Um die zweifellos vorhandenen Qualitäten der Religionen zu bewahren und ihnen gleichzeitig dort entgegenzutreten, wo sie gegen die Demokratie verstoßen, schlage ich eine doppelte Strategie vor: Wir sollten uns an den Schulen sowohl von außen als auch von innen den Religionen nähern. Also einerseits den klassischen Religionsunterricht ausbauen, in dem Vertreter des jeweiligen Glaubens religiöse Kinder unterrichten; und andererseits einen Ethikunterricht (der etwas von vergleichenden Religionswissenschaften haben sollte) behalten beziehungsweise einführen, um darin (von außen) über die verschiedenen Glaubensrichtungen zu sprechen. Aber alles der Reihe nach.

Sich von innen mit einer konkreten Religion zu beschäftigen, bietet eine Reihe von Chancen, die Außenstehende nicht haben, werden sie doch stets als invasive Kräfte verstanden, die vom Geheimnis des Glaubens keine Ahnung haben. Ganz anders jedoch die jeweiligen Religionslehrerinnen und -lehrer. Sie sind Teil der jeweiligen Gemeinschaft, die ihre Sprache sprechen, und können als religiöse Autorität auftreten. Unter einer unverhandelbaren Bedingung freilich: Sie müssen mit einem Fuß auch draußen stehen, und zwar auf dem Boden unserer Demokratie. Nur so können sie garantieren, dass keine religiöse Rabulistik um sich greift, die Frauen zu Wesen zweiter Klasse entwertet, Angehörige anderer Religionen zu Freiwild erklärt und die eigene religiöse Gerichtsbarkeit über jene der Republik stellt.

Auf diese Weise könnte die Schule zweierlei schaffen: religiöse Prägungen respektieren, den Kindern das Gefühl geben, angenommen zu werden, und ihnen andererseits vermitteln, dass die Religion sich nur innerhalb klarer demokratischer Regeln entfalten darf. Wer in unserer Gesellschaft leben will, muss diese Doppelbotschaft akzeptieren, da hilft kein liberales Beschwichtigungstheater. Schwierig, ich weiß, aber unausweichlich, denn sonst erwachen wir eines Tages in einer Gesellschaft religiöser Stämme, die einander die Schädel einschlagen.

Ich bin auch deshalb überzeugt, dass dieses Projekt klappen kann, weil ausnahmslos alle Religionen einen mächtigen positiven Kern in sich tragen. Den gilt es zu fördern – und das können nur Leute, die die jeweilige religiöse Sprache sprechen. Der deutsche Soziologe Hartmut Rosa hat diesen Kern mit dem Begriff der "Resonanz" markiert. Er vertritt die These, dass alle Religionen darauf verweisen, dass es etwas außerhalb des eigenen, kleinen Ichs gibt – eine Quelle verbindender Werte. Damit sei die Chance verbunden, sich verwandeln zu lassen, jemand anderer zu werden – und nicht in der Überzeugung zu ersticken, man müsse sich um jeden Preis durchsetzen.

Doch damit nicht genug: Diese Resonanz wirke sich nicht nur positiv auf unsere persönliche Entwicklung aus, sondern sei, so Rosa, auch politisch von existenzieller Bedeutung: "Demokratie braucht Religion" hat er seine These daher auch überschrieben.

Und noch eine Chance haben Religionslehrerinnen und -lehrer: Sie können systemimmanent argumentieren. Also mit theologischen Argumenten irrige (politische) Ideen widerlegen. So lässt sich zum Beispiel der Vorwurf der Blasphemie als das zeigen, was er im Kern ist, nämlich blasphemisch: Wenn Gott allmächtig ist, dann bedeutet es, aus ihm einen rechthaberischen alten Sack zu machen, wenn er durch die nebbiche Karikatur eines Erdenmenschen beleidigbar ist. Er steht bekanntlich über allem, oder etwa nicht?

Dieser clubinterne Religionsunterricht sollte durch einen Ethikunterricht ergänzt werden, wie ihn eines meiner Kinder in bester Erinnerung behalten hat. In dessen Rahmen habe es wiederholt die Aufgabe gegeben, sich in die Glaubenssätze einer bestimmten Religion zu vertiefen (nicht der eigenen) und diese in einem Streitgespräch zum Thema "Abtreibung" zu vertreten. Eleganter, so finde ich, kann man Wissenserwerb, Resonanz und die Kunst der Debatte nicht miteinander verweben.

All das gelingt freilich nur unter einer einzigen Prämisse: dass wir eine ausreichend große Zahl engagierter, loyaler und gebildeter Lehrerinnen und Lehrer ausbilden, die das Projekt vorantreiben. Es gibt sie, wie ich am Beispiel meiner Mutter, einer Lehrerin für Englisch und Turnen, erleben durfte.