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  3. Erste Generation: Der Amoklauf der RAF begann 1970 mit einem Bauchschuss

Geschichte Linksterrorismus

Der Amoklauf der RAF begann wie ein schlechter Film

Unter dem Vorwand, Bücher ausleihen zu wollen, erhielt der Linksaktivist Andreas Baader im Mai 1970 Ausgang aus der Haft. In der FU Berlin wurde er von Bewaffneten befreit. Bereits dort begann die Blutspur des Terrorismus.
Leitender Redakteur Geschichte
„Der Baader Meinhof Komplex“

Vorgeschichte und Aktionen der linksterroristischen Rote-Armee-Fraktion (RAF) sind Thema des Spielfilms „Der Baader Meinhof Komplex“ von Uli Edel aus dem Jahr 2008. Das Drehbuch der aufwendigen Produktion verfasste Produzent Bernd Eichinger.

Quelle: Constantin Film

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An Warnungen hatte es nicht gefehlt. Schon am 30. April 1970 war Direktor Wilhelm Glaubrecht zugetragen worden, einer der Insassen seiner Strafanstalt Tegel solle „mithilfe der Apo“ befreit werden. Angeblich handele es sich um Andreas Baader, einen 27-jährigen linken Aktivisten, der als Beruf Journalist angab.

Dem Leiter des größten Gefängnisses in West-Berlin erschien es eher unwahrscheinlich, dass wirklich Baader gemeint sei, würde er doch schon im Juli nach Verbüßen der Hälfte seiner Strafe die vorzeitige Entlassung auf Bewährung beantragen können. Außerdem gab es in Tegel einen Häftling mit ähnlichem Nachnamen, den verurteilten Mörder Paul Bader, der lebenslänglich bekommen hatte.

Andreas Baader (undatiertes Polizeifoto) - ein Name der für die 1970 gegründete terroristische Rote Armee Fraktion (RAF) steht. Nach fast 28 Jahren hat die RAF offenbar ihre Selbstauflösung bekanntgegeben. Die Bundesanwaltschaft bestätigte am 20.4.1998, daß ein entsprechendes Schreiben bei der Nachrichtenagentur Reuters eingegangen sei. Das Schreiben soll voraussichtlich bis 22. April beim Bundeskriminalamt auf seine Echtheit überprüft werden. | Verwendung weltweit
Andreas Baader (Foto von 1968) war ein charismatischer Kleinkrimineller
Quelle: picture-alliance / dpa

„Bei diesem Bader wurde daraufhin eine verstärkte Bewachung angeordnet und, als sich nichts in Richtung einer Befreiung tat, der gesamte Vorgang ad acta gelegt“, registrierte das Ost-Berliner Ministerium für Staatssicherheit fassungslos.

Trotzdem blieb Glaubrecht, dem erst Ende Januar unbekannte Täter den Privatwagen in Brand gesetzt hatten, vorsichtig, als Anfang Mai 1970 Andreas Baader einen Antrag auf Ausgang stellte. Im Vorjahr waren 379-mal Strafgefangene des Gefängnisses Tegel ausgeführt worden, begleitet stets von zwei bewaffneten Justizbeamten – meist zu Arztbesuchen, in wenigen Ausnahmen zur „Unterstützung des beruflichen Fortkommens“ als Teil ihrer angestrebten Resozialisierung.

Die Angeklagte Gudrun Ensslin mit ihremVerteidiger Otto Schily am 14. Oktober 1968 im Frankfurter Landgericht während des Kaufhaus-Brandstifter-Prozesses. Zu drei Jahren Zuchthaus wegen versuchter menschengefährdender Brandstiftung ist die 28jährige Germanistikstudentin am 31.10.1968 im Kaufhaus-Brandstifter-Prozeß vom Frankfurter Landgericht verurteilt worden. Ihr, sowie den Mittätern Thorwald Proll und Andreas Baader, die die gleiche Strafe erhielten, wurde vorgeworfen, in der Nacht zum 3.4.68 in zwei Frankfurter Kaufhäusern Brände gelegt zu haben. Der Schaden betrug über zwei Millionen Mark. | Verwendung weltweit
Gudrun Ensslin mit ihrem Verteidiger Otto Schily 1968. Die Rolle der RAF-Verteidiger für den Terror bedarf noch weiterer Aufklärung
Quelle: picture-alliance / dpa

Genau das verlangte auch Andreas Baader; er wolle in der Bibliothek des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen in der Miquelstraße 83 im West-Berliner Ortsteil Dahlem an einem Buch über die „Organisation randständiger Jugendlicher“ arbeiten. Doch der Gefängnisleiter lehnte ab – die notwendige Literatur könne Baader sich in die Haftanstalt kommen lassen.

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Vielleicht spielte eine Rolle, dass schon ein halbes Jahr lang eine Serie von Anschlägen mit linksextremem Hintergrund West-Berlin in Atem hielt. Zuletzt hatte es Attacken auf das Arbeitsamt im Märkischen Viertel und auf das Amerika-Haus in Charlottenburg gegeben; eine Bankfiliale und das Arbeitszimmer des höchsten Richters der geteilten Stadt, Günter von Drenkmann, waren mit Molotowcocktails in Brand gesetzt worden. In Drenkmanns Büro im Kammergericht hatten die Täter Fotos von Baader und dem wegen anderer Anschläge inhaftierten Michael „Bommi“ Baumann zurückgelassen. Die radikale Szene in der Stadt stand unter Hochspannung.

Der RAF-Rechtsanwalt Horst Mahler um 1970 in Berlin. Mahler war wegen Beteiligung an Banküberfällen und der Befreiung des RAF-Mitbegründers Andreas Baader 1974 zu 14 Jahren Haft verurteilt worden. Heute ist Mahler Mitglied der rechtsextremen NPD. | Verwendung weltweit
Horst Mahler ermöglichte die Befreiungsaktion
Quelle: picture-alliance / dpa

Am Dienstag, dem 12. Mai 1970, erfuhr Direktor Glaubrecht, dass der linke West-Berliner Verleger Klaus Wagenbach für das Projekt mit dem Arbeitstitel „Zur Organisation randständiger Jugendlicher“ Andreas Baader einen Buchvertrag angeboten habe. Das Vorhaben schien also doch ernst gemeint.

Glaubrecht aber zögerte noch, denn er war Baader schon weit entgegengekommen. Zum Beispiel hatte er dem Strafgefangenen Besuche der bekannten Journalistin Ulrike Meinhof sowie einer Frau genehmigt, die sich als Lektorin des Wagenbach-Verlages vorgestellt hatte – und zwar dreimal in nur einer Woche.

Undatiertes Fahndungsfoto der mutmaßlichen RAF-Terroristin Ulrike Meinhof. Die deutsche Journalistin war vermutlich an der gewaltsamen Befreiung von Andreas Baader 1970 in Berlin beteiligt. | Verwendung weltweit
Ulrike Meinhof war fasziniert von Baader und seiner Gewalttätigkeit
Quelle: picture-alliance / dpa

Insgesamt war Baader seit seiner Festnahme fünf Wochen zuvor bereits 25-mal besucht worden: deutlich öfter als üblich und nach der Strafvollzugsordnung zulässig. Als Baaders Anwalt Horst Mahler von Glaubrechts Ablehnung hörte, bestand er auf einem Gespräch mit dem Direktor.

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Ausschließlich Baader sei in der Lage, im Dahlemer Institut die benötigte Literatur auszuwählen, argumentierte der Verteidiger. Daraufhin gab Glaubrecht nach und genehmigte für den übernächsten Tag die Ausführung: einmalig und maximal drei Stunden lang. Für eine Wiederholung fehle das notwendige Personal.

Am 14. Mai 1970, einem Donnerstag, traf der Strafgefangene Andreas Baader gegen 9:45 Uhr in Begleitung zweier bewaffneter Justizbeamter in der Miquelstraße ein und setzte sich in den Lesesaal neben Ulrike Meinhof; ein Institutsmitarbeiter bot an, Kaffee zu kochen.

Eine Dreiviertelstunde später erschienen zwei junge Frauen, die ebenfalls im Lesesaal zu arbeiten begehrten. Doch das wurde ihnen verweigert, weil dort bereits Meinhof, Baader und die beiden Wachen saßen. Also nahmen die beiden in der Diele des Instituts Platz.

Die Beretta-Pistole und zwei Perücken wurden nach der gewaltsamen Befreiung des inhaftierten Kaufhaus-Brandstifters Andreas Baader sicher gestellt. Am 14. Mai 1970 war Baader, der gemeinsam mit Ulrike Meinhof für den Wagenbach-Verlag an einem soziologischen Werk über gefährdete Jugendliche arbeitete, eine einmalige Ausführung in das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen in Berlin-Dahlem erlaubt worden. Dort flüchtete er zusammen mit Ulrike Meinhof mit Hilfe einiger maskierter und bewaffneter Personen - darunter Gudrun Ensslin und Horst Mahler. Bei der Flucht wurde ein Institutsangesteller angeschossen und schwer verletzt. Die Baader-Befreiung gilt als die Geburtsstunde der RAF (Rote Armee Fraktion) | Verwendung weltweit
Eine Beretta-Pistole und zwei Perücken wurden nach der gewaltsamen Befreiung von Andreas Baader sichergestellt
Quelle: picture-alliance / dpa

Gegen elf Uhr öffneten sie die Tür der Villa und ließen einen maskierten Mann hinein sowie eine Frau mit roter Perücke – die angebliche Wagenbach-Lektorin, in Wirklichkeit Baaders Gefährtin Gudrun Ensslin. Beide hielten Waffen in den Händen. Georg Linke, ein 62-jähriger Mitarbeiter des Instituts, versuchte zu flüchten und wurde mit einem Bauchschuss lebensgefährlich verletzt.

Nun rissen die beiden jungen Frauen Pistolen aus ihrer Tasche, stürmten in den Lesesaal und schrien: „Hände hoch oder wir schießen!“ Ohne die Reaktion der Justizbeamten abzuwarten, feuerten sie Tränengaspatronen ab. Beide Wachen wurden verwundet. Im Handgemenge fielen weitere, ungezielte Schüsse.

An einer Berliner Litfaßsäule klebt am 22.05.1970 ein Steckbrief, mit dem nach der wegen Mordversuchs gesuchten RAF (Rote-Armee-Fraktion) Terroristin Ulrike Meinhof gefahndet wird. | Verwendung weltweit
Steckbrief mit dem Foto von Ulrike Meinhof 1970
Quelle: picture-alliance / dpa

Während der maskierte Mann und die drei Frauen die Justizbeamten beschäftigten, sprang Andreas Baader aus dem Hochparterrefenster des Institutslesesaals in den Garten. Ulrike Meinhof folgte ihm, dann kam das Befreiungskommando. Baader, Meinhof und die anderen rannten zu zwei mit Fahrerinnen und laufendem Motor bereitstehenden Wagen, einem zweitürigen Alfa Romeo und einem viertürigen BMW.

Baader und Meinhof stiegen in den BMW, ihnen folgte Ensslin. Die anderen, der maskierte Mann und die beiden jungen Frauen, quetschten sich in den Alfa. Dann brausten beide Autos mit quietschenden Reifen davon. Die Fahrt war kurz, vielleicht zwei Kilometer. Dann ließ die Fahrerin des BMW Baader, Ensslin und Meinhof aussteigen und entsorgte die gestohlenen Nummernschilder, die mit Klebeband auf den echten befestigt gewesen waren.

Herb (Patrick von Blume; r), Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek; l) und Ingrid (Anna Thalbach; M) in einer Szene des Films "Der Baader Meinhof Komplex" (undatierte Filmszene). Der Film erzählt die Geschichte der Roten Armee Fraktion (RAF) in den 70er Jahren. Nach langer Heimlichtuerei ist der Film über die RAF nun kein Geheimnis mehr. Am Dienstag (16.09.2008) hat die Constantin Film in München zur ersten großen Pressevorführung des Films über die Terrorgruppe geladen. Dabei bekamen die Journalisten ein packendes Polit-Drama zu sehen in dem vor allem die hervorragenden Schauspieler überzeugen. Foto: Constantin Film dpa (ACHTUNG: Verwendung nur für redaktionelle Zwecke im Zusammenhang mit der Berichterstattung über diesen Film!) +++(c) dpa - Report+++ | Verwendung weltweit
So stellte Regisseur Uli Edel die Befreiung von Andreas Baader für seinen Film "Der Baader Meinhof Komplex" (2008) nach
Quelle: picture-alliance/ dpa
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Mit dieser Szene wie aus einem schlechten Film begann vor einem halben Jahrhundert die Geschichte der Rote Armee Fraktion, der größten linksterroristischen Gruppe in der Bundesrepublik. Von 1970 bis 1993 fielen ihrem Amoklauf gegen den Rechtsstaat 34 Unschuldige zum Opfer – elf deutsche und niederländische Polizeibeamte, neun Zufallsopfer, sieben US-Soldaten und „nur“ sieben Männer, die den westdeutschen Staat oder seine Wirtschaft repräsentierten, also die eigentlichen Feindbilder der Angreifer darstellten.

Weitere mindestens 230 Menschen wurden bei Anschlägen der RAF teilweise schwer verletzt; der erste von ihnen war Georg Linke, der Mitarbeiter des Zentralinstituts für soziale Fragen, der durch einen Lebersteckschuss zum Pflegefall wurde und seinen Lebensabend in Krankenhäusern verbrachte.

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Dieser Artikel wurde erstmals im Mai 2020 veröffentlicht.

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