Die Sensation war greifbar. Borussia Dortmund, als krasser Außenseiter in das Champions League-Finale gegangen, hatte Real Madrid ins Wanken gebracht. Sie brachten sich jedoch durch dumme Fehler um den Lohn. Nach der verspielten Deutschen Meisterschaft im Vorjahr verpassten die Dortmunder so einen weiteren großen Titel. Das zieht runter. Ein Psychoproblem sollten sie sich trotzdem nicht einreden.
Wer denkt, dass die BVB-Spieler die Niederlage von Wembley ohne Weiteres wegstecken werden, der sollte sich noch mal genau den Nachlauf dieses größten Spiels im internationalen Vereinsfußball anschauen. Der sollte vor allem in die Gesichter von Nico Schlotterbeck, Ian Maatsen oder Julian Brandt schauen. Da war nichts als Leere zu sehen.
Selbst wenn vor dem Anpfiff kaum jemand mit den Dortmundern gerechnet hatte – sie waren so nah dran, dass es anschließend umso mehr schmerzte. Er hoffe nicht, dass er „in so ein kleines Loch falle“, sagte Schlotterbeck anschließend.
Die Gefahr besteht. Der Nationalspieler hatte im vergangenen Sommer miterlebt, wie der BVB eine bereits sicher geglaubte Deutsche Meisterschaft verspielt hatte. Das hat Narben hinterlassen. Nun bekam er in London zu spüren, wie es sich anfühlt, den Henkelpott nicht zu gewinnen – obwohl man über weite Strecken die klar bessere Mannschaft war. Das schmerzt, lässt einen grübeln und vielleicht sogar zweifeln.
Erst mental stark, dann schreckhaft und nervös
Das jedoch wäre fatal – gerade wegen der speziellen Dortmunder Vorgeschichte. Denn das Trauma aus dem Mai 2023 war gerade einigermaßen verarbeitet worden. Damals hatte es der BVB nicht geschafft, am letzten Spieltag Mainz 05 zu Hause zu schlagen. Es war alles angerichtet für die Meisterparty. Doch dann ging die Schale an die Bayern – die bis heute nicht wissen, wie das überhaupt passieren konnte.
Die Tatsache, dass der BVB die darauffolgende Bundesliga-Saison nur auf dem enttäuschenden fünften Platz abschließen konnte, ist auch eine Nachwirkung des unerwarteten Zusammenbruchs ein Jahr zuvor. Erst in der Rückrunde fand die Mannschaft von Edin Terzic wieder einigermaßen in die Spur.
So richtig gut lief es nur international. Möglicherweise auch, weil es ein anderer Wettbewerb war. Da wuchsen die Spieler über sich hinaus – gegen Gegner wie den AC Mailand, Newcastle United, Atlético Madrid, Paris St. Germain und tatsächlich auch gegen den Rekordgewinner der Königsklasse. Bis, ja bis die Dortmunder am Samstag plötzlich spürten: Wir haben ja doch etwas zu verlieren. Da wurde der Favoritenschreck selbst schreckhaft und nervös.
Das Finale war in mehrfacher Hinsicht also auch ein Lehrstück über die Bedeutung von Psychologie im Spitzensport. Es war eben nicht nur so, dass die Spanier aufgrund ihrer zweifelsfrei größeren Qualität gewonnen haben. Das Spiel zeigte vielmehr, dass sich Unterschiede sehr wohl auch ausgleichen lassen – mit mentaler Stärke, Überzeugung und Unbekümmertheit.
Daran sollten sich die Dortmunder erinnern, wenn der erste Frust verflogen ist. Das wären sie sich selbst schuldig. Vor allen Dingen sollten sie sich nicht einreden, sie hätten ein Psychoproblem oder gar ein Trauma.