Rechte Einigkeit vor den Landtagswahlen

Der „gärige Haufen“ gibt sich beim AfD-Parteitag handzahm

Parteichefin Alice Weidel auf der Parteitagsbühne in der Grugahalle in Essen.

Parteichefin Alice Weidel auf der Parteitagsbühne in der Grugahalle in Essen.

Essen. So viel inszenierte Liebe gab es auf AfD-Parteitagen selten. Tino Chrupalla ist am Samstag gerade frisch wiedergewählt, als er an ein Mikrofon tritt und seine „geliebte Co‑Vorsitzende“ Alice Weidel ebenfalls zur Wiederwahl vorschlägt. Weidel greift den Ball wenige Minuten später in ihrer Bewerbungsrede auf, spricht ihrerseits von ihrem „geliebten Tino Chrupalla“. Sowohl Chrupalla als auch Weidel treten ohne Gegenkandidaten an. Mit jeweils um die 80 Prozent der Stimmen erhalten beide ein gutes Ergebnis. Chrupalla, der im Vorfeld als der schwächere Kandidat galt, ist vom Ergebnis fast überwältigt. Weidel, die ihn großzügig stützte, hat sogar das um 3 Prozentpunkte schlechtere Ergebnis und reagiert schmallippig.

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Friede, Freude, Eierkuchen – das ist nicht unbedingt der Normalzustand dieser Partei. Lange waren AfD-Parteitage für erbitterten Streit bekannt. Legendär ist der Sonderparteitag der AfD im Jahr 2015: Auch damals traf sich die Partei in der Essener Grugahalle. Doch die Parteitage könnten unterschiedlicher kaum sein.

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In Essen trifft sich die AfD zur Neuwahl der Parteispitze und zur Kursbestimmung in der Außen- und Europapolitik.

Damals, als alles aus dem Ruder lief

Vor neun Jahren war die Halle nicht nur voller – es handelte sich damals um einen Mitglieder- und keinen Delegiertenparteitag – sondern auch deutlich heißer. Der Parteitag fand während einer Hitzewelle statt, schon morgens hatte es draußen rund 30 Grad. Dazu fiel die Klima­anlage der Grugahalle aus. Auch die Stimmung war 2015 hitzig: Der Parteitag wurde zur Schlacht des liberaleren Lucke-Lagers gegen den Rest der bereits damals beständig nach rechts driftenden AfD. Lucke wurde abgewählt, ausgebuht und beinahe auf der Bühne angegriffen. Der Parteitag besiegelte das Ende der Lucke-Ära, kurz später trat der Wirtschafts­professor aus der Partei aus.

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Auch im Vorfeld des diesjährigen Parteitags hatten einige Beobachter Streit erwartet: um die Aufarbeitung der in Teilen katastrophalen EU‑Wahlkampagne, um den Umgang der Partei­spitze mit dem in Ungnade gefallenen EU‑Spitzenkandidaten Maximilian Krah und um die Frage, ob die AfD künftig nur noch von einem oder einer einzelnen Vorsitzenden und nicht mehr von einer Doppelspitze geführt werden soll.

Tino Chrupalla und Alice Weidel (AfD)

Die Eiskönigin und ihr Libero: In der AfD-Spitze kriselt es

Beim anstehenden Parteitag stehen die AfD-Chefs Alice Weidel und Tino Chrupalla zur Wiederwahl – zwei, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die Skandale waren zuletzt zunehmend zur Belastung für beide geworden. Da kriselt es umso mehr, seitdem Forderungen lauter werden, die Partei statt im Duo mit einer Spitze zu führen.

Strittige Punkte sind schnell abgeräumt

Stattdessen sind die meisten Gelegenheiten für offenen Streit am Samstag aber schnell abgeräumt. Der bayerische Landesvorstand zieht seinen Antrag zur Verteidigung Maximilian Krahs zurück. In Windeseile und mit überwältigender Mehrheit beschließen die fast 600 Delegierten kurz darauf, an einer Doppelspitze festzuhalten. Auch die Wahl Weidels und Chrupallas erfolgt geräuschlos. Sie müssen nicht einmal Fragen aus dem Saal beantworten. Als sie gewählt sind, ist es erst kurz nach 14 Uhr. Im Pressebereich der Grugahalle geht die Frage um: „Was machen die denn jetzt bis morgen Abend noch?“ Es dauert schließlich bis zur Wahl des dritten stellvertretenden Parteivorsitzenden, bis es überhaupt zu einer Gegen­kandidatur kommt.

Nein, auch 2024 ist die AfD kein Hort der Liebe und Harmonie. Die Partei ist immer noch der „gärige Haufen“, als den Alexander Gauland sie einst beschrieben hat. Doch sie hat sich professionalisiert, rauft sich besonders in der Öffentlichkeit zusammen – wohl wissend, dass lauter Streit auf offener Bühne der Partei vor den für sie wichtigen Landtags­wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg nur schaden kann.

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Sanft im Umgang miteinander, inhaltlich radikal wie nie

Im öffentlichen Umgang miteinander mag die AfD bei diesem Parteitag ungewohnt sanft erscheinen. Das macht die Rechtsaußen­partei aber nicht weniger radikal. Der Bundestags­abgeordnete und wiedergewählte stellvertretende Parteichef Stephan Brandner spricht in einem Redebeitrag etwa von einer „regenbogenpolitisch degenerierten“ Bundeswehr. Der nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete – und nun ebenfalls stellvertretende Parteivorsitzende – Kay Gottschalk teilt in seiner Bewerbungsrede vor allem gegen die Medien aus. „Jeder, der in Deutschland mittlerweile die Wahrheit gegen dieses Kartell dahinten ausspricht, ist ein Nazi, meine Damen und Herren“, ruft Gottschalk ins Mikrofon. „Dahinten“ sitzen in der Grugahalle die Medien – die Journalistinnen und Journalisten dürfen sich nicht frei in der Halle bewegen, sondern müssen in einem Pressebereich hinter doppeltem Absperrband bleiben.

Chrupalla träumt vom Regieren in drei Bundesländern

Nach diesem Parteitag bewegt sich die AfD mit großen Schritten auf die Ost-Wahlen im September zu. „Im Osten kann die Sonne der Regierungs­verantwortung aufgehen“, sagt Parteichef Chrupalla am Samstagmorgen und kündigt an: „Wir werden in Sachsen, Thüringen und Brandenburg die Regierung stellen.“ Die AfD in Regierungsverantwortung und das gleich in allen drei Bundesländern? Realistisch ist das nicht, Parteitagsapplaus bringt es trotzdem ein.

„Das ist immer so ein bisschen eine Geschmacksfrage, wie stark man auf die Pauke haut, wenn man die Gelegenheit hat, bei einem Bundesparteitag auf nahe Wahlen hinzuweisen und die Mitgliedschaft zu motivieren“, sagt der rechtsextreme Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke dazu später am Tag. „Ich denke, wir werden ein Ergebnis einfahren im Osten, das gut über 30 Prozent sein wird. Und dann müssen wir mal schauen, wie groß dann der Druck auf die Altparteien ist, die Brandmauer immer noch aufrecht zu halten.“

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