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Kultur Ernst-Wilhelm Händler

„Ein Drittel Geschäft, ein Drittel Literatur, ein Drittel Essay“

Literarischer Korrespondent
Kunst und Fashion: Ernst-Wilhelm Händler vor einem Werk Cy Twomblys im Münchner Museum Brandhorst Kunst und Fashion: Ernst-Wilhelm Händler vor einem Werk Cy Twomblys im Münchner Museum Brandhorst
Kunst und Mode: Autor Händler im Museum Brandhorst
Quelle: Robert Brembeck
Ernst-Wilhelm Händlers neuer Roman spielt in der exklusiven Welt des internationalen Kunstmarkts. Beim Besuch in München führt uns der Schriftsteller in ein Museum und einen Fashion Store und erklärt, warum das für ihn keine Gegensätze sind.
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Es ist eine Entscheidungsschlacht, und wir stehen mittendrin im Gewoge, Getümmel und Gedonner aus Linien und Farben, in einer der gewaltigsten Seeschlachten der Weltgeschichte. Die zwölf großformatigen Gemälde von Cy Twomblys Lepanto-Zyklus, eigens für diesen Raum im Münchner Museum Brandhorst entstanden, sind im Halbkreis angeordnet und machen den Betrachter zum Teilnehmer. Warum hat Ernst-Wilhelm Händler gerade diesen Ort gewählt? In seinem neuen Roman geht es um Kunst, und der Twombly-Raum sei, so sagt er gewohnt apodiktisch, „die wichtigste Gegenwartskunst, die es in München gibt“.

„Der absolute Feind“ heißt der neue Roman (S. Fischer, 28 Euro). Für die Kriegsparteien, die sich 1571 im Ionischen Meer mit jeweils mehr als 200 Schiffen gegenüber standen, war der Gegner nicht einfach ein Konkurrent um Macht und Einflusssphären, sondern der Widersacher schlechthin – Heilige Liga gegen Osmanisches Reich, Christentum gegen Islam. Twombly aber zeigt keine Ideologien, nur Gewalt, kollidierende Schiffskörper, Untergänge.

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In Händlers Roman sind es die Sphären der Kunst und Literatur, die einen epischen Kampf austragen: Ein Autor wird angefragt, ein Buch über den (fiktiven) Star-Galeristen Georg Voigtländer zu schreiben, taucht ein in die ihm fremde Welt des internationalen Kunstmarkts und seiner schwerreichen Akteure und droht, sich darin zu verlieren.

Als wir uns per Mail verabredeten, schrieb Händler typisch lakonisch-businesslike: „Locations: Museum Brandhorst, Twombly, Maximilianstr., Balenciaga Store.“ Als er ankommt, bin ich überrascht, obwohl oder gerade weil wir uns seit gut 20 Jahren kennen. Statt Anzug oder Sakko trägt er Jeans und weiße Adidas-Sneaker, eine Balenciaga-Schirmmütze mit auffälligem Logo und eine blaue Trainingsjacke aus der Kooperation der Edelmarke mit Adidas. Mir rutscht spontan die Frage heraus, ob er gerade vom Joggen komme, ein Fauxpas, doch anmerken lässt er sich nichts. Seine Erklärung hat etwas Zwingendes: „Ich möchte nicht verwechselt werden mit den ganzen alten Männern in der Literatur, die schauen immer aus wie die Killer im Western, lange Mäntel und Schlapphüte.“

Ökonomie und Geist

Balenciaga also wäre klar, da gehen wir später hin. Aber noch mal, warum Twombly? „Weil ich Ihnen auch nach vielem Nachdenken nicht sagen kann, warum ich ihn mag. Das ist ziemlich einmalig. Ich kann Ihnen zu jeder Sorte von Kunst etwas erzählen, von vorn bis hinten und von oben nach unten, und erklären, warum das gut ist oder mir besonders gefällt. Beim Twombly, es tut mir herzlich leid, nicht.“ Um in der Schlachtmetapher zu bleiben: Es ist eine Kapitulation. Vor Twombly muss selbst Händlers Scharfsinn die Waffen strecken. Das ist tatsächlich ein seltenes Ereignis.

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Denn Ernst-Wilhelm Händler, in diesem Jahr 70 geworden, ist eine moderne Inkarnation des klassischen gelehrten Dichters; doch seine Bildung umfasst auch die Ökonomie, von der Schriftsteller in der Regel selbst dann keine Ahnung haben, wenn sie Romane darüber schreiben. Händler hat BWL, VWL und Philosophie studiert, das Thema seiner Doktorarbeit von 1980 lautete „Logische Struktur und Referenz von mathematischen ökonomischen Theorien“.

Danach stieg Händler als Geschäftsführer ins familieneigene Industrieunternehmen ein – „spanlose Metallverarbeitung“, präzisiert er –; wurde 1991 alleiniger Gesellschafter und musste die Firma 2004 verkaufen, weil er sich bei einer Investition übernommen hatte. Seither ist er – „in sehr kleinem Maßstab“ – in der Immobilienentwicklung tätig. Das ist der eine Händler.

Der andere Händler schreibt seit Mitte der 90er-Jahre höchst komplexe Romane in bewusst sachlich-kalter Prosa, in denen er die Widersprüche von Ökonomie und Kunst, Geld und Geist auf die Spitze treibt. Der Galerist Georg Voigtländer aus dem neuen Roman ist für Händler-Leser ein alter Bekannter: In „Fall“ (1997) war Voigtländer ein Unternehmer, der in der Realität der firmeninternen Intrigen scheitert, während er sich zugleich in eine virtuelle Parallelwelt fantasiert, die Schauplätze und Figuren mit Thomas Bernhards Roman „Auslöschung“ teilt.

Dieser Voigtländer also, der selbst nach seiner inneren Spaltung in Geschäftswelt und Literatur Jahre in der Psychiatrie verbrachte, bevor er eine zweite, kometenhafte Karriere im Kunstbetrieb begann, will nun also wieder per Auftragsarbeit in eine literarische Figur verwandelt werden. Der Schriftsteller und Ich-Erzähler im neuen Roman trägt Züge Händlers, doch auch Voigtländer ist sein Alter Ego. So ringen hier zwei Avatare des Autors miteinander, gewissermaßen das Kunst-Ich und das Literatur-Ich.

Musils und Brochs Erbe

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Dass Ernst-Wilhelm Händler mit derart vertrackten, experimentellen Erzählkonstrukten nicht zu einem Autor für große Lesermassen wurde, versteht sich. Seine Bezugsgrößen liegen in der klassischen Moderne, bei Robert Musil, Hermann Broch oder eben Thomas Bernhard. „Versuch über den Roman als Erkenntnisinstrument“ hieß eine poetologische Abhandlung Händlers, für den Literatur Philosophie mit anderen Mitteln ist, eine erzählerische Wissenschaft, die auf das tiefere Verständnis der Gegenwart zielt.

Deswegen fasziniert Händler die Bildende Kunst so, bei der die alte Avantgarde-Forderung Rimbauds – „Il faut être absolument moderne“, man muss absolut modern sein – bis heute das entscheidende Bewertungskriterium geblieben ist, anders als eben in der Literatur, wo die Bewirtschaftung noch der ausgetretensten Pfade von Agenten, Verlagen, Buchhändlern und Kritikern bejubelt wird. Dass ein Debütant „wie Jonathan Franzen“ schreibe, ist als höchstes Lob gemeint; wie absurd wäre es in der Kunst, wenn jemand gefeiert würde, weil er male „wie Neo Rauch“? „Für mich hat die Literatur alle Möglichkeiten, die nicht wahrgenommen werden“, sagt Händler: „In der Kunst gibt es diesen fast schon neurotischen Zwang zum Neuen. In der Literatur ist es das glatte Gegenteil.“

Vor Pauschalurteilen hat Händler noch nie zurückgeschreckt: „In der Literatur wird nicht mehr nachgedacht.“ Ausnahmen bestätigen die Regel: „Brigitte Kronauer ist tot, ganz schlimm, das war meine Lieblingsautorin. Handke hält sich nach wie vor, hilft nix, auch wenn er komisch ist. Ansonsten fallen mir noch Tom McCarthy und Coetzee ein. Auch Hilary Mantel ist gestorben, die war ganz toll.“ In der Kunst aber sei es nicht per se besser: „Das meiste ist natürlich Schrott, das meiste hält nicht stand. Aber wenn es um Highlights geht, dann ist die Kunst breiter aufgestellt.“ Im Museums-Café erklärt Händler dem Laien dann das Kunstgeschäft, „ich mache jetzt einfach ein bisschen lecturing“.

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„Der absolute Feind“ lässt sich als Kunstmarktsatire lesen, auch wenn Händler betont, das Geschwafel und Geprotze von der Art Basel Hongkong, der Venedig Biennale oder der New Yorker Armory Show sei realistisch und keineswegs übertrieben. „Sie sehen da die komischsten Sachen irgendwo“, das ist so ein typischer bajuwarisch-oberösterreichisch gefärbter Händler-Satz. Er selbst sammle schon seit Urzeiten, er habe immer dann Kunst gekauft, „wenn die Firma gut ging“.

Allein durch Selbstdisziplin ist es nicht zu erklären, wie Händler all seine Passionen und Pflichten unter eine Basecap bekommt. Einen festen Tagesablauf gebe es bei ihm heute nicht mehr. „Früher als Vertriebsgeschäftsführer war ich immer der Sklave meiner Kunden und meines Terminkalenders. Früher habe ich immer zwei Drittel Geschäft und ein Drittel Literatur gemacht. Jetzt mache ich ein Drittel Geschäft, ein Drittel Literatur und ein Drittel Essay, weil mir das so viel Spaß macht.“ Und wo findet in diesem Tortendiagramm des Lebens die Kunst ihren Platz? „Das ist Entertainment.“

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Darunter fällt dann auch die Mode. Per Taxi geht es zum Balenciaga Store, wo Händler wie ein alter Freund begrüßt wird und „the usual“ – Espresso und Wasser – bestellt; er sei, sagt er „nicht ganz wenig“ hier. Sein Interesse für Mode sei früher nicht so extrem gewesen: „Als Geschäftsmann mit Bank und mit Kunden, sorry, da kann ich nicht so rumlaufen.“ Schließlich lässt er sich doch entlocken, dass seine erste Frau, eine Italienerin, dabei einst eine Rolle gespielt haben dürfte. „Wenn Sie in Italien unterwegs sind, da geht ohne Mode nix.“

Händler hat um eine Einführung in die offizielle Philosophie des Unternehmens Balenciaga gebeten; er selbst würde später noch etwas zur „Kunst-Einordnung“ sagen. „Mit sowas kommen Sie sonst nicht in Berührung“, erklärt er das Kritiker-Bildungsprogramm. Das lecturing im Luxus-Mode-Laden kreist vor allem um das Wort „sustainable“. Jemanden wie Händler als Kunden zu gewinnen, sei ein Glücksfall, erklärt Eric, der supersmarte Verkäufer, der aus San Francisco stammt und eher wie ein Kurator einer Ausstellung wirkt: Sonst liefen im Store doch nur „children“ herum, Händler berichte ihm von seinen Reisen und gebe ihm Ausstellungs-Tipps. „He’s very stylish. We love it.“

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Vor 800-Euro-Turnschuhen hält Händler dann, ebenfalls auf Englisch, ein spontanes Koreferat über Balenciagas bahnbrechende Entdeckung des „Oversized-Thing“. Überhaupt sei Mode hier „sehr nah an der Kunst“. Händler wirkt auch hier ganz in seinem Element, spricht über Designer-Künstler wie Elsa Schiaparelli, Roberto Capucci und Alexander McQueen. Demna Gvasalia, Mastermind von Balenciaga, füge all dem noch etwas Entscheidendes hinzu, Umsatz nämlich.

Da kommen dann die Pole des Ernst-Wilhelm Händler wieder zusammen: Geist und Geld, zeitlose Schönheit und radikale Gegenwart, reine Vernunft und Reingewinn. In der Kunst wie in der Literatur werden die Gegensätze aufs Äußerste zugespitzt, Kämpfe ausgetragen, Schlachten geschlagen. Alles bleibt in Bewegung. „Entspannt“, sagt Händler einmal zum Fotografen, „ist nicht so mein Metier.“

Biografische Notiz: Zwei auf den ersten Blick sehr verschiedene Dinge gleichzeitig tun zu wollen, liegt in seiner Natur. Nach dem ökonomischem und philosophischen Studium arbeitete der 1953 in München geborene Ernst-Wilhelm Händler in der Metallindustrie als Vertriebsgeschäftsführer des Familienunternehmens und verfolgte parallel eine wissenschaftliche Karriere. Seine Erfahrungen an der Universität verarbeitete er in seinem ersten Roman „Kongress“ von 1996. Seine aus erster Hand gewonnene Kenntnis der Wirtschaftswelt ging in Romane wie „Fall“, „Wenn wir sterben“ oder „Das Geld spricht“ ein. Seit 2005 ist der Vater von zwei Söhnen und einer Tochter in der Immobilienentwicklung tätig. Ende August erschien sein neuer Roman „Der absolute Feind“ (S. Fischer, 28 Euro), der im internationalen Kunstbetrieb spielt.

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