Blümchen statt Whisky

Warum bekommen Männer keine Blumen geschenkt?

Verwelkte Varianz: Warum bekommen Männer in unserer angeblich so diversen Gesellschaft selten Blumen und häufig Alkohol geschenkt?

Verwelkte Varianz: Warum bekommen Männer in unserer angeblich so diversen Gesellschaft selten Blumen und häufig Alkohol geschenkt?

Gelsenkirchen/San Francisco. „Wussten Sie eigentlich, dass 88 Prozent aller Männer das erste Mal Blumen zu ihrer Beerdigung bekommen?“ Das zumindest behauptet der Blumenversand Fleurop in seinem Werbefilm „Flowers before you Die“. Eine Freundin von mir machte der Clip nachdenklich. Und als ich bei ihrem nächsten Besuch die Tür öffnete, streckte sich mir ein Bündel Narzissen entgegen. Die hatten gerade Saison. Und meine Freundin Mitleid: „Diesen Werbespruch, den fand ich irgendwie Sünde“, so ihre Begründung. Dabei muss sie sich doch nicht rechtfertigen, einem Mann Blumen zu schenken. Oder etwa doch?

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Vor mehr als einem halben Jahrhundert rief Scott McKenzie trällernd dazu auf, „mit Blumen in den Haaren“ nach San Francisco zu ziehen und Marlon Brando alias „Der Pate“ Don Corleone kultivierte die Rose am Revers. Doch wenn es um kleine Aufmerksamkeiten geht, stehen Alkohol und After Shave, Niedereggers „Männersache“-Marzipan oder Sarottis „Schwarze Herrenschokolade“ noch immer ganz oben auf der Liste und verdrängen den floralen Gruß.

Blumengruß unter Rockstars: Bruce Springsteen und Shane MacGowan

Natürlich gibt es Ausnahmen. So brachte Bruce Springsteen seinem Rockstarkollegen Shane MacGowan beim Besuch in Dublin 2023 einen Strauß weißer Rosen mit. „Thank you for the flowers Bruce!“, dankte der auf Twitter. Nun war der legendäre Frontmann der „Pogues“ („Fairytale of New York“) zu dem Zeitpunkt bereits schwer krank, und verstarb wenige Monate später, was uns zur Frage zurückführt: Warum bekommen Männer so selten Blumensträuße geschenkt, wenn man ihnen nicht gerade Genesung von einer Krankheit wünscht oder sie schon das Zeitliche gesegnet haben?

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5000 Jahre Rosen in China und griechische Blumenmythen

Vielleicht verrät ein Blick in die Geschichte die Antwort. Blumen spielen seit Anbeginn der Zeit weltweit eine große Rolle. Bereits vor knapp 5000 Jahren züchtete man Rosen in China. Und schon dem Sarkophag des Pharaos Tutanchamuns lag ein Strauß aus Zyanen, Olivenblättern, Nachtschatten und Mohn bei.

Die alten Griechen belegten ihre Flora mit mythologischen Bedeutungen: Die Hyazinthe habe Gott Apollo aus dem Blut seines Liebhabers Hyakinthos erwachsen lassen, nachdem er ihn versehentlich mit dem Diskus getötet hatte. Und die Narzisse – auch als Osterglocke bekannt – sei entstanden, als sich der narzisstische Jüngling Narziss in sein eigenes Spiegelbild verliebte und beim Versuch, es zu küssen im See ertrank. Ob mir meine Freundin mit ihrem Narzissengeschenk wohl etwas sagen wollte?

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Wie kam die Kunst des Blumenstraußes nach Europa?

Weniger alt ist die Geschichte des Blumenstraußes, wie wir ihn heute kennen, als Mitbringsel und Geburtstagsgeschenk, als farbenfrohes Vasenfüllsel, an dem jede Blüte eine eigene Aussage hat.

Sie beginnt mit der englischen Autorin Lady Mary Wortley Montagu, eine der berühmtesten Frauen des frühen 18. Jahrhunderts, verheiratet mit dem Botschafter in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul. Von dort bringt sie nicht nur die Idee nach Europa, dass man sich gegen Krankheitserreger impfen kann, sondern auch von einer „Sprache der Blumen“ habe sie dort gehört.

Es war eine revolutionäre Entdeckung, die bis zum heutigen Tag ganze Industrien aus der Taufe hob: Jede Blume hat eine Bedeutung, jeder Anschnitt, jede Schleife, jede Bindung. Die englische Aristokratie war begeistert und bald auch das zu Wohlstand kommende Großbürgertum in Frankreich und Europa.

 Im Gegenlicht: Ein Klatschmohnfeld in voller Bluetenpracht am Morgen bei Trebur Hessen. Auch am Pfingstwochenende ist warmes und sonniges Wetter vorhergesagt. Trebur Landschaft bei Trebur Hessen Deutschland *** A field of corn poppies in full bloom in the morning near Trebur Hessen Warm and sunny weather is also forecast for the Whitsun weekend Trebur landscape near Trebur Hessen Germany Copyright: xBEAUTIFULxSPORTS/RaphaelxSchmittx

Slowflower: Wenn die Schnittblume nicht mehr eingeflogen wird

80 Prozent aller in Deutschland verkauften Schnittblumen werden aus anderen Ländern importiert. Dabei liegt das Gute oft so nah: Regional angebaute Blumen sind besonders frisch und haben einen kleinen CO₂-Fußabdruck.

Floriografie: Welche Blume hat welche Bedeutung?

Ein Blick ins „Taschenbuch der Blumensprache“ von 1843 verrät: Das Stiefmütterchen steht für Bescheidenheit, das Schneeglöckchen für Unschuld. Die Rose verkörpere „jungfräuliche Tugend“ und die Tulpe eine stolze, aber vergängliche Schönheit. Ganz eindeutig scheinen die Blumen allerdings nicht zu sprechen: Die Nelke wird ebenso als Bild der Freundschaft gelistet, wie als Symbol „reiner, feuriger Liebe“. Wenig Überraschendes findet sich hier über die Narzisse: Sie stehe für „Egoismus“, aber immerhin auch – welch schwacher Trost – für die Schönheit.

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Die Frage aber bleibt: Wenn die Blumenwelt derart reich an vielfältiger Bedeutung ist, warum gehen die Sträuße dann meist an die Frau? Fragt man beim Fachverband Deutscher Floristen (FDF) nach, erhält man eine simple Antwort: „Die Geschenkekultur steht in einer gewissen Tradition, in der alkoholische Präsente oftmals an Männer verschenkt werden, während die Frau und Gastgeberin sich über einen Blumenstrauß freut.“ Das habe sich nun mal so etabliert, was aber keineswegs heißt, dass es so bleiben müsse.

An klassischen Blumenschenktagen werden Frauen nicht nur blumig beschenkt, sondern gehen ihrerseits blumig in die Offensive und schenken ihrem Liebsten Blumen.

Nicola Fink

Sprecherin des Fachverbandes Deutscher Floristen e.V.

Floristikverband: Welche Blumen eignet sich für Männer besonders?

In einer „zunehmend offenen Multi-Kulti-Gesellschaft“, erklärt FDF-Sprecherin Nicola Fink, könne jeder für sich entscheiden, ob er Traditionen schätzt und wahren möchte. Und tatsächlich stellten die Floristen fest, dass mittlerweile auch immer mehr Frauen „blumig in die Offensive“ gingen. „Frauen kaufen zu besonderen Anlässen, wie Geburtstagen und Jubiläen mehr und mehr Blumensträuße für ihre Partner.“

Der Blumenstrauß für den Mann ist also doch allmählich auf dem Vormarsch. Gibt es dabei eigentlich etwas zu bedenken? Empfehlen die Floristen eine bestimmte „Männerblume“? Auch Männer würden sich über „zarte Blüten und blumige Präsente“ aller Art freuen, entgegnet Fink. Einen Tipp hat sie trotzdem: „Es gibt Blumen, wie beispielsweise die Chrysantheme, die besonders robust und lange haltbar sind.“

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Zudem sei sie nicht nur in leichten pastelligen Tönen, sondern auch in kraftvollen Farben verfügbar. „Damit empfiehlt sie sich vielleicht als eine mögliche Blüte für den Mann.“ Und sollte der Herr nicht ganz so bewandert sein in der „Sprache der Blumen“, sei natürlich auch die Rose immer eine gelungene Wahl: „Unmissverständlich“ komme ihre „Liebesmessage“ auch bei Männern an.

Illustration Eco-Gender-Gap – Nachhaltigkeit Mann und Frau

Fleisch, Benzin und echte Männer: Was hat Klimaschutz mit dem Geschlecht zu tun?

Studien zeigen, dass Frauen umweltbewusster leben als Männer. Sogar von „fossiler Männlichkeit“ und einem Eco-Gender-Gap ist die Rede. Zugleich leiden Frauen stärker unter Klimawandel und Umweltverschmutzung. Ein Blick in die Erforschung ökologischer Ungerechtigkeit – und eine grüne Zukunft für alle.

Plädoyer: Florale Männlichkeit statt fossile Männlichkeit

Aber was heißt es eigentlich, Mann zu sein in der Zeit, in der wir leben? Fleischkonsum und schwere Karren, Energydrink und Ballerspiele? Von „fossiler Männlichkeit“ sprechen Sozialforscher und meinen damit ein maskulines Ideal, das Donald Trump und Jair Bolsonaro ebenso massenwirksam verkörpern, wie AfD-Mann Maximilian Krah in seinen zigarreschmauchenden Tiktok-Auftritten.

Nichts gegen achtsamen Tabakgenuss, aber wie wäre es mit einem Gegentrend? Statt fossiler Männlichkeit eine „florale Männlichkeit“, die sich für die Schönheit der Natur öffnet und lernt, für ihren Erhalt einzustehen?

Die Blütenlobby weiß ich an meiner Seite: „Florale Männlichkeit ist ein schöner Ausdruck, der auch heute gut in unsere Zeit passt, in der sich Rollenmuster wandeln, Geschlechterstereotype aufbrechen, Individualität und Emotionen gewünscht sind“, sagt Nicola Fink vom Floristenverband. Gemeinsam, über die Geschlechterdifferenzen hinweg, könnten wir uns so „blumig gegen negative Energien“ aufstellen.

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Schnell weg damit: Anlässlich seiner Wiederwahl als CDU-Bundesvorsitzender bekommt Friedrich Merz im Mai 2024 einen Blumenstrauß überreicht – und gibt ihn abseits der Bühne seiner Ehefrau Charlotte.

Schnell weg damit: Anlässlich seiner Wiederwahl als CDU-Bundesvorsitzender bekommt Friedrich Merz im Mai 2024 einen Blumenstrauß überreicht – und gibt ihn abseits der Bühne seiner Ehefrau Charlotte.

Wie nachhaltig sind die Schnittblumen in Deutschland?

Nun gehört zur Vollständigkeit, dass 80 Prozent der Schnittblumen, die in Deutschland verkauft werden, aus dem Ausland importiert werden, wo sie meist unter Bedingungen gedeihen, die von hohem Wasserverbrauch geprägt sind, von Pestizideinsatz und geringen Löhnen. Wer könne sich da wünschen, dass die Blumenverkäufe ansteigen, um auch das traditionell botanisch unterversorgte Geschlecht mit bunten Blüten zu versorgen?

Vielleicht bietet die florale Wende im Verständnis der Geschlechter den Anlass zu einem allgemeinen Umdenken über den Inhalt unserer Vasen: Blumenbouquet statt Rumpraline, regional angebaute Dahlien und Margariten statt orientalische Lilien-Hybride. Nachhaltiger Dekokonsum und Varianz der Männerpräsente. Und sei es nur ab und zu.

Nichts gegen Whisky Tasting und Herrenschokolade

Denn machen wir uns nichts vor: Nieman(n)d möchte grundsätzlich auf Whisky-Tasting-Sets, „Männersache“-Marzipan und Herrenschokolade verzichten. Das genussvolle Goutieren klassischer Herrengeschenke schließt die Würdigung bunter Blüten nicht aus. Und vielleicht sind florale Männlichkeit und klassische Maskulinität gar nicht so weit voneinander entfernt, wie es manchmal scheint. „The Boss“ würde sicherlich zustimmen. In diesem Sinne: „Thank you for the flowers Bruce!“

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