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  3. Brexit: So teuer wird Johnsons Deal für die Briten

Wirtschaft EU-Austritt

Johnsons Deal macht den Brexit noch viel schlimmer

Britisches Parlament votiert für Neuwahl im Dezember

Großbritannien wird nun doch im Dezember ein neues Parlament wählen. Das Unterhaus verabschiedete ein entsprechendes Gesetz.

Quelle: WELT/Thomas Laeber

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Laut Regierung seien die neuesten Vereinbarungen „selbstverständlich im wirtschaftlichen Interesse“ der Briten. Doch der jüngste Deal macht den EU-Austritt noch teurer. Pikant: Selbst ein Szenario chronischer Unsicherheit wäre besser.

Boris Johnsons Brexit-Deal wird die britische Wirtschaft teurer zu stehen kommen als die anhaltende Unsicherheit über das künftige Verhältnis zur EU. Die erste Folgenabschätzung des vorliegenden Ausstiegsvertrags, erstellt vom unabhängigen National Institute of Economic and Social Research (NIESR), kommt zum Ergebnis, dass das Bruttoinlandsprodukt auf längere Sicht im Schnitt um 3,5 Prozent im Jahr hinter jenem Wachstum zurückbleiben wird, das bei einer fortgesetzten EU-Mitgliedschaft möglich gewesen wäre. Bleibt die Situation dagegen wie bisher, ein Szenario chronischer Unsicherheit, würde die Einbuße bei zwei Prozent im Jahr liegen.

Der Deal würde zwar die Unsicherheit reduzieren, erläuterte Arno Hantzsche, leitender Ökonom am Institut. „Dafür schließt es auch die Möglichkeit einer engeren Handelsbeziehung mit der EU aus.“ In der aktuellen Situation verbleibt dagegen die Chance, dass Großbritannien auch künftig der Zollunion und dem Binnenmarkt angehören könnte. Auf rund 70 Milliarden Pfund im Jahr beziffern Hantzsche und seine Kollegen die Kosten des Austritts. Das sind 1100 Pfund pro Kopf, und die Gesamtsumme entspricht der Wirtschaftsleistung der Region Wales.

Zum Vergleich: Der Deal, den Theresa May im vergangenen Jahr ausgehandelt hat und der den ungeliebten Backstop umfasste, die Zugehörigkeit zur Zollunion, um Grenzkontrollen auf der irischen Insel zu vermeiden, wäre mit einer Reduzierung des BIP um drei Prozent im Jahr etwas besser ausgefallen. Ein chaotischer Brexit würde der Prognose zufolge 5,6 Prozent Wirtschaftswachstum kosten.

Die NIESR-Analyse ist die erste Abschätzung, die sich Johnsons konkrete Vereinbarung vorgenommen hat. Britische Abgeordnete hatten das Finanzministerium nach der Einigung um eine Analyse gebeten, doch Finanzminister Sajid Javid hat abgelehnt. Der Deal sei „selbstverständlich in unserem wirtschaftlichen Interesse“, ließ er den Finanzausschuss wissen.

„Deutlich höhere Hürden für Warenaustausch“

Johnsons Deal hat das Parlament grundsätzlich zugestimmt, allerdings nicht dem ambitionierten Zeitplan. Die EU hat einer Verschiebung des Brexit-Stichtags von Ende Oktober auf Ende Januar zugestimmt. Johnsons Regierung hat nun aber Neuwahlen Anfang Dezember durchgesetzt, in der Hoffnung, mit einer Mehrheit im Unterhaus ihr Programm einfacher durchzubekommen.

Analysten haben bereits auf nachteilige Auswirkungen hingewiesen. Johnson strebt eine losere Verbindung mit der EU an als seine Vorgängerin. Das bedeutet, dass Regelungen und Zertifizierungen im Vereinigten Königreich von denen der EU abweichen könnten. Dem Land bietet das die Möglichkeit, sich enger an andere Märkte anzulehnen. Besonderes Interesse hat Johnson immer wieder an einem Freihandelsvertrag mit den USA geäußert.

„Für den Austausch mit Waren und Dienstleistungen mit der EU bedeutet das deutlich höhere Hürden“, erläuterte Hantzsche. Das wird sich letztlich in höheren Kosten im Außenhandel mit der EU niederschlagen, Exporte dürften zurückgehen. Die anhaltende Unsicherheit schränkt zwar die Investitionsneigung ein, für Exporteure ändert sich aber zunächst nichts.

Unabhängig von den drohenden negativen Auswirkungen des EU-Austrittsvertrags habe sich Großbritanniens Haushaltslage zuletzt erheblich verschlechtert, warnte Hantzsche. „In Unordnung“ charakterisierte er sie und verwies unter anderem auf die Ausgabenorgie seit Beginn der Regierung Johnson Ende Juli.

Erhebliche Finanzierungszusagen für Schulen, Krankenhäuser, die Polizei deuten daraufhin, dass die konservative Partei schon seit Längerem auf einen Wahlkampf zusteuert. Am Wochenende hat das Finanzministerium auch die für Anfang November geplante Veröffentlichung des Haushalts für 2020 abgesagt. Zu diesem Termin legt normalerweise auch das Office for Budget Responsibility (OBR), die zuständige staatliche Stelle für Budgetverantwortung, eine aktualisierte Übersicht zu den Staatsfinanzen vor.

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Die Verschiebung quittierte das OBR mit der Drohung, künftig unabhängig vom Haushalt Schätzungen vorzulegen. „Es ist nicht an uns, ein Datum zu bestimmen, an dem wir unsere Prognosen veröffentlichen, es sei denn, der Finanzminister wartet so lange damit, selbst einen Termin zu setzen, dass wir das Gefühl haben, das tun zu müssen, um zwei Prognosen innerhalb des Finanzjahres veröffentlichen zu können”, schrieb Robert Chote, Chef des OBR, am Dienstag in einem Brief an das Finanzministerium. Die staatliche Stelle ist gesetzlich verpflichtet, zwei Analysen im Fiskaljahr, von Anfang April bis Ende März, zu veröffentlichen. Kommende Woche wird sie ein Update ihrer inzwischen veralteten Schätzung vom März publizieren.

Die Wissenschaftler der Denkfabrik Resolution Foundation haben am Dienstag ebenfalls gewarnt, dass der Brexit-Puffer von 27 Milliarden Pfund, den Javids Vorgänger Philip Hammond aufgebaut hatte, in den vergangenen Monaten bereits weitgehend verbraucht worden sei. Das Defizit dürfte im laufenden Jahr damit näher an drei Prozent liegen als am festgesetzten Ziel von zwei Prozent.

Britisches Parlament votiert für Neuwahl im Dezember

Großbritannien wird nun doch im Dezember ein neues Parlament wählen. Das Unterhaus verabschiedete ein entsprechendes Gesetz.

Quelle: WELT/Thomas Laeber

Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben klaffe nicht nur wegen der zusätzlichen Ausgaben weiter auf. Zusätzlich lässt ein zurückhaltenderes Wirtschaftswachstum als erwartet die Einnahmen weniger sprudeln.

Eine alternde Bevölkerung und notwendige Verbesserungen der Infrastruktur würden zusätzliche Ausgaben durchaus notwendig machen, urteilten die NIESR-Ökonomen. Eine klare Fiskalstrategie fehle aber.

Angesichts der nachteiligen Effekte des Johnson-Deals muss sich das Finanzministerium auch für künftig auf geringere Steuereinnahmen einstellen, warnte Hantzsche. Strukturschwache Regionen wie Nordirland, Wales und der Norden Englands werden das besonders zu spüren bekommen.

Immerhin sei das Risiko einer Rezession gegenüber dem Sommer gesunken. Die Wahrscheinlichkeit sehen die Volkswirte nun bei rund 15 Prozent, zuvor hatte sie bei 30 Prozent gelegen. Doch die Wachstumserwartungen bleiben mit 1,4 und 1,5 Prozent im laufenden und den kommenden beiden Jahren verhalten. Die Volkswirtschaft des Vereinigten Königreichs müsse sich auf einen „schleichenden Plattfuß“ einstellen, warnte NIESR-Direktor Jagjit Chadha.

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