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Geschichte Herrhausen-Attentat

„Die Bombe hätte auch einen Panzer umgeworfen“

Am 30. November 1989 sprengten Terroristen den Chef der Deutschen Bank Alfred Herrhausen in die Luft. Sein gepanzerter Mercedes nutzte nichts. Ihre Botschaft lautete: „Niemand ist vor uns sicher.“
Leitender Redakteur Geschichte
Sieben Kilo TNT zerfetzten Herrhausens Limousine

Am 30. November 1989 wurde der Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen bei einem Bombenattentat ermordet. Herrhausen starb am Tatort, sein Fahrer überlebte verletzt. Zu dem Attentat bekannte sich die sogenannte dritte Generation der RAF.

Quelle: WELT/ Christoph Hipp

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Das tödliche Geheimnis: eine konkav gebogene Kupferplatte. Sie war von hinten mit etwa sieben Kilogramm hochbrisantem TNT beschichtet und bildete so die Variante der beim Militär üblichen Hohlladung.

Das Prinzip, seit Ende des Zweiten Weltkriegs in interessierten Kreisen allgemein bekannt, ist schlicht: Sobald ein Initialzünder die TNT-Ladung explodieren lässt, verdichtet die Detonationswelle von knapp 7000 Metern pro Sekunde das Kupfer zu einer Art Projektil, das extrem schnell genau entgegen der konkaven Wölbung schießt. Dieses Projektil aus unter extremem Druck verformten Metall durchdringt praktisch alles, was ihm in näherer Entfernung im Wege ist.

Auch die Panzerung einer sondergeschützten Mercedes-S-Klasse. Genau auf einen solchen Wagen zielte die Sprengladung, die am 30. November 1989 um 8.34 Uhr am relativ schmalen Seedammweg in Bad Homburg vor der Höhe.

Alfred Herrhausen (1930–1989) war seit 1985 einer der beiden, seit 1988 der alleinige Vorstandssprecher der Deutschen Bank. Oben der zerstörte Dienstwagen in Bad Homburg
Alfred Herrhausen (1930-1989) war seit 1985 Vorstandssprecher der Deutschen Bank
Quelle: picture-alliance / dpa

Die Fahrzeugkolonne von Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen, je ein Wagen mit Leibwächter vor und hinter seiner eigenen Limousine, war gerade an der Einfahrt zur Taunus-Therme vorbeigefahren, als es am Straßenrand blitzte und knallte: Die Ladung war hochgegangen.

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Das Projektil aus dem unter extremem Druck verformten Kupfer traf die rechte Fondstür vorne und riss sie auf. Der 2,8 Tonnen schwere Mercedes, der mit ziemlich genau 50 Stundenkilometern – der zulässigen Geschwindigkeit hier – unterwegs gewesen war, wurde herumgerissen und kam erst rund 40 Meter weiter zum Stehen.

Der Fahrer Jakob Nix, 62 Jahre alt, dessen rechter Arm verletzt war, quälte sich dennoch aus der noch zu öffnenden Fahrertür uns eilte um den Wagen herum zu Herrhausens üblichem Platz rechts im Fonds. Doch Hilfe war nicht mehr möglich: Der Vorstandssprecher des größten und wichtigsten deutschen Kreditinstitutes war von einem Splitter, den das Kupferprojektil auf der Innenseite der gepanzerten Tür losgerissen hatte, an der Oberschenkelschlagader getroffen worden. Er verblutete, bevor ein Notarzt vor Ort war.

Tatort des Attentats auf Alfred Herrhausen (Deutschland/Vorstandssprecher der Deutschen Bank), zerstoertes Auto, Autowrack, am 30.11.1989 in Bad Homburg / Deutschland | Verwendung weltweit
Der Tatort des Attentats am Seedammweg
Quelle: picture alliance / Sven Simon

„Das hätte auch einen Panzer umgeworfen“, urteilte ein hoher Verfassungsschützer wenig später und nur leicht übertrieben. Da es besseren Schutz als so einen gepanzerten Mercedes mit zwei Begleitfahrzeugen schlicht nicht gab, war klar, dass sogar die höchsten Repräsentanten des Staates einem Anschlag zum Opfer fallen könnten.

Der Terrorexperte Wolfgang Steinke, Abteilungsleiter im BKA, sah in dem Attentat eine Warnung. Die RAF habe beweisen wollen: „Wir können, wenn wir wollen, uns ausnahmslos jeden herausgreifen und erledigen.“

Denn dass Linksextremisten der Roten Armee Fraktion die Bombe gelegt hatten, stand von Anbeginn an fest – auch wenn natürlich umgehend alle möglichen Verschwörungstheorien wucherten.

Die zerstörte Herrhausen-Limousine in Bad Homburg am 30. November 1989. Der Vorstandssprecher der Deutschen Bank AG, Alfred Herrhausen, wurde bei einem Bombenattentat am 30.11.1989 in Bad Homburg getötet. Er befand sich auf dem Weg von seinem Haus in sein Frankfurter Büro als die Autobombe in seinem Wagen in die Luft ging. | Verwendung weltweit
Terrorexperten an der zerstörten Limousine am 30. November 1989
Quelle: picture-alliance / dpa
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Als die Ermittler die nähere Umgebung absuchten, stießen sie auf einen zweiadrigen, 88 Meter langen Draht. Er führte zu einem Schaltgerät, das hinter Buschwerk lag – aber an einer Stelle, von der aus man den Seedammweg gut überblicken konnte.

Daneben lag ein einzelnes Blatt im Din-A4-Format, eingeschweißt in eine Plastikfolie. Darin bekannte sich, mit dem charakteristischen RAF-Symbol, einer Maschinenpistole in einem fünfzackigen Stern, ein „Kommando Wolfgang Beer“ zu dem Anschlag. Wolfgang Beer war ein RAF-Mitglied, das 1980 bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war.

War die Bombe, die Herrhausen tötete, eine „professionelle Sprengladung“, für die man besondere Kenntnisse brauchte? Diese Behauptung wurde und wird immer wieder aufgestellt, um eine angebliche Täterschaft von Geheimdiensten – mal Stasi, mal BND, mal irgendwelche anderen vermeintlichen Dunkelmänner – zu konstruieren.

Abtransport des zerstoerten Autos nach dem Attentat auf Alfred Herrhausen (Deutschland/Vorstandssprecher der Deutschen Bank), , Autowrack, Tatort, am 30.11.1989 in Bad Homburg / Deutschland | Verwendung weltweit
Das Wrack des gepanzerten Mercedes wird abtransportiert
Quelle: picture alliance / Sven Simon

Heute findet man Anleitungen zum Bau solcher „projektilbildenden Ladungen“ problemlos im Internet. Doch auch 1989 wussten einigermaßen gut ausgebildete Terroristen, wie man so etwas baute – palästinensische Bombenbastler im Libanon setzten ähnliche Ladungen in ihrem Kampf gegen Israel ein.

Auch die Zündung war keine Technik, für die man militärische Spezialkenntnisse brauchte. Sie bestand aus einer Lichtschranke. zusammengestellt aus handelsüblichen Teilen, die man in Fachmärkten für Elektronikbastler problemlos erwerben konnte.

Das war präziser als eine Zündung von Hand – beim Anschlag auf Nato-Oberbefehlshaber Alexander Haig 1979 hatte noch ein Mitglied der vorhergehenden RAF-„Generation“ einen Sekundenbruchteil zu spät gedrückt.

Das Archivbild vom 09.07.1986 zeigt Kriminalbeamte am durch eine ferngesteuerte Bombe zerfetzten Fahrzeug des Siemens-Vorstandsmitgliedes Karl Heinz Beckurts in der Nähe von München. Auch zwölf Jahre nach dem Attentat der RAF, bei dem Beckurts und sein Fahrer getötet wurden, ist das Verbrechen noch nicht aufgeklärt. dpa | Verwendung weltweit
Der zerfetzte BMW nach dem Doppelmord an Siemens-Vorstandsmitglied Karl Heinz Beckurts und seinem Fahrer Eckhard Groppler 1986
Quelle: picture alliance / dpa

Die dritte „Generation“ hatte trotzdem 1986 abermals auf eine Handzündung gesetzt, beim Doppelmord an Siemens-Vorstand Karl-Heinz Beckurts und seinem Fahrer Eckhard Groppler. Dabei verwendeten sie allerdings eine Ladung mit rund 50 Kilogramm Sprengmaterial in mehreren Gasflaschen.

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Nun also eine Lichtschranken–Zündung und ein völlig anderer Typ von Bombe. Eine Ladung wie 1986 hätte der gepanzerte Mercedes von Herrhausen vielleicht überstanden, ohne dass die Insassen schwer verletzt worden wären. Er wäre sicher herumgewirbelt worden, doch zum Schutz vor solchen Angriffen sowie vor Attacken mit Schusswaffen, war das Fahrzeug konzipiert. Nicht aber gegen eine projektilbildende Ladung.

Dennoch gibt es keinen vernünftigen Zweifel, dass die RAF verantwortlich für diesen Mord war. Die beiden einzigen Mitglieder der „dritten Generation“, die – allerdings für andere Attentate – verurteilt wurden, bekannten sich nämlich dazu.

„Die RAF war verantwortlich“: Eva Haule in einem Leserbrief
Eva Haule bekannte sich per Leserbrief zur RAF-Täterschaft am Herrhausen-Mord
Quelle: picture-alliance/ dpa

„Hier noch einmal klipp und klar“, schrieb die nach 21 Jahren Haft 2007 auf Bewährung entlassene Eva Haule in einem Leserbrief an die „Junge Welt“, das Leib- und Magenblatt deutscher Linksextremisten: „Die RAF war verantwortlich u. a. für die Aktionen gegen Alfred Herrhausen, Gerold von Braunmühl und Detlev Rohwedder.“ Da sie zur Zeit dieser Anschläge schon verhaftet war, riskierte Haule mit dem Bekenntnis juristisch gesehen nichts.

Etwas vorsichtiger äußerte sich die erst 1993 festgenommene Birgit Hogefeld, wahrscheinlich eine Anführerin der dritten RAF-Generation, in einem „Spiegel“-Interview: „Ich will als Ergebnis dieses Gesprächs keine Herrhausen-Anklage. Wenn ich hier von ,wir’ spreche, dann immer, weil mein Lebensweg seit über 20 Jahren mit dieser Gruppe verknüpft ist und ich mich für die gesamte Geschichte mitverantwortlich fühle.“

„Wenn ich hier von ,wir‘ spreche“: RAF-Mitglied Birgit Hogefeld
Birgit Hogefeld übernahm nur indirekt und in nicht justiziabler Form die Verantwortung für den Mord an Herrhausen
Quelle: picture-alliance / dpa

Zuvor hatte sie behauptet, Herrhausen könnte noch leben, wenn die Justiz, wie von der RAF gefordert, alle inhaftierten Terroristen zusammengelegt hätte. Das war ein so klares Bekenntnis, wie es ohne eine Selbstbelastung möglich war. Zu den kursierenden Verschwörungstheorien sagte Hogefeld: „In den linksradikalen Zusammenhängen, die ich kenne, hatte dieser Unsinn nie eine Bedeutung.“

Mehr allerdings wissen die Ermittler auch drei Jahrzehnte nach dem Mord an Alfred Herrhausen nicht. Der 2009 unternommene Versuch, DNA-Spuren auf dem Bekennerschreiben auszuwerten, führte zu keinem Ergebnis. Im kriminalistischen Sinne bleibt der Anschlag vom 30. November 1989 ungelöst.

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