Zwei in die Leipziger Nacht gerichtete Hände. Kleiner Finger und Zeigefinger abgespreizt, Mittel- und Ringfinger an den Daumen gedrückt. Der türkische Abwehrspieler Merih Demiral, der sein Geld bei Al-Ahli in Saudi-Arabien verdient, feierte seinen Siegtreffer gegen Österreich mit dem Wolfsgruß. Er ist das Erkennungszeichen türkischer Rechtsextremer. Von den Anhängern der Grauen Wölfe, den selbst ernannten "Idealisten" (Ülkücüler), gingen in den vergangenen Jahrzehnten etliche Gewalttaten und Morde aus.
Auf Demirals Jubelgeste folgte eine mediale und auch politische Debatte. Der Gruß und die Grauen Wölfe sollten verboten werden. Mittlerweile haben Deutschland und die Türkei ihre Botschafter einbestellt. Demiral wies
die Kritik zurück: "Wie ich gefeiert habe, hat etwas mit meiner
türkischen Identität zu tun." Er habe andere Leute auf der Tribüne
gesehen, die so gefeiert hätten, und habe es ihnen nur gleichgetan. Die Uefa hat ein
Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet. Zuvor hat sie schon Albaniens
Spieler Mirlind Daku für zwei Spiele gesperrt, nachdem dieser über ein
Megafon abfällige Sprechchöre gegenüber Nordmazedonien angestimmt hatte.
Fälle wie diese zeigen das Dilemma dieser EM. Solch ein Fußballturnier ist nicht ausschließlich ein spaßiges, großes Volksfest, bei dem sich alle fröhlich in den Armen liegen. Während eines großen Turniers, bei dem Nationen gegeneinander antreten, werden auch Nationalismen sichtbar. Und wenn ein Kontinent nach rechts rückt, bemerkt man das auch beim Fußball umso mehr.
Europas rechte Parteien erzielen Wahlerfolge, in Italien ist die
selbst ernannte "Postfaschistin" Giorgia Meloni sogar Ministerpräsidentin. In den Niederlanden hat Geert Wilders eine
Regierung seiner Gnaden ins Amt gehoben. Ungarn wird seit Jahren von
Viktor Orbán regiert und der Rassemblement National wurde bei den Wahlen in Frankreich jüngst stärkste Kraft. In Deutschland ist die
AfD inzwischen eine etablierte Partei und zweitstärkste Kraft in
Umfragen im gesamten Land.
Und so wird auch diese EM zu einer Bühne der Ambivalenz: Es gibt Platz für freundschaftliches
Aufeinandertreffen und humorvolle Performances. Das Turnier bringt einen Monat lang Menschen aus ganz Europa und darüber hinaus zusammen. Die Videos der orange gefärbten Innenstädte in Feierlaune oder humorvolle kulinarische Duelle waren überall im Internet zu finden. Schottland und Köln verliebten sich ineinander, sodass Kilt tragende Männer leidenschaftlich die Hymne des 1. FC Köln zu der Melodie des schottischen Volksliedes Loch Lomond mitsangen.
Zugleich nutzen extreme Rechte die Möglichkeit, ihre Botschaften zu verbreiten. So waren bei allen drei kroatischen Gruppenspielen positive Bezüge auf die faschistische Ustascha-Bewegung des Nazi-Kollaborateurs Ante Pavelić sowie der sich in der Tradition der Ustascha sehenden HOS-Miliz auf den Tribünen zu beobachten. Serbische Fußballfans stellten ihre Großmachtfantasien zur Schau, indem sie die Unabhängigkeit des Kosovos leugneten. Sie hängten russische Fahnen auf und skandierten "Putin", was als Unterstützung des russischen Angriffskrieges gegen die gesamte Ukraine gewertet werden kann.
Im Berliner Olympiastadion wurde im österreichischen Fanblock ein Banner mit dem Kampagnennamen Defend Europe der neofaschistischen Identitären Bewegung gezeigt. Und Fans mehrerer Länder, darunter Deutschland, Ungarn und der Schweiz, sangen die Melodie des Liedes L'amour Toujours von Gigi D'Agostino. Das Lied hatten sich in der Vergangenheit Rechtsextreme angeeignet und mit rassistischen Aussagen untermalt (unten eine komplette Liste aller rechtsextremen Vorfälle rund um die EM).
Andererseits nutzen Spieler oder Trainer auch ihre Stimme, um sich gegen Rechtsextremismus auszusprechen. "Gerade die Geschichte in Österreich und Deutschland in den letzten hundert Jahren sollte uns Lehre genug sein", warnte Österreichs deutscher Teamchef Ralf Rangnick. "Wir müssen gerade auf dem rechten Auge sehr wachsam sein und sehr aufpassen." Neben Rangnick haben sich auch Frankreichs Kylian Mbappé und
Österreichs Michael Gregoritsch während des Turniers öffentlich gegen rechts positioniert.
Was in diesen Tagen auch klar wird: Fußball ist politisch. Das Stadion war und ist ein Ort politischer Kommunikation. Das kann in unterschiedliche Richtungen ausschlagen. Wir haben während dieser EM beides gesehen: die schönen und fröhlichen Seiten sowie nationalistische Ausbrüche. Klar musste von Anfang an sein: Europas Rechtsruck spiegelt sich auch auf den Rängen wider.
Bekannte nationalistische und rechtsextreme Vorfälle rund um diese EM im Überblick:
- Der türkische Torjäger Merih Demiral jubelte bei seinem 2:0 gegen Österreich mit dem Wolfsgruß, einem Erkennungszeichen der rechtsextremen Grauen Wölfe. Auch einige türkische Fans hatten vor und während den Begegnungen ihrer Mannschaft den Wolfsgruß gezeigt, beim Spiel gegen Tschechien kursierten Bilder feiernder Anhänger mit einer Fahne der Grauen Wölfe.
- Österreichische Fans sangen in Leipzig während einer TV-Übertragung des Schweizer Fernsehens "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!" zur Melodie von Gigi D'Agostinos Party-Lied L'amour Toujours. Die rassistische Version ist ein rechtsnationalistisches Meme, auch Fans anderer Nationen sangen das Lied bereits während der EM.
- Im österreichischen Block wurde während des Spiels gegen Polen ein Banner mit der Aufschrift "Defend Europe" gezeigt. Dabei handelt es sich um einen migrationsfeindlichen Slogan der völkischen Identitären Bewegung, die in verschiedenen europäischen Ländern aktiv ist.
- Beim Deutschlandspiel gegen Ungarn zogen ungarische Fans mit einem "Free Gigi"-Plakat umher, in Anspielung an das Verbot der Uefa, auf Fanmeilen das Lied von Gigi D'Agostino zu spielen. Dazu sangen die Fans die Melodie von L'amour Toujours. Das Banner war später auch im Stadion sichtbar. Einen Tag später erklangen die Döp-Dödö-Döp-Sänge während des Spiels Spanien gegen Italien (53. Minute).
- Die rassistischen Parolen zu L'amour Toujours wurden auch bei deutschen Fanveranstaltungen gesungen, ZEIT ONLINE hat eine Karte mit bekannten Vorfällen seit dem Eröffnungsspiel zusammengetragen.
- Ungarische Fans fielen rund um das Deutschlandspiel auch mit Hitlergrüßen und queerfeindlichen und sexistischen Bannern sowie einem Plakat mit der Aufschrift "Anti-Antifa" auf.
- Hitlergrüße wurden außerdem von einigen Fanveranstaltungen beim EM-Eröffnungsspiel gegen Schottland gemeldet sowie aus Berlin während des Achtelfinalspiels gegen Dänemark.
- Albanische Fans zeigten sich vor der Begegnung mit Italien mit einer Großalbanien-Fahne, die Teile von Montenegro, Serbien, Nordmazedonien, Griechenland und das gesamte Kosovo umfasst. Fans aus Kroatien und Albanien skandierten "Tötet Serben" während ihres Spiels, im Block waren antiserbische und antikosovarische Plakate sichtbar. Für das Skandieren der Parole wurde der albanische Stürmer Mirlind Daku von der Uefa gesperrt. Albanische Fans verbrannten obendrein eine serbische Flagge.
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Kroatische Fans ehrten vor dem Spiel gegen Spanien den Kriegsverbrecher Slobodan Praljak und trugen Wappen einer neofaschistischen Miliz.
- Slowenische und serbische Fans sangen gemeinsam "Kosovo ist das Herz von Serbien".
- Serbische Fans zeigten prorussische Banner. Sie skandierten in München vor dem Spiel gegen Dänemark "Putin, Putin". Zudem posierten serbische Fans mit der Fahne einer ultranationalistischen Miliz, die Kriegsverbrechen begangen hat.
- Englische Medien berichteten, dass Affenlaute aus dem serbischen Fanlager in Richtung der englischen Spieler gemacht wurden.
- Englische Fans zeigten sich mit einem migrationsfeindlichen Plakat, auf dem "Stop the Boats" stand – eine Anspielung an Geflüchtete, die den Ärmelkanal mit Booten überqueren.
Mitarbeit: Philip Moser
Zwei in die Leipziger Nacht gerichtete Hände. Kleiner Finger und Zeigefinger abgespreizt, Mittel- und Ringfinger an den Daumen gedrückt. Der türkische Abwehrspieler Merih Demiral, der sein Geld bei Al-Ahli in Saudi-Arabien verdient, feierte seinen Siegtreffer gegen Österreich mit dem Wolfsgruß. Er ist das Erkennungszeichen türkischer Rechtsextremer. Von den Anhängern der Grauen Wölfe, den selbst ernannten "Idealisten" (Ülkücüler), gingen in den vergangenen Jahrzehnten etliche Gewalttaten und Morde aus.
Auf Demirals Jubelgeste folgte eine mediale und auch politische Debatte. Der Gruß und die Grauen Wölfe sollten verboten werden. Mittlerweile haben Deutschland und die Türkei ihre Botschafter einbestellt. Demiral wies
die Kritik zurück: "Wie ich gefeiert habe, hat etwas mit meiner
türkischen Identität zu tun." Er habe andere Leute auf der Tribüne
gesehen, die so gefeiert hätten, und habe es ihnen nur gleichgetan. Die Uefa hat ein
Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet. Zuvor hat sie schon Albaniens
Spieler Mirlind Daku für zwei Spiele gesperrt, nachdem dieser über ein
Megafon abfällige Sprechchöre gegenüber Nordmazedonien angestimmt hatte.