Die ARD muss den Spitzenkandidaten des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) nachträglich in ihre Sendung ARD Wahlarena am heutigen Abend zur Europawahl einladen. Das hat das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht am gestrigen Mittwoch entschieden, und es handelt sich hier leider nicht um einen Scherz. Es war ein echtes Eilverfahren, der Beschluss ist auf Landesebene unanfechtbar. Zwar kann der WDR, der die Sendung produziert für die ARD, noch versuchen, beim Bundesverfassungsgericht einen Eilentscheid zu erwirken. Aber erst mal gilt: Fabio De Masi, Spitzenkandidat des BSW für die Europawahl, hat heute Abend um 21 Uhr einen Platz im Ersten.

Ein Gericht entscheidet mit über die Besetzung einer Fernsehsendung? Es wäre leicht, an dieser Stelle auszurufen: Was für ein Irrsinn! Aber so einfach ist es nicht. Der Fall liefert neuen Stoff für die Debatte, ob und wie die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF alle gesellschaftlich relevanten Gruppen abbilden und sie zu Wort kommen lassen. Und in einer zunehmend vielfältigeren Parteienlandschaft ist diese Europawahl am kommenden Sonntag automatisch auch ein Test für die Wahlen in drei ostdeutschen Ländern im Herbst und mögliche Fernsehdebatten vor der Bundestagswahl im kommenden Jahr.

Aber kurz zur Vorgeschichte. Beim WDR liegt die redaktionelle Verantwortung für die ARD Wahlarena, und in deren Ankündigung heißt es: "Drei Tage vor der Wahl stellen sich die deutschen Spitzenkandidatinnen und -kandidaten für das Europaparlament dem Publikum." Bürgerinnen und Bürger konnten sich darum bewerben, ihre Fragen zu stellen.

Eingeladen waren ursprünglich sieben Kandidaten und Kandidatinnen, die von CDU, CSU, SPD, Grünen, FDP, AfD und Linken – nicht aber des BSW, obwohl es in den Umfragen zum Teil deutlich und weit vor FDP und Linken liegt. Warum ging dann keine Einladung an das BSW raus? Der WDR behauptete vor Gericht, man habe nur Parteien eingeladen, die derzeit im Europaparlament vertreten seien. Doch damit widerspricht sich der Sender selbst, denn in der Ankündigung zur Wahlarena schreibt die ARD, es würden sich "die deutschen Spitzenkandidatinnen und -kandidaten für das Europaparlament" der Fragen stellen. Es soll also keine Sendung werden, die die nun zu Ende gehende Wahlperiode bilanziert (dann könnte man wirklich nur Vertreter der aktuell im Parlament vertretenen Parteien hinzubitten), sondern eine, die auf die bevorstehende Wahl und die kommende EU-Parlamentszusammensetzung hin konzipiert ist. Da liegt ein logischer Fehler vor.

Oder man nennt es einfach eine rheinische Wahrheit. Die ist manchmal ein Näherungswert, so wie Caro-Kaffee kein echter Kaffee ist, sich aber irgendwie so nennen darf.

Zugleich ist auch klar, dass der WDR nicht alle Spitzenkandidaten aller Parteien einladen kann. Nicht mal die Breite einer Kinoleinwand würde ausreichen, um sie nebeneinander zu platzieren. Wie viele Gäste passen also in ein normales Fernsehformat? Zumal eine wachsende Zahl von Zuschauerinnen die Wahlarena übers Smartphone schauen wird. Irgendwo muss also Schluss sein. Und die Redaktion hat offensichtlich ein Raster genommen, um zu sortieren, wen sie einlädt und wen nicht – und zum falschen Raster gegriffen. Den BSW-Kandidaten nicht einzuladen, ist zweifellos eine Fehlentscheidung der Redaktion gewesen. Mal sehen, wann WDR und ARD das zugeben.

Die Redaktion hätte auch andere Raster nehmen können. Sie hätte entscheiden können, relevant sei nur, wer in den Umfragen über fünf Prozent liegt. Dann wäre das BSW drin, aber FDP und Linke wären draußen gewesen. Der WDR hätte auch sagen können, dass nur echte Spitzenkandidaten auftreten. Dann wäre keiner von der AfD dabei, weil deren erste Nummer für Europa, Maximilian Krah, nicht mehr im Wahlkampf auftreten darf, so hat es die Parteiführung beschlossen. Und da auch die Nummer zwei (Petr Bystron) nicht mehr vorzeigbar ist, schickt die AfD den Kandidaten auf Listenplatz drei, René Aust, in die ARD Wahlarena.