Wo er seine Freiheitsliebe verloren hat, weiß der Waadtländer Bildungsdirektor Frédéric Borloz vielleicht selbst nicht. Ende August entschied der FDP-Staatsrat, alle politischen Debatten an den Schulen im Kanton zu verbieten – jeweils zehn Wochen vor den Wahlen. Borloz begründete dies damit, dass solche Debatten zwar wichtig seien, um die Jugendlichen zu mündigen Staatsbürgern zu erziehen. Aber die Schule müsse politisch neutral sein. So stehe es im Gesetz.

Borloz reagierte damit, nach eigener Aussage, auf einen Brief zweier linker Waadtländer Ständeratskandidaten, die den Bildungsdirektor baten, "die Organisation kontradiktorischer Debatten" zu unterstützen. Die Linke versuchte, Borloz’ Edikt im Großen Rat zu kippen, traf jedoch auf bürgerlichen Widerstand, weshalb sie an diesem Mittwoch eine Klage beim Waadtländer Verfassungsgericht einreichen wollten – und darauf hoffen, dass das Debattenverbot zumindest vorläufig aufgehoben wird.

Im Kantonsparlament sagte ein freisinniger Parteikollege von Borloz, die Schule sei ein "Ort zum Lernen" und keiner, um "Politik zu machen". Eine SVP-Politikerin verstieg sich sogar zur Aussage, in Wahlkampfzeiten seien solche Debatten eine "Manipulation", um "bestimmte Persönlichkeiten in den Vordergrund zu stellen".

Nur: Wie sich die heranwachsenden Waadtländer Staatsbürger fortan ihre eigene Meinung bilden sollten, darauf gab die Debatte über das Debattieren vorerst keine Antwort. In einem Interview mit der Zeitung Le Temps erklärte Borloz, es sei ihm nie um ein generelles Verbot gegangen. Sondern lediglich darum, den Stimmenfang unter den Schülerinnen und Schülern zu verhindern. Das Ganze sei bloß eine "auf zehn Wochen begrenzte Vorsichtsmaßnahme".

Wieso ausgerechnet ein Freisinniger dem politischen Argument an den Schulen das Wort verbieten will, konnte Borloz bisher nicht schlüssig erklären. Ebenso wenig, was kontradiktorische Wahlkampfdebatten mit "Propaganda" zu tun haben sollen. Zumal in anderen Kantonen, auch in bürgerlich dominierten, politische Podien bewusst gefördert werden.

Aber immerhin haben die Westschweizer Schüler nun einen Eindruck davon erhalten, wie Politik in Wahlkampfzeiten funktioniert: Um dem politischen Gegner zu schaden, werden gern auch mal die eigenen politischen Prinzipien verraten. Und hatten die jungen Waadtländerinnen und Waadtländer bis anhin noch keine Ahnung, wen sie am 22. Oktober wählen sollen – oder gerade nicht! –, wissen sie das vielleicht jetzt.