Der Mann ist völlig abgemagert, stark geschwächt, hat eingefallene Wangen und graue Haut – und er ist nach eigenen Angaben "bereit zu sterben": Seit dem 7. März befindet sich der 49-jährige Ingenieur Wolfgang Metzeler-Kick im Hungerstreik, aus Protest gegen die Klimapolitik der Bundesregierung. Schon fast drei Monate lang campiert er mit weiteren Aktivisten im Berliner Regierungsviertel. Mit ihm hungern drei weitere Männer, zwei weitere haben ihren Hungerstreik jedoch beendet. Es ging nicht mehr. Nur Wolli, wie der Aktivist von seinen Mitstreitern genannt wird, gibt nicht auf. 86 Tage ohne Nahrung – das ist ein sehr langer Hungerstreik. Für den Klimaschützer steht fest: Sollte er sterben, sei dies der Beweis dafür, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eher bereit sei, "einen Menschen sterben zu lassen, als Fakten aufzuzeigen", sagte er dem Tagesspiegel.

Das ist es, was das Bündnis Hungern bis ihr ehrlich seid mit der Protestaktion erreichen will: unter Einsatz des eigenen Lebens so viel Druck auf Bundeskanzler Olaf Scholz ausüben, dass dieser vier von dem Bündnis aufgestellte Punkte zur Klimakrise öffentlich sagt – und die Ampelregierung einen radikalen Kurswechsel bei der Klimapolitik macht. Kurz vor der Bundestagswahl, 2021, sind schon einmal Klimaaktivistinnen und -aktivisten in den Hungerstreik getreten. Robert Habeck, damals noch Bundesvorsitzender der Grünen, besuchte die Aktivisten in ihrem Protestcamp. 2024 aber haben weder Habeck, heute als Bundeswirtschaftsminister, noch Bundeskanzler Olaf Scholz Zeit für so etwas. Allerdings hat der Kanzler bereits wiederholt an die Teilnehmer des Klimahungerstreiks appelliert, ihre Aktion abzubrechen.

Metzeler-Kick reicht das nicht. Seit Kurzem verzichtet der 49-Jährige auch auf die Zufuhr von Säften und nimmt nur noch Wasser und Elektrolyte zu sich. Jetzt befindet er sich in einem "sehr kritischen Zustand", wie die Ärztin Susanne Koch, die gemeinsam mit anderen Kolleginnen und Kollegen die Aktivisten ehrenamtlich betreut, am Dienstag in einem auf X veröffentlichten Video erklärte. Darin gab die Privatdozentin für Anästhesie an der Charité, die auch Mitglied der Berliner Klimaliste und der Bewegung Scientist Rebellion ist, bekannt, dass die Mediziner die Verantwortung nicht mehr übernehmen könnten.

Dennoch denkt der Hungerstreikende nicht ans Aufhören. Im Gegenteil hat er zusammen mit einem weiteren Aktivisten angekündigt, bald in den sogenannten trockenen Hungerstreik treten zu wollen. Ab wann und wie lange, soll auf einer Pressekonferenz am Montag bekannt gegeben werden. Bei einem trockenen Hungerstreik verweigern Aktivisten auch die Aufnahme von Flüssigkeit. Dies führt nach wenigen Tagen zum Tod. Es ist die radikalste Form des Hungerstreiks, die letzte Eskalationsstufe. Wäre es nicht spätestens jetzt an der Zeit, den Mann, der auch Vater eines Kindes im Teenageralter ist, davon abzuhalten? Und wie gut kann jemand nach einer so langen Zeit des Nahrungsverzichts überhaupt noch klare Entscheidungen treffen?

Trotz des fast schon drei Monate langen Hungerstreiks bestätigte das Ärzteteam, dass Metzeler-Kick "voll orientiert" sei und die Fortsetzung des Hungerstreiks seine "eigene, freie und bewusste Entscheidung" sei. Eine Intervention, etwa durch das Einschalten des Sozialpsychiatrischen Dienstes, komme derzeit nicht infrage, sagte die Medizinerin Koch, da der 49-Jährige keinerlei psychische Auffälligkeiten zeige.

Ärzte dürfen nicht bei der Selbsttötung mitwirken

Aber müssen Ärztinnen und Ärzte, die einen solchen Protest begleiten, nicht irgendwann einschreiten? Die Klimaaktivisten hatten ihr Camp zuerst im Spreebogen in Sichtweite des Bundeskanzleramts aufgestellt, mittlerweile ist es direkt zwischen dem Bundeswirtschafts- und dem Verkehrsministerium anzufinden. Die Aktivisten rufen auf ihrer Website dazu auf, ihr Camp zu besuchen. Sie halten Pressekonferenzen und Veranstaltungen ab. Macht sich nicht jeder, der dem Sterben öffentlich zusieht, wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar?

Die Rechtslage ist eindeutig: Sich in aller Öffentlichkeit aus politischem Protest zu Tode zu hungern, ist möglich, im Grunde kann niemand einschreiten. Auch Ärzte dürfen einem Menschen in diesem Fall nicht helfen. Jemanden gegen seinen Willen zwangszuernähren, kann sogar eine Straftat darstellen. Ärzte dürfen einen Menschen nicht gegen seinen Willen medizinisch behandeln, sie dürfen nach dem Strafgesetz auch ein selbstbestimmtes Sterben ermöglichen. Der Berufsordnung der Ärztekammern zufolge ist es aber nicht gestattet, bei der Selbsttötung mitzuwirken. Aus diesem Grund hat das medizinische Supportteam nun die Verantwortung abgegeben.

Bereits 1975 hatte der Weltärztebund festgehalten, dass sich Mediziner an Maßnahmen zur Zwangsernährung bei Hungerstreikenden nicht beteiligen dürfen. Seither wurde diese Festlegung immer wieder erneuert, zuletzt im Jahr 2017. An die Declaration on Hunger Strikers sind auch deutsche Medizinerinnen gebunden. 

Was aber ist, wenn der Hungerstreikende nicht mehr eigenständig entscheiden kann, weil er etwa bewusstlos wird? Damit wird spätestens, wenn Metzeler-Kick in den trockenen Hungerstreik tritt, zu rechnen sein. Die Überlebenszeit ohne Wasser beträgt nur wenige Tage, da der Wasserverlust im Körper zur Dehydratation führt, in deren Folge der Mensch das Bewusstsein verliert. Zuvor können Symptome wie Verwirrtheit auftreten. Dass der weitere Verlauf – Nierenversagen und schließlich Multiorganversagen und der Tod – wirklich gewollt ist, kann dies bei einem Menschen im Delirium oder einem Bewusstlosen noch unterstellt werden? 

Ja, sagen Medizinrechtler wie der Berliner Fachanwalt für Medizinrecht Torsten Münnch gegenüber RBB24. Entscheidend sei, was die Personen vor Eintritt der Bewusstlosigkeit als Willen geäußert hätten. Sofern sich die äußeren Umstände nicht ändern und davon auszugehen ist, dass sich dadurch der Wille geändert haben könnte, dürfen Mediziner auch dann nicht einschreiten.

Auch medizinisch wäre ein Einschreiten gefährlich

Selbst Angehörige dürfen keine Zwangsernährungsmaßnahmen durchführen. Unterlassene Hilfeleistung ist das Mitansehenmüssen aber nicht, vor allem nicht, wenn sich die Hungerstreikenden noch selbst helfen können. Medizinisch wäre ein Einschreiten auch gefährlich, da bleibende Schäden auftreten können, wenn die Nahrungs- und erst recht die Flüssigkeitszufuhr nicht sachgemäß erfolgt. Mit bleibenden Schäden muss man jedoch schon vorher rechnen. 

Metzeler-Kick nimmt derzeit noch Salz, Wasser und auch Vitamin B zu sich, auch um Hirnschäden zu vermeiden. Mit 86 Tagen Hungerstreik hat er einen radikalen Rekord aufgestellt. Einige hungerstreikende Menschen haben 50 bis 70 Tage überlebt, manche aber sterben bei dieser Form des Protests auch. Wie etwa der RAF-Terrorist Holger Meins, der nach 57 Tagen und trotz Zwangsernährung im Hungerstreik im Jahr 1974 starb.