Kurz vor halb zwölf am Samstag war es, als die ersten Autos vom Adidas-Homeground rollten, jenem Ort in Herzogenaurach, der seit Anfang Juni als Quartier für die deutschen Nationalspieler diente. Nun aber machten sie sich auf den Heimweg. Einige Spieler wurden gefahren, einige fuhren selbst.
Sie alle waren noch angefasst ob des Dramas, das sich am Abend im 200 Kilometer entfernten Stuttgart abgespielt hatte. Kurz vor dem Ende der Verlängerung hatte Spanien das 2:1 gegen Deutschland erzielt. Aus war der Traum vom EM-Titel. Noch auf dem Platz flossen bei dem einen oder anderen Spieler Tränen, bei Thomas Müller etwa. Dem Münchner und all seinen Mitspielern war es in den vergangenen Wochen gelungen, eine ganze Nation zu elektrisieren, sie zu begeistern. Die Euphorie, die es gab, hatte es lange Zeit so nicht gegeben.
Kroos nutzte die Gelegenheit
Einen Anteil daran hatte auch Toni Kroos, dessen Karriere am Freitagabend zu Ende gegangen war. Der Mittelfeld-Star hatte es mit seinem Comeback – er war im März nach drei Jahren zurückgekehrt – in der Nationalmannschaft geschafft, dem Team wieder den Halt zu geben, den es lange Zeit nicht hatte. Er lenkte, er dirigierte – er war da, wenn Mitspieler auf dem Platz nicht mehr weiterwussten. Gern hätte er seine ohnehin schon großartige Karriere noch mit dem EM-Sieg gekrönt. Doch es sollte nicht sein.
Adios, Toni – Das bittere Karriereende für Kroos
Der Traum vom EM-Sieg blieb Toni Kroos verwehrt. Es ist der einzige große Titel, den er in seiner Karriere nicht gewinnen konnte. Kroos sammelte Titel wie andere Briefmarken – insgesamt 34. Thomas Helmer und Jens Lehmann erinnern sich.
Quelle: WELT TV
Als Spieler, Trainer und Betreuer am Freitagabend weit nach Abpfiff in der Kabine waren, nutzte Kroos die Gelegenheit und sprach ein paar Worte in die Runde. Er bedankte sich für die zurückliegenden Wochen, für die wunderbare Zeit in der Gruppe und wünschte der Nationalmannschaft, die nun ohne ihren großen Strategen auskommen muss, alles Gute für die Zukunft. Er werde sie nun aus der Ferne beobachten und hoffe, dass sie vielleicht schon bei der WM in zwei Jahren erfolgreicher sein wird. Kroos lobte auch das Wir-Gefühl, so heißt es, die tolle Gemeinschaft.
Auch Joshua Kimmich richtete sich an seine Mitspieler. Er, der 2022 nach dem WM-Aus in Katar so niedergeschlagen war und davon gesprochen hatte, Angst davor zu haben, in ein großes Loch zu fallen, hatte am Freitag nach dem Abpfiff lange an einem Torpfosten gelehnt. Er wirkte in sich gekehrt und nachdenklich, als er später durch die Mixedzone ging und auf WELT-Nachfrage von seiner Rede in der Kabine erzählte.
Er sagte vor der Mannschaft, dass dieses Turnier-Aus ein anderes sei, als die Turniere davor. Er bedankte sich beim Staff, berichtete der Münchner, all jenen Helfern im Hintergrund, die ihren Teil dazu beitragen würden, dass die Mannschaft gut performen könne. Und dann dankte Kimmich zu später Stunde auch explizit Toni Kroos.
„Ich wollte mich für den Einsatz bedanken bei allen, die dabei waren. Und ich wollte mich bei Toni bedanken. Er hat unfassbare Titel und Rekorde gefeiert. Ich hätte gern noch einen Titel mit ihm zusammen gewonnen. Er ist für mich unbestritten der größte deutsche Spieler, den wir hatten. Es ist auch beachtlich, was er für ein Typ, für ein Mensch er ist. Er ist ein Vorbild für uns alle in der Kabine.“
Schon Anfang September geht es für die Nationalmannschaft weiter
Neben Kroos und Kimmich hatte auch Bundestrainer Nagelsmann zur Mannschaft gesprochen. Er verwies unter anderem darauf, dass es ihnen als Gemeinschaft gelungen sei, ein Land, „wo immer alle zu sehr und ständig in Tristesse und Schwarzmalerei verfallen“, aufzuwecken. Nagelsmann dankte den Spielern für ihren Einsatz, für ihr Verhalten. Später auf der Pressekonferenz sagte er: „Wir hatten eine gute Zeit zusammen, es gab nicht eine Situation, wo ich eingreifen und jemand an seine Rolle erinnern musste. Das ist schon sehr außergewöhnlich. Das sollen die Jungs einfach mitnehmen.“
Spieler, Trainer und Betreuer werden nun in den Urlaub gehen, abschalten, sich erholen. Schon Anfang September gibt es die ersten Spiele in der Nations League. Neben Toni Kroos wird dann ein weiteres Mitglied aus dem Tross des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) fehlen: Hans-Dieter Hermann. Als der Teampsychologe am Freitagabend aus der Kabine in Richtung Mannschaftsbus ging, sagte er: „So, das war es. Das war mein letztes Spiel.“
Auf WELT-Nachfrage bestätigte er, dass er nach 20 Jahren nicht mehr als Teampsychologe fungieren werde. Jürgen Klinsmann, der ehemalige Bundestrainer, hatte ihn 2004 zum Nationalteam geholt. Herrmann hatte immer ein offenes Ohr für die Spieler, eine offene Tür zu seinem Zimmer. Auch für die Trainer, ob Klinsmann, Joachim Löw, Hansi Flick und zuletzt Julian Nagelsmann, war der 64-Jährige stets ein wichtiger Ansprechpartner.