagen. Schließen wird jetzt schon eine andere Galeria-Filiale in der Zeil 90.
Auf die Idee, Filialen in bester Innenstadtlage aufzugeben, wäre die damalige Kaufhof-Geschäftsführung 1968 sicher nicht gekommen, trotz der Brandstiftung. Und das, obwohl nicht nur die Flammen im vierten Stock, die erst nach anderthalb Stunden erstickt werden konnten, schwere Schäden angerichtet hatten. Denn das Wasser aus der Sprinkleranlage an der Decke überschwemmte alle Waren in diesem Stock und floss auch in die tiefer gelegenen Etagen, über Treppen, Aufzugschächte, Rolltreppen und manchmal sogar durch die Decken. Schnell standen die drei tiefer gelegenen Etagen und sogar das Erdgeschoss knöcheltief unter Wasser.
Gegen 0.25 Uhr, während die Feuerwehrleute noch Schläuche zu den Brandherden in den beiden Kaufhäusern schleppten, klingelte das Telefon bei der Frankfurter Niederlassung einer Nachrichtenagentur. „Gleich brennt’s bei Schneider und im Kaufhof“, sagte eine Frau: „Es ist ein politischer Racheakt.“
Keine 48 Stunden später nahm die Frankfurter Polizei Baader und Ensslin sowie zwei mutmaßliche Mittäter namens Thorwald Proll und Horst Söhnlein fest. Nach der Brandstiftung hatten zumindest Baader und Ensslin bis in die Morgenstunden in einem nahe der beiden Tatorte gelegenen Szenelokal gefeiert und dabei Andeutungen fallen lassen, die auf sie als Täter deuteten.
Einige Trittbrettfahrer hatten sich daraufhin bemüßigt gefühlt, ihrerseits telefonische Warnungen vor angeblich weiteren Brandsätzen in anderen Kaufhäusern und Geschäften Frankfurts durchzugeben, so für das frühere Hertie an der Zeil, das von der Schließungswelle 55 Jahre später betroffen ist und demnächst abgerissen werden dürfte.
Die Frankfurter Branddirektion gab seinerzeit kurz vor zwei Uhr die Anweisung, sofort alle Kaufhäuser Frankfurts einschließlich der Einkaufszentren auf versteckte Zeitbomben zu untersuchen. Um 2.55 Uhr, die stadtweite Kontrolle war noch in vollem Gange, kam eine neue Alarmmeldung: Feuer bei Neckermann. Es war jedoch wieder falscher Alarm.
Baader, Ensslin, Proll und Söhnlein kamen in Untersuchungshaft; im Oktober 1968 begann ihr Prozess. Der Sachschaden betrug nach ersten Schätzungen im Kaufhaus Schneider, wo im Wesentlichen die Abteilung für Damenoberbekleidung ausgebrannt war, mehr als 300.000 und im Kaufhof mehr als 1,6 Millionen Mark. Nach anderen Angaben sollen es zusammen „nur“ knapp 700.000 Mark gewesen sein – aber selbst das wären etwa 70 Durchschnittsjahres-Gehälter gewesen.
Alle vier Angeklagten störten das Verfahren und provozierten das Gericht nach Kräften. Sie verfolgten ein Ziel, das Gudrun Ensslin festgelegt hatte: Öffentliches Aufsehen sollte die ihrer Meinung nach „unterdrückten Massen Westdeutschlands“ bewegen, es den vier Brandstiftern gleichzutun und sich gegen den Staat zu erheben.
Doch nichts geschah, denn es gab die angeblich massenhaft Unterdrückten ja nicht. Und niemand außerhalb des linksradikalen Spektrums fand es irgendwie „politisch“, 70 durchschnittlich Jahresgehälter (oder viel mehr) in Flammen aufgehen zu lassen.
Nur einige Dutzend Anhänger bejubelten die Auftritte der Brandstifter. Und die prominente linksradikale Journalistin Ulrike Meinhof, Kolumnisten beim lange Zeit von der DDR finanzierten Studentenmagazin „Konkret“ in Hamburg. Sie besuchte Ensslin in Haft und schrieb darüber in ihrer Kolumne.
Ulrike Meinhofs Rolle
Der Text war eine klare Stellungnahme zugunsten der Täter: „Gegen Brandstiftung im Allgemeinen spricht, dass dabei Menschen gefährdet sein könnten, die nicht gefährdet werden sollen.“ Nicht die Gefährdung von Menschen an sich störte Meinhof also, sondern nur das Risiko für jene, die nicht gemeint seien.
Im folgenden Satz ging sie noch weiter: „Gegen Warenhausbrandstiftung im Besonderen spricht, dass dieser Angriff auf die kapitalistische Konsumwelt (und als solchen wollten ihn wohl die im Frankfurter Warenhausbrandprozess Angeklagten verstanden wissen) ebendiese Konsumwelt nicht aus den Angeln hebt, sie nicht einmal verletzt.“
Die Brandstiftung in den Kaufhäusern war für Meinhof vor allem deshalb falsch, weil sie ungeeignet sei, das angestrebte Ziel zu erreichen – die „Konsumwelt aus den Angeln zu heben“. Ohnehin müsse der Zweck ein anderer sein: „Das progressive Moment einer Warenhausbrandstiftung liegt nicht in der Vernichtung der Waren, es liegt in der Kriminalität der Tat, im Gesetzesbruch.“ Das war ein Bekenntnis zum Terrorismus.
Die Angeklagten beschimpften die Justiz als „entartet“ und riefen dazu auf, das Gericht zu attackieren: „Steckt diese Landfriedensbruchbude in Flammen!“ Das Urteil lautete am 31. Oktober 1968 dennoch nur auf je drei Jahre Haft für die Angeklagten; das war „milde“, räumte Thorwald Proll Jahrzehnte später ein: „Es hätte das Doppelte geben können.“
Den Angeklagten sei lediglich die Brandstiftung in einem der beiden Kaufhäuser zweifelsfrei nachzuweisen, nämlich die bei Schneider, begründete der trotz aller Beleidigungen sehr verständnisvolle Vorsitzende Richter das Strafmaß. Die Brandbomben im Kaufhof an der Hauptwache waren zwar identisch konstruiert. Aber hier gab es keine Zeugen, denen die Beschuldigten beim Ausbaldowern und beim Deponieren der getarnten Brandsätze unmittelbar vor Ladenschluss aufgefallen wären.
Trotzdem kam es während der Verkündung zu Tumulten: Rauchbomben gingen vor dem Gebäude hoch, im Saal griffen Zuschauer Justizbeamte an, und im Handgemenge versuchten Baader und Ensslin zu flüchten. Erfolglos.
Das Verfahren wegen der Kaufhaus-Brandstiftung sowie Meinhofs „Konkret“-Artikel machten Baader und Ensslin bundesweit bekannt. Dabei halfen ihnen bekannte linke Verteidiger, darunter die beiden West-Berliner Horst Mahler und Otto Schily. Der eine sollte zwei Jahre später zum Mitbegründer der RAF werden, der andere zum bekanntesten Terroranwalt der bundesdeutschen Geschichte.
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