Ein großes Spiel. Ein großer Kampf. Eine große Tragik, ein großes Drama. So endet für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft die Europameisterschaft in Deutschland. Den ganz großen Wurf verpasste sie, im Viertelfinale verlor sie 1:2 nach Verlängerung gegen Spanien, es fehlten zum Schluss etwas Cleverness und Glück. Damit hat sie eine historische Chance vergeben, ein Turnier hierzulande wird es wohl lange nicht geben. Und doch war es eine gute EM für den deutschen Fußball.
Keine sehr gute, kein Sommermärchen 2.0. Dafür hätte es das Halbfinale oder mehr sein müssen, Julian Nagelsmann hatte den großen Traum vom Titel ausgesprochen. Und als Ziel ausgegeben. Daran gemessen, hat seine Mannschaft ihr Ziel nicht erreicht. Allerdings hat sie einiges erreicht, was viel wert ist. Und war gegen Spanien nahe an einem Sieg. Die deutsche Mannschaft hätte einen Handelfmeter bekommen können – sich aber auch über frühe Karten gegen Toni Kroos nicht beschweren können.
Sie bot in diesem Turnier vieles, was die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) in den Jahren zuvor nicht bot: mitunter begeisternden Fußball, einen ausgeprägten Teamgeist und Charaktere, mit denen sich viele Zuschauer identifizieren können. So gegen einen der Turnier-Favoriten auszuscheiden, ist keine Schande.
Rein auf die Fakten bezogen, war es für Deutschland das erfolgreichste Turnier seit 2016, seit acht Jahren hatte die Nationalelf kein Viertelfinale mehr erreicht. Fakt ist aber auch: Deutschland hat im vierten Turnier in Folge das Halbfinale verpasst, zuvor hatte es die Elf sechsmal in Folge ins Semifinale geschafft. Vergangenheit. Der Anspruch musste nach den vielen Enttäuschungen der vergangenen Jahre heruntergeschraubt werden.
Nagelsmann ist ein Gewinner dieser EM
Hat Deutschland den Heimvorteil zu wenig genutzt? Nein. Die Stimmung bei den deutschen Spielen hat die Mannschaft getragen. Die Spieler hatten sich dies mit leidenschaftlichen Leistungen verdient, der berühmte „Funke“ sprang über.
Die Emotionen, die Gefühle sind noch mehr wert als die Fakten. Nach dem Abpfiff im Stuttgarter Stadion – und auch in den Spielen zuvor – zeigte sich der Stolz der Menschen auf diese Mannschaft, ihre Freude an diesem Team. Ähnlich war es auf den Fanmeilen, in Gärten, auf Grill-Partys und Wohnzimmern.
Nagelsmann ist trotz des Ausscheidens ein Gewinner dieser EM. Der 36-Jährige hatte den richtigen Kader zusammengestellt. Und hat sich als Bundestrainer mit einem Plan präsentiert. Seine klare Rollenverteilung für die Spieler und alle um das Team war das, was der Mannschaft unter seinem Vorgänger Hansi Flick gefehlt hatte.
Diese Nationalmannschaft ist nicht perfekt – aber sie hat wieder Spaß gemacht. Auch dank des Bundestrainers – Nagelsmanns Emotionen nach dem Abpfiff, als er den Tränen nahe war, zeigen, wie sehr er an dieser Mannschaft dran ist, wie sehr er eine Einheit mit ihr bildet, wie viel Herzblut er in diesen Job legt, der für ihn viel mehr als ein Job ist. Er coacht leidenschaftlich. Das Spiel gegen Spanien zeigte, dass er etwas Besonderes geschafft hat: Die Mannschaft hat unter ihm den Glauben an sich selbst wiedergefunden.
Kein Elfmeter? Hier spielt Spaniens Cucurella den Ball mit der Hand
Der spanische Verteidiger Marc Cucurella spielt in der Verlängerung den Ball im Strafraum klar mit der Hand. Der Schiedsrichter gibt jedoch keinen Elfmeter, auch der Videoschiedsrichter greift nicht ein.
Quelle: MagentaTV
Sein personeller Plan im Viertelfinale ging nicht auf: Er setzte auf Emre Can und Leroy Sané in der Startelf, beide blieben hinter den Erwartungen zurück. Das war bitter, doch auch die erste personelle Fehlentscheidung Nagelsmanns in diesem Turnier.
Nagelsmann gibt den WM-Sieg als Ziel aus
Wenngleich die EM aus deutscher Sicht tragisch endete – diese Mannschaft hat eine Perspektive. Rund um die Jungstars Jamal Musiala und Florian Wirtz, die ihre Klasse unter Beweis stellten, kann Nagelsmann mit Blick auf die WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko ein Team aufbauen, das weit kommen kann. In Kapitän Ilkay Gündogan, Antonio Rüdiger und Joshua Kimmich hat er erfahrene Profis, welche die jüngere Generation führen können. Dass Kimmich und Rüdiger nach ihren starken Leistungen am 1:2 beteiligt waren, ist Teil dieses tragischen Abends in Stuttgart.
Zudem wird Nagelsmann, der seinen Vertrag vor der EM bis nach der WM 2026 verlängert hatte, weiter auf noch jüngere Spieler setzen und sie heranführen – das ist der richtige Weg. Er sprach nach dem Ausscheiden bereits von dem Ziel, in zwei Jahren Weltmeister zu werden.
Nach drei schwachen Turnieren war diese EM ein wichtiger Schritt nach vorn für Deutschland. Für den großen Wurf fehlt es noch an Reife. Doch Nagelsmann und seine Spieler haben das getan, was sie sich vorgenommen hatten: Sie haben die Menschen unterhalten. Und alles gegeben.