Saskia Michalski im Interview

„Eltern können sagen: Kleidung ist für alle da, Schminke ist für alle da, Spielzeug ist für alle da“

„Kinder haben eigene Grenzen und eine Intuition. Diese wird häufig unterbunden.“

„Kinder haben eigene Grenzen und eine Intuition. Diese wird häufig unterbunden.“

Saskia Michalski, für wen haben Sie Ihr Buch neues Buch „Lieben und lieben lassen“ geschrieben?

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Ich wollte ein Buch über die Liebe schreiben. Ich habe dieses Buch für die Mehrheitsgesellschaft geschrieben. Ich habe die Hoffnung, dadurch, dass ich auch die Begrifflichkeiten darin erkläre, dass jeder Mensch, der dieses Buch liest, irgendetwas findet, das mit seinem Leben zu tun hat. Ich möchte diese Entfremdung auflösen.

Was sind die größten Klischees und Fehlannahmen, die Sie mit diesem Buch aufklären möchten?

Ein Hauptthema meines Buches ist, dass Menschen immer davon ausgehen, dass es immer einen richtigen Weg gibt. Einen Weg, der angibt, wie es sein muss. Das möchte ich aufbrechen. Es ist grotesk, dass Menschen glauben, dass es bei acht Milliarden Menschen auf der Welt den einen richtigen Weg gibt. Damit will ich brechen. Die Realität ist eine andere.

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Sie beschreiben in Ihrem Buch ganz konkrete Szenen aus Ihrer Kindheit. Zum Beispiel, dass Sie sich unwohl gefühlt haben, wenn sich Mädchen und Jungs in der Schule getrennt aufstellen mussten, Sie haben sich nicht zugehörig gefühlt und trotzdem bei den Mädchen aufgestellt. Wie war das damals?

Das war in 90er-Jahren, da hatte ich keinen Zugang zu Wissen über Geschlechtervielfalt. Es gab mehrere solcher Situationen, in denen mir gesagt worden sind, dass wir uns aufstellen sollten – die Mädchen hier, die Jungen da. Ich habe das gemacht, weil mir ja gesagt worden war, dass ich ein Mädchen bin. Ich habe das schon damals nicht verstanden, aber ich habe das gemacht, was man von mir erwartet hat.

Was sollten Eltern heute denn anders machen?

Kinder haben eigene Grenzen und eine Intuition. Diese wird häufig unterbunden. Das finde ich falsch. Ich möchte, dass Kinder Dinge hinterfragen dürfen. Gerade dieses Aufstellen nach Jungs und Mädchen ist überhaupt nicht notwendig. Diese binären Schubladen sind so tief drin in vielen Menschen. Dabei braucht es das oft gar nicht. Zum Beispiel in der Schule könnte man das ganz einfach anders machen. Wir könnten durchzählen mit eins und zwei und so zwei Gruppen bilden. So würden eben nicht die Kinder ausgeschlossen, die sich keinem der beiden Geschlechter zugehörig fühlen, und wir würden nicht ständig Stereotype reproduzieren.

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Was können Elternteile denn tun, wenn sie ihre Kinder eben nicht in diesen Klischees großziehen möchten?

Erst einmal können Elternteile damit anfangen, es zu Hause anders zu machen. Sie können dafür sorgen, dass sich ein Kind frei entfalten kann. Sie können sagen: Kleidung ist für alle da, Schminke ist für alle da, Spielzeug ist für alle da. Dass nicht gesagt wird, dass bestimmte Hobbys oder lange Haare nur für Mädchen sind. Kinder sollen ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse ausleben, nicht die ihrer Eltern. Kindern fällt das gar nicht schwer. Wenn ich sage: Du darfst lange Haare haben, dann ist das für das Kind klar.

Viele Eltern möchten, dass ihre Kinder sich gut und richtig fühlen, so wie sie sind. Das kann auch bedeuten, dass sie vielleicht nonbinär oder trans sind, dass sie homosexuell oder bisexuell sind. Was kann ich als Elternteil tun, auch wenn ich selbst in einer heteronormativen Familie lebe, also mit Mutter, Vater, Kindern. Kann ich irgendwie aktiv vermitteln, dass es noch andere Lebens- und Liebesformen gibt?

Das ist eine sehr schöne Frage. Es geht gar nicht darum, die Kinder ständig zu belehren. Aber wir können darauf achten, welche Bücher wir mit unseren Kindern anschauen. Es gibt Bücher und Spielsachen, die diverser sind, in denen es mehr gibt als Mutter, Vater, Kind. Bild- und Sprachwelten prägen sich sehr schnell ein bei Kindern. Wenn Fragen kommen in der Kita: Da kommt immer nur die Mama zum Abholen und ich sage dem Kind dann: Ja, es gibt auch Familien, die haben zwei Mamas. Das ist für Kinder ganz normal, wenn es das für uns auch ist. Viele Eltern denken, dass man sich mit den Kindern hinsetzen muss, um mit ihnen zu reden. Darum geht es überhaupt nicht.

Kinder, zusammenleben, gruppe, Jugendliche
Where the cool kids hang out. Cropped studio shot of a group of kids standing against a gray wall

„Für mich sind wir hier wie Familie“: Wenn Kinder nicht mehr bei den Eltern leben können

Pia will nicht mehr bei ihrer Mutter leben. Seit fünf Jahren wächst die 14-Jährige in einer Wohngruppe der Jugendhilfe auf, erlebt dort ein Familiengefühl. Ein Besuch an einem Ort, den viel mehr junge Menschen in Not hierzulande bräuchten.

Sie schreiben in Ihrem Buch: „Diese Idee, dass man eine Mutter- und Vaterfigur braucht, ist absolut veraltet.“ Was meinen Sie damit?

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Kinder brauchen Bezugspersonen, die dafür sorgen, dass sie sich gesehen, gehört, verstanden und geliebt fühlen. Was ist denn eine Vaterfigur? Was eine Mutterfigur? Was will ich damit sagen? Der Versorger, der uns Rationalität und Härte beibringt und die Mutter, die einfühlsam ist? Diese Klischees helfen nicht. Kinder brauchen sie nicht. Es gibt Studien, die zeigen, dass Kinder aus Regenbogenfamilien genauso glücklich sind.

Für wen ist Polyamorie das Richtige?

Ich sehe weder Monogamie noch Polyamorie als „das Richtige“ an. Ich sage auch nicht, dass alle Menschen poly leben müssen oder Monogamie out ist. Jeder Mensch kann Gefühle für mehrere Menschen haben. Ob sie dem nachgehen möchte, entscheidet jede Person selbst. Es gibt viele verschiedene Beziehungsmodelle, wir können uns aktiv für oder gegen vieles entscheiden, aber es sollte eine aktive Entscheidung sein.

Sie beschreiben in Ihrem Buch, dass Sie Anfeindungen bis hin zu Morddrohungen erleben. Wieso glauben Sie, ist das so?

Das ist mein täglich Brot. Ich erlebe jeden Tag Hass im Internet. Ich erlebe Anfeindungen, auch im öffentlichen Raum oder in queeren Räumen. Auf der anderen Seite erlebe ich auch viel Liebe. Das ist ein Thema, das doll polarisiert. Es gibt die Pole, die mich sehr unterstützen, und auf der anderen Seite die Pole, die mich als absolutes Feindbild sehen. Heute weiß ich, wer ich bin, wen ich liebe und wie ich liebe. Daran kann niemand etwas ändern, der mich dafür anfeindet.

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Warum glauben Sie, Sie werden Sie für Ihre Art zu leben und zu lieben so angefeindet?

Ich habe durchaus Erklärungsansätze dafür. Ich war ja selbst mal an dem Punkt, dass ich die Polyamorie abgelehnt habe. Viele Menschen haben Angst, dass ihre Themen, ihre Sorgen und ihre Wünsche vergessen werden. Wenn ich es gewohnt bin, mich mein Leben lang nicht zu hinterfragen, dann will ich das nicht. Da ist es viel leichter, den Menschen zu sagen, dass sie unrecht haben, als dass man sich eingesteht, dass vieles von dem, was man gelernt hat, nicht richtig war. Und das betrifft eben auch die Monogamie. Wenn ich nur sage, dass ich polyamor lebe, sagen die Menschen: Aber die Monogamie ist nicht falsch. Das habe ich auch nie gesagt. Nur weil ich anders lebe, sind sie ja nicht falsch.

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Sie machen Ihr Leben, Ihre Beziehungen auf Instagram öffentlich. Ihnen folgen über 110.000 Menschen. Warum machen Sie das?

Ich hatte nie vor, das beruflich zu machen. Es war eher ein: Ich möchte mich nicht mehr verstecken und ich möchte eine Thematik sichtbar machen, über die noch wenig gesprochen wird. Ich kann Menschen nicht ihren Weg abnehmen, aber ich kann ihn einfacher machen, weil ich ihn schon gegangen bin und davon erzähle. Ich versuche, das Thema in den Mainstream zu bringen. Wir leben in einer diversen Welt, das haben wir schon immer. Nur früher war es unsichtbar.

„Lieben und lieben lassen – Gefühle passen in keine Schublade“ erscheint am 3.5.2024 bei Piper, 18 Euro

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