Richter legen Urteilsbegründung vor

Wie verfassungsfeindlich ist die AfD?

Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke beim Bundesparteitag in Essen: Höcke wird im schriftlichen Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster gleich mehrfach zitiert. Die Richter sehen in Höckes Aussagen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Partei.

Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke beim Bundesparteitag in Essen: Höcke wird im schriftlichen Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster gleich mehrfach zitiert. Die Richter sehen in Höckes Aussagen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Partei.

Berlin. Wie extremistisch ist die AfD – und will sie sogar Deutsche mit Migrationshintergrund diskriminieren? Weiteren Aufschluss darüber gibt seit dieser Woche ein mehr als 100-seitiges Schriftstück des Oberverwaltungsgerichts (OVG) für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster. Das Gericht hatte bereits Mitte Mai in einem viel beachteten Berufungsverfahren geurteilt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD weiterhin als Rechtsextremismus-Verdachtsfall einstufen und beobachten darf. Am Dienstag hat das Gericht nun seine ausführliche schriftliche Urteilsbegründung veröffentlicht.

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Die AfD hatte sowohl gegen die Einstufung und Beobachtung der Partei als auch des offiziell aufgelösten rechtsextremen Flügels und ihrer Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA) geklagt – in allen drei Fällen ohne Erfolg. Auch in Sachen JA und Flügel hat das OVG in Münster eigene Urteilsbegründungen von jeweils knapp unter 100 Seiten veröffentlicht.

Aufschlussreich ist aber vor allem das Schriftstück zur Partei selbst – weil diese Urteilsbegründung auch in die bereits vor Monaten begonnene Ausarbeitung eines Folgegutachtens des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) einfließen wird. Der Nachrichtendienst stuft die Partei seit 2021 als Verdachtsfall ein. Seitdem hat sich die AfD weiter radikalisiert, weshalb als nächster Schritt eine Hochstufung zur gesichert extremistischen Bestrebung durch das BfV folgen könnte.

Das steht in der Urteilsbegründung

Die Münsteraner Richterinnen und Richter legen in ihrer Urteilsbegründung ausführlich dar, weshalb die Beobachtung der AfD und auch die Unterrichtung der Öffentlichkeit durch das BfV rechtmäßig sind. Dabei stellen sie an mehreren Stellen klar: Für die Einstufung als Verdachtsfall reicht es aus, dass „tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür vorliegen, dass die Partei verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt. Solche „tatsächlichen Anhaltspunkte“ sieht das Gericht an zahlreichen Stellen innerhalb der AfD – insbesondere Anhaltspunkte dafür, dass die Partei Bestrebungen „gegen die für den freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat unverzichtbaren Grundprinzipien der Menschenwürdegarantie und des Demokratieprinzips“ verfolgt.

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Die Richter führen aus:

„Es liegen konkrete und hinreichend verdichtete Anhaltspunkte dafür vor, dass nach dem politischen Konzept der Klägerin jedenfalls Flüchtlingen und anderen Zuwanderern, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund und deutschen und ausländischen Staatsangehörigen islamischen Glaubens die Anerkennung als gleichberechtigte Mitglieder der rechtlich verfassten Gemeinschaft versagt werden soll.“

Diese Einschätzung ist brisant, weil sie Vorwürfe gegen die AfD stützt, die nach dem Bekanntwerden eines sogenannten „Geheimtreffens“ in Potsdam im November 2023 gegen die Partei erhoben wurden. Kritiker warfen der AfD vor, sie wolle sogar deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund abschieben – oder zumindest diskriminieren. Anhaltspunkte dafür sieht auch das OVG in Münster.

Björn Höcke wegen verbotener Nazi-Parole zu Geldstrafe verurteilt

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Richter zitieren Höcke, Gauland und Co.

Die Richterinnen und Richter zitieren in ihrer Urteilsbegründung offizielle Veröffentlichungen der AfD und Aussagen von AfD-Politikern wie Björn Höcke oder Alexander Gauland, Maximilian Krah oder Christina Baum. In diesen Äußerungen werde „nicht zwischen Ausländern und deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund unterschieden, sondern jede Veränderung der ‚ethnisch-kulturellen Identität‘ als existenzielle Bedrohung beschrieben“. Björn Höcke beschränke seine „Remigrations“-Forderungen beispielsweise nicht auf Ausländer ohne Aufenthaltsrecht, sondern lege zumindest nahe, „dass auf lange Sicht auch deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund Deutschland verlassen sollen, wenn sie kulturell nicht integriert sind“.

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Dass Deutsche mit Migrationshintergrund nach Ansicht der AfD keine vollwertigen Deutschen seien, werde auch deutlich, wenn Alexander Gauland sage, „eine deutsche oder eine englische Nationalmannschaft sind eben schon lange nicht mehr deutsch oder englisch im klassischen Sinne“.

Auf mehreren Seiten haben die Richterinnen und Richter zahlreiche solcher Beispiele von prominenten und tonangebenden AfD-Politikerinnen und AfD-Politikern zusammengetragen. Die von der AfD vorgebrachten Gegenargumente und auch die innerparteilichen Maßnahmen gegen allzu offensichtlich rechtsextremes Auftreten sehen sie als nicht ausreichend an. Insbesondere seien seit dem Beginn der Verdachtsfallbeobachtung durch den Verfassungsschutz weitere Erkenntnisse hinzugekommen, die diese Beobachtung rechtfertigen.

Die Richter schreiben:

„In Bezug auf die Bedeutung der Einzelaussagen für die Gesamtpartei hat sich der Verdacht sogar insoweit verfestigt, als Maximilian Krah und Christina Baum, deren Äußerungen in besonderer Weise den Verdacht begründen, dass die politischen Ziele der Klägerin auch eine Diskriminierung deutscher Staatsangehöriger mit Migrationshintergrund beinhalten, zwischenzeitlich, nämlich im Juni 2022, in den Bundesvorstand gewählt wurden.“

Das mache deutlich, dass die beanstandeten Aussagen „breite Unterstützung in der Partei genießen“.

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Auch für Bestrebungen der AfD, „die mit einer Missachtung der Menschenwürde von Ausländern und Muslimen verbunden sind“, lägen konkrete und hinreichend verdichtete Anhaltspunkte vor. Bis in die höchsten Parteiebenen hinein würden Zuwanderer und Muslime herabgewürdigt.

Auch Anhaltspunkte für Demokratiefeindlichkeit

Die Richterinnen und Richter sehen bei der AfD ebenfalls Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen, „wenn auch nicht in der Häufigkeit und Dichte wie vom Bundesamt angenommen“. Beispielhaft führen sie etwa Aussagen der AfD-Bundestagsabgeordneten Christina Baum an, die Mitglieder der Bundesregierung als „psychisch kranke Deutschland-Hasser“ beschimpft hatte, oder ein Zitat Gaulands, der die SPD-Politikerin Aydan Özoguz „in Anatolien entsorgen“ wollte. Letztere Aussage könne zwar für sich genommen noch als einmalige Entgleisung gewertet werden, nicht aber der ausdrückliche Zuspruch, den er dafür aus der Partei erhalten habe. In der Gesamtschau ergäben sich „hinreichende Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen“.

Keine Entscheidung, ob die AfD gesichert extremistisch ist

Eine Aussage dazu, ob die AfD bereits mehr als nur ein Verdachtsfall ist, trifft das Gericht nicht, betont aber, dass dies im Bundesinnenministerium und im Bundesamt für Verfassungsschutz offenbar so gesehen werde:

„Sowohl die auf einer internen Leitungsklausur des BMI geäußerte Forderung, eine ‚Strategie zur Bekämpfung der (Klägerin)‘ zu entwickeln, als auch die öffentliche Aussage des Präsidenten des Bundesamts, es sei nicht allein der Verfassungsschutz ‚dafür zuständig, die Umfragewerte der (Klägerin) zu senken‘, deuten (…) darauf hin, dass die Klägerin nicht mehr nur als Verdachtsfall, sondern als erwiesen extremistische Bestrebung angesehen wird. Ob diese Bewertung zutreffend ist, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.“

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So könnte der Verfassungsschutz nun weiter vorgehen

Für das weitere Vorgehen des Bundesamtes für Verfassungsschutz kommt es nun darauf an, ob sich die Nachrichtendienstler nach dem Münsteraner Urteil sicher sind, mittlerweile genug belastendes Material zusammengetragen zu haben, um auch eine Einstufung der AfD als gesichert extremistisch rechtfertigen zu können. Alternativ könnte das BfV auch entscheiden, die Beobachtung als Verdachtsfall zunächst zu verlängern.

Unmittelbare Auswirkungen hätte eine Hochstufung nicht. Das Bundesamt darf auch jetzt bereits nachrichtendienstliche Mittel gegen die AfD einsetzen – das betont auch das nordrhein-westfälische OVG in seiner Urteilsbegründung. Dazu zählen etwa verdeckte Observationen, der Einsatz von V-Leuten oder in besonderen Fällen auch Telekommunikationsüberwachung. Allerdings gelten solche Maßnahmen gegen gesichert extremistische Bestrebungen eher als verhältnismäßig und könnten nach einer Hochstufung deshalb häufiger zum Einsatz kommen.

Das OVG in Münster hat keine Revision gegen das Urteil vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zugelassen. Dagegen kann die AfD nun jedoch innerhalb eines Monats Beschwerde einlegen und hat dann einen weiteren Monat Zeit, diese Beschwerde zu begründen. Die Partei hat bereits angekündigt, auf diesem Weg gegen das Urteil vorgehen zu wollen.

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