Frontalangriff auf den Westen: Putin lügt und hetzt in der „Zeit“

Kreml-Führer nutzt Gastbeitrag zum 80. Jahrestag des Nazi-Überfalls auf die Sowjetunion als Bühne für Geschichtsfälschung

Putin bei einer Gedenk-Zeremonie zum 80. Jahrestag des Wehrmacht-Überfalls auf die Sowjetunion, die im Zweiten Weltkrieg rund 27 Millionen Tote zu beklagen hatte

Putin bei einer Gedenk-Zeremonie zum 80. Jahrestag des Wehrmacht-Überfalls auf die Sowjetunion, die im Zweiten Weltkrieg rund 27 Millionen Tote zu beklagen hatte

Foto: Alexei Nikolsky/dpa
Von: Peter Tiede

Russlands Präsident Wladimir Putin (68) hat zum 80. Jahrestag des Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion einen Gastbeitrag in der Hamburger Wochenzeitung „Zeit“ veröffentlicht. Die „Zeit“ veröffentlichte das Papier ohne kritischen Kommentar. Und das wirft erhebliche Fragen auf.

Denn an dem Text stimmt so gut wie nichts. Er ist in Summe: eine Lüge. Der Abdruck durch die „Zeit“ in dieser Form: ein Skandal.

Die Erinnerung an jenen fürchterlichen 22. Juni 1941 wäre ein angemessener Anlass, einem Staatsführer der Länder der ehemaligen Sowjetunion zuzuhören, innezuhalten.

Aber die „Zeit“ gibt in Putin einem Feldherrn der psychologischen, kalten und tatsächlichen Kriegsführung, einem Propagandisten und Mörder die große intellektuelle Bühne.

Damit wirkt die „Zeit“ mit an einem Großprojekt Putins: Dem Umschreiben der Geschichte zugunsten seines Russlands – und zulasten aller anderen, die gegen Nazi-Deutschland kämpften oder später unter Sowjet-Terror litten.

Unternehmen Barbarossa: Der Überfall der Wehrmacht am 22. Juni 1941 begann mit dem Vormarsch von Sturmgeschützen mit aufgesessener Infanterie

Unternehmen Barbarossa: Der Überfall der Wehrmacht am 22. Juni 1941 begann mit dem Vormarsch von Sturmgeschützen mit aufgesessener Infanterie

Foto: ullstein bild via Getty Images

Putins Geschichtsklitterung

Die „Zeit“ lässt Putin schwarz auf weiß das machen, was er in Russland schon seit Jahren vorantreiben lässt: Geschichtsfälschung. Sein Russland – das es bis zum Mauerfall nur als Teil der Sowjetunion gab – wird aufgeblasen, während andere Staaten wie Belarus und die Ukraine, die weit mehr vom deutschen Überfall betroffen waren, darin nicht mehr explizit vorkommen. Die Guten waren: seine Russen. Überall in seinem maroden Land prangt der alte Kriegs-Slogan: „Nach Berlin!“ Der Kampf gegen „den Faschismus“ – in Putins Welt der Gründungsmythos seines Russlands.

Schon der Anfang des vermeintlichen Putin-Stücks in der „Zeit“ ist Geschichtsklitterung: „Vor genau 80 Jahren, am 22. Juni 1941, überfielen die Nationalsozialisten, nachdem sie ganz Europa erobert hatten, die UdSSR. Für das sowjetische Volk begann damit der Große Vaterländische Krieg.“

Putin macht das, was er in seinem Russland derzeit brachial und per Gesetz durchsetzen lässt: Er tut so, als habe die Sowjetunion bis zu diesem 22. Juni 1941 nichts mit dem Zweiten Weltkrieg (das Wort nimmt er nicht in den Mund) zu tun gehabt.

Das verschweigt Putin: 1939 unterzeichnete Nazi-Außenminister Joachim von Ribbentrop in Moskau den Hitler-Stalin-Pakt – der führte zur Aufteilung Polens zwischen Nazi-Deutschland und der UdSSR

Das verschweigt Putin: 1939 unterzeichnete Nazi-Außenminister Joachim von Ribbentrop in Moskau den Hitler-Stalin-Pakt – der führte zur Aufteilung Polens zwischen Nazi-Deutschland und der UdSSR

Foto: picture alliance / Photo12/Archives Snark

Doch der begann für Moskau am 17. September 1939, als die Rote Armee nur wenige Tage, nachdem die deutsche Wehrmacht Polen überfallen hatte, von Osten her in Polen einmarschierte. Es war der Hitler-Stalin-Pakt (den man in Putin-Land nicht ungestraft nennen darf), mit dem die Sowjetunion in den Zweiten Weltkrieg eintrat. Nach Polen (die Ostgrenze ist noch immer die, auf die sich Hitler und Stalin geeinigt hatten) war noch Finnland dran und dann das Baltikum.

Ja, vor 80 Jahren wurde Stalins Sowjetunion vom dann Ex-Verbündeten Deutschland angegriffen. An diesem Tag wendete sich der Krieg auf das brutalste und unmenschlichste gegen das große Reich im Osten. Dann fegte das Grauen über die Sowjetunion. Millionen Sowjetbürger wurden grausam getötet. Die Nazis ermordeten auch weit über eine Million sowjetischer Juden. Männer, Frauen und Kinder.

Nord Stream 2 – ein Friedensprojekt?

Doch Putin belässt es nicht beim Biegen der Vergangenheit. Er zieht die Linien von Krieg und Befreiung bis ins Heute: Putin kaschiert seine explizit gegen Osteuropa gerichtete Gas-Pipeline Nord Stream 2 zu einer Friedensangelegenheit, zu einer direkten Folge sowjetischer Friedenspolitik!

Putin in der „Zeit“: „Erinnert sei auch daran, dass es deutsche Unternehmer waren, die in den Nachkriegsjahren zu Pionieren der Kooperation mit unserem Land wurden. 1970 wurde zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik mit der Vereinbarung über langfristige Gaslieferungen nach Europa ein ‚Deal des Jahrhunderts‘ geschlossen. Damit wurden der Grundstein für eine konstruktive Interdependenz gelegt und im Folgenden viele großartige Projekte, wie zum Beispiel Nord-Stream, ermöglicht.“

Als würde sich diese Russen-Röhre durch die Ostsee nicht vor allem gegen die Ukraine richten – eben jenen Ex-Sowjetstaat, in dem Nazi-Deutschland weit verheerender gewütet hatte als in Russland.

Was Putin hier weismachen will: Wer gegen Nord Stream 2 ist, ist ein Revanchist, gefährdet den Frieden und die Aussöhnung in Europa.

Putin geriert sich als Friedenspolitiker

Putin weiter: „Wir hofften, dass das Ende des Kalten Krieges einen Sieg für ganz Europa bedeuten würde. (…) Gerade in diesem Sinne – in der Logik der Gestaltung eines Großen Europas, das durch gemeinsame Werte und Interessen zusammengehalten würde – wollte Russland seine Beziehungen zu den Europäern aufbauen. (…) Es setzte sich jedoch ein anderer Ansatz durch. Diesem lag die Erweiterung der Nordatlantischen Allianz zugrunde, die selbst ein Relikt des Kalten Krieges war. Denn geschaffen war sie ja zur Konfrontation aus der damaligen Zeit heraus.“

Und da gibt die edle „Zeit“ der Propaganda die große Bühne: Denn natürlich verschweigt Putin, dass er selbst gegen alle Verträge über Nuklearwaffen brach und in Königsberg (Kaliningrad) wieder Atomraketen stationierte, die bis vor die Tore Berlins fliegen können. Kein Wort davon, dass sich „die Nato“ nicht ausbreitete, sondern Ex-Sowjetstaaten (wie etwa das früher okkupierte Baltikum) aus Angst vor Moskau in die Nato wollten. Nicht die alte Nato war aggressiv – es war Putins Russland, das schließlich auch die Ukraine überfiel und bis heute den Donbass und die Krim besetzt hält. Im Kaukasus hatte Putin da schon lange Kriege führen und fremdes Land besetzen lassen.

Putin-Lüge zur deutschen Wiedervereinigung

Putin lügt auch dreist, wenn es um die deutsche Wiedervereinigung geht – und die ZEIT druckt das ohne kritischen Kommentar – unter dem Deckmantel der Erinnerung an den Überfall auf die Sowjetunion.

„Die Grundursache des zunehmenden gegenseitigen Misstrauens in Europa lag im Vorrücken des Militärbündnisses gen Osten, das im Übrigen damit begann, dass die sowjetische Führung de facto überredet wurde, dem Nato-Beitritt des geeinten Deutschlands zuzustimmen.“

Der Putin-Kumpel und frühere Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl, Horst Teltschik, der für Putin berühmte Reden mitverfasst hat, dementierte diese Moskauer Propaganda-Lüge 2014 gegenüber BILD: „Diese Zusage gab es nicht. Keiner hat 1990 die Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Paktes erwartet noch vorausgesehen.“

Nato schuld, dass Putin die Ukraine überfällt

Trotzdem lügt Putin weiter von „fünf weiteren Wellen der Nato-Erweiterung“. Als hätte die Nato den alten Osten gezwungen, beizutreten.

Und Putin darf es in der „Zeit“ auch immer weitertreiben: „Viele Länder wurden vor eine künstliche Wahl gestellt – entweder mit dem kollektiven Westen oder mit Russland zusammenzugehen. De facto war dies ein Ultimatum. Die Konsequenzen dieser aggressiven Politik führt uns das Beispiel der ukrainischen Tragödie von 2014 anschaulich vor Augen.“

Heißt so viel wie: „Selber schuld!“

Kein Wort im Übrigen von den 15 000 Toten des Ukraine-Krieges bis heute.

Kleptokrat bietet Partnerschaft an

Und der Mörder aus dem Kreml, in dessen Staat es kaum noch freie Presse gibt, in dem Journalisten und Oppositionspolitiker ermordet werden, in dem ein mafiöses, von Putin gezielt gefördertes Konglomerat aus Geheimdienst und Mafia in Staat und Wirtschaft regiert, der im Berliner Tiergarten morden lässt, der andere Länder überfallen hat, wie es das in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gab, der Giftanschläge in Großbritannien und im eigenen Land auf „Feinde“ anordnet, der jede Form von Opposition brutal und mit einer Unrechtsjustiz bekämpfen lässt und in Gulags oder Gräber werfen lässt, der Rechtsradikale und Linksradikale in Europa fördert, Propaganda-Kampagnen gegen die Bundesrepublik führt, unseren Bundestag und unsere Impfstoff-Helden von Biontech hacken lässt, der Putin, der sich aktiv in Wahlen im Westen einmischt, der auf dem Balkan vor unserer Haustür fortwährend zündelt (u.a. Putschversuch in Montenegro, Kosovo-Frage), der einen Teil Moldawiens mit einer Mafia-Clique mit knapp 2000 Soldaten besetzt hält, der den Westen schon vor Jahren in der neuen Militärdoktrin zum Feind erklärte – dieser kleptokratische Wladimir Putin, kann sich dann ungehindert und ohne einen kritischen Kommentar in der „Zeit“ ungeniert erdreisten, dieses verlogene Angebot zu machen:

„Russland plädiert für die Wiederherstellung einer umfassenden Partnerschaft zu Europa.“

Als wären seine Werte unsere.

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