Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hat sich in Moskau mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin getroffen – und sich dort nach Aussagen beider Politiker vor allem über die russischen Forderungen für ein Kriegsende in der Ukraine informiert. Er habe die vorab nicht angekündigte Reise angetreten, um sich Putins Vorstellungen über die Bedingungen für eine Waffenruhe, Friedensgespräche und die europäische Sicherheitsordnung nach dem Krieg anzuhören, sagte Orbán bei einer Pressekonferenz nach dem mehr als zweistündigen Treffen.

"Frieden ist für Europa das Wichtigste", sagte Orbán. Die EU-Ratspräsidentschaft, die sein Land turnusmäßig vor wenigen Tagen übernahm und bis Jahresende innehat, werde im Zeichen stehen, dem Frieden näher zu kommen. Ungarn sei eines von wenigen Ländern, die in der Lage seien, sowohl mit der Ukraine als auch mit Russland zu sprechen. "Von bequemen Sesseln in Brüssel aus kann man keinen Frieden schaffen", schrieb Orbán zuvor auf der Plattform X – als Reaktion auf Kritik aus der EU, wonach Orbán den Eindruck erwecke, er vertrete in Moskau die EU. Dazu berechtigt die Ratspräsidentschaft jedoch nicht.

Putin wiederholte bei der Pressekonferenz seinerseits die russischen Forderungen an die Ukraine, die Bedingung für eine Waffenruhe sein könnten. Grundlage müsse ein ukrainischer Truppenabzug aus großen Teilen der von Russland annektierten, aber nicht vollständig eroberten Regionen Cherson, Saporischschja, Luhansk und Donezk sein. Erst danach könne man über weitere Forderungen sprechen, sagte Putin, ohne sie zu nennen.

Die Ukraine fordert ihrerseits einen vollständigen russischen Truppenabzug von ihrem Gebiet. Weitere territoriale Zugeständnisse an Russland schließt das Land aus – mit dem Argument, dass sie, wie im Fall der russischen Krimannexion 2014, nicht gegen weitere russische Angriffe schützen könnten. Zuletzt hat sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj jedoch indirekt offen dafür gezeigt, auf die militärische Befreiung besetzter Gebiete zu verzichten, sollte das Land im Gegenzug dafür als Garantie für seine künftige Sicherheit der Nato beitreten können. Das gilt allerdings als äußerst unwahrscheinlich, auch die Ukraine bewertet ein solches Szenario als unrealistisch – unter anderem weil auch Russland immer wieder eine Neutralität der Ukraine als Voraussetzung für ein Kriegsende fordert.

Putin widerspricht eigenen Angaben zu Möglichkeit von Feuerpause

Dem "Kiewer Regime" warf Putin in der Pressekonferenz mit Orbán vor, keine Waffenruhe zu wollen – nachdem er am Donnerstag noch selbst gesagt hatte, von russischer Seite würden die Kampfhandlungen ohne den geforderten ukrainischen Truppenabzug nicht enden. Nun sagte er, es sei die ukrainische Regierung, die einer Kampfpause im Weg stehe. Sie missbrauche den Kriegszustand, um im Amt zu bleiben. Putin und russische Staatssender sprechen seit Wochen immer wieder von einer angeblichen Illegitimität der ukrainischen Regierung.

Grund dafür sind die dort ausgefallenen Präsidentschaftswahlen, die nach ukrainischem Recht nicht während des Kriegszustandes stattfinden dürfen. Allerdings hatte Putin der ukrainischen Regierung schon zu Kriegsbeginn die Legitimität abgesprochen. Die Forderung nach einem Regierungswechsel in Kiew gehört unter dem Begriff einer angeblich notwendigen "Denazifizierung" seit Kriegsbeginn zu immer wieder von Russland geäußerten Bedingungen für Frieden. Mit wem Gespräche darüber geführt werden sollten, bleibt den Aussagen aus Moskau zufolge jedoch oft unklar. Vergangenen Monat sprach Putin in China etwa davon, "über die Ukraine" verhandeln zu wollen, nicht aber zwangsläufig mit ihr.

Putin betonte auch Orbáns Rolle als symbolischer Vertreter der EU. Als solcher habe der ungarische Regierungschef mit ihm Meinungen über die Beziehungen zwischen der EU und Russland ausgetauscht, die "auf einem Tiefstand" seien. Die "Sponsoren" der Ukraine versuchten weiterhin, das Land als "Rammbock" gegen Russland zu nutzen, und seien nicht an Frieden interessiert.

Moskaubesuch nicht mit ukrainischer Regierung abgesprochen

Orbán hatte zu Beginn seiner Ratspräsidentschaft vor der Moskaureise Kiew besucht und sich dort mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj getroffen. Die ukrainische Regierung bemüht sich seit langer Zeit um eine solche Gelegenheit: Orbán gilt als Putin-freundlicher EU-Regierungschef und hat zahlreiche EU-Entscheidungen zu wirtschaftlicher und militärischer Unterstützung des angegriffenen Landes in den vergangenen zwei Jahren entweder blockiert oder teils deutlich verzögert.

Der Besuch bei Putin sei jedoch nicht mit der ukrainischen Regierung abgesprochen, teilte das Außenministerium in Kiew mit. "Der Grundsatz 'Keine Vereinbarungen über die Ukraine ohne die Ukraine' bleibt unantastbar", schrieb die Behörde auf der Plattform X. "Wir rufen alle Staaten auf, sich daran zu halten." Auch von russischer Seite hieß es, Orbán habe an Putin keine Botschaft aus Kiew weitergetragen.

Kritik von EU und USA, Lob aus der Slowakei

EU-Vertreter kritisierten Orbáns Reise deutlich härter. Er habe dafür keine Rückendeckung der EU, sagte der EU-Chefdiplomat Josep Borrell. Kommissionssprecher Eric Mamer sagte, es gehe Orbán nicht um Frieden, sondern "um Appeasement". Borrells designierte Nachfolgerin, die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas, warf Orbán vor, den EU-Vorsitz auszunutzen, um Verwirrung zu stiften. Für Irritation in der Bundesregierung sorgte die Absage eines für kommenden Montag geplanten Treffens zwischen Orbán und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) durch Ungarn. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es, angesichts des unabgesprochenen Moskaubesuchs Orbáns hätte es durchaus Gesprächsbedarf gegeben. Deutliche Kritik kam auch aus den USA. Die Sprecherin von Präsident Joe Biden, Karine Jean-Pierre, nannte Orbáns Russlandbesuch "kontraproduktiv".

Orbán rechtfertigte sich: Er habe "kein Mandat gebraucht, weil ich nichts repräsentiere", sagte er. "Das Einzige, was ich tue, ist, dorthin zu gehen, wo ein Krieg herrscht oder ein Krieg droht, der negative Folgen für Europa und auch für Ungarn hat." Unterstützung erhielt der ungarische Ministerpräsident von seinem slowakischen Kollegen Robert Fico. In seinem ersten öffentlichen Auftritt seit dem Attentat auf ihn drückte Fico seine "Bewunderung" dafür aus, dass Orbán sowohl nach Kiew als auch nach Moskau gereist sei. Um zu verhindern, dass der Krieg in der Ukraine außer Kontrolle gerate und zu einem noch viel größeren militärischen Konflikt ausufere, könne es "an Friedensinitiativen nie genug geben", sagte der linksnationalistische Politiker.

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