Die größten Veränderungen liegen manchmal in nur einem Wort. Und so muss man in der Pressemitteilung zu Apples neuem iPad Pro schon Wörter zählen, um zu erkennen, welchen entscheidenden Umschwung der iPhone-Konzern hier vergangene Woche zwischen den Zeilen angekündigt hat. Es geht um die Wörter machine learning (ML), maschinelles Lernen, und artificial intelligence (AI), künstliche Intelligenz. Während in der Mitteilung ML nur dreimal vorkommt, wird AI ganze elfmal benannt.

Das ist zwar noch nicht ganz so oft wie bei Google, aber zeigt doch, wie sehr Apple seinen Kurs geändert hat: Jahrelang redete man nur von maschinellem Lernen und den soundsovielen Rechenoperationen der Neural Engine, das Wort künstliche Intelligenz kam den Apple-Managern aber nicht über die Lippen. Seit ChatGPT vor eineinhalb Jahren den fortwährenden KI-Hype ausgelöst hat, ist der Druck auf Tim Cook und Kollegen größer geworden – insbesondere wohl von Investoren, die um ihre Gewinne fürchten.

Da passt es ins Bild, dass Apple sein neues iPad Pro, das am Mittwoch in den Handel kommt, als "unfassbar leistungsstarkes Gerät für KI" positionieren will. Dass allerdings ausgerechnet das iPad, das hauptsächlich bekannt dafür ist, auf dem Sofa zum Serienstreamen benutzt zu werden, nun ein KI-Gadget sein soll, überrascht ein wenig. Darüber, wie das zusammenpasst und warum ausgerechnet das iPad Pro nun das dünnste Apple-Gerät aller Zeiten ist, sprach ZEIT ONLINE mit Greg "Joz" Joswiak und John Ternus am Rande der Vorstellung der neuen iPad-Pro- und iPad-Air-Modelle in London.

Joswiak, genannt Joz, ist seit fast 40 Jahren bei Apple, er zählt zu den wichtigsten Mitarbeitern des US-Konzerns, bei den Apple Keynotes stellt er neue iPhone- oder iPad-Features vor, seit 2020 ist er der Senior Vice President Worldwide Marketing, also Apples Marketingchef. Ternus ist seit 2001 bei Apple, seit 2021 ist er Senior Vice President Hardware Engineering, der Chef von Apples Hardwareentwicklung. Unter ihm sollen sich die Hard- und Softwareteams noch stärker verzahnen. Ternus ist bisher zwar weniger bekannt als Joz, aber der 49-Jährige wird bereits als möglicher Nachfolger von Apple-CEO Tim Cook gehandelt.

Apple spricht jetzt auch von KI

Dass das neue iPad Pro auch dem Zeitgeist entsprechend als KI-Tablet vermarktet wird, darüber redet Apple überraschend offen. Schließlich sei man für KI-Anwendungen, sowohl was die Hard- als auch was die Softwareseite angeht, äußerst leistungsfähig, wie Joswiak im Gespräch mit ZEIT ONLINE in London sagte. Das Thema sei aktuell, KI und neue KI-Modelle würden für die Nutzer immer wichtiger. "Wir wollen die Welt wissen lassen, dass unsere Produkte besser darin sind als die von irgendjemand anderem."

Marketingchef Greg Joswiak ist eine der bekanntesten Führungsfiguren bei Apple. © Justin Sullivan/​Getty Images

Aber worin eigentlich? In der Keynote zum neuen iPad zeigte Apple (neben einem viel kritisierten Werbespot, für den sich das Unternehmen später entschuldigte) Updates für das eigene Videoschnittprogramm Final Cut Pro, wo sich Farben KI-gesteuert verbessern lassen, und für die Musiksoftware Logic Pro. Hier können sich Songschreiber von KI-Bassisten und KI-Keyboardspielern unterstützen lassen. In den Londoner Hands-on-Sessions, wo auch die Presse die neuen Features ausprobieren konnte, zeigte man vor allem Drittanbietersoftware, etwa von Adobe, die von Apples KI-Coprozessor im M4-Chip der neuen iPads profitieren soll.

Aber wo bleiben Apples eigene KI-Tools, wie sie Konkurrenten wie Google mit der KI-Bildbearbeitung Magic Editor oder Samsung mit Anruf-Übersetzungen in Echtzeit längst vorgestellt haben?

Während man bei Apple typischerweise so tut, als wüsste man von nichts Neuem, um dann eine Woche später das neue iPhone vorzustellen, ist man in Bezug auf KI nun beinahe überdeutlich: So sagte Tim Cook bei der Vorstellung der Quartalsergebnisse Anfang Mai, man freue sich darauf, "bald sehr spannende Neuigkeiten" mit den eigenen Kunden zu generativen KI-Produkten zu teilen. Bald, das heißt wohl: Auf der Entwicklerkonferenz WWDC, die am 10. Juni startet.

Ähnlich deutlich äußert sich auch Greg Joswiak im Gespräch: Man werde in "nicht so ferner Zukunft" mehr Informationen zur KI-Strategie des Unternehmens bekannt geben. Gerüchten zufolge arbeitet Apple an einer überarbeiteten Version des Sprachassistenten Siri, das neue iOS 18 soll Notizen, Webseiten und Textnachrichten per KI zusammenfassen und Transkriptionen von Sprachmemos und KI-generierte Inhalte in den Büroprogrammen Pages, Numbers und Keynote erstellen können.