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Deutschland Nordsee-Insel Juist

Im Winter ist die Magie des Zauberlands am stärksten

Zauberland nennen die Juister ihre Insel. Zu Beginn des Jahres liegt die „schönste Sandbank der Welt“ im Winterschlaf. Das ist die perfekte Zeit für Urlauber, die Entspannung ohne jeden Rummel suchen.
Die Nordsee-Insel Juist im Wainter: ein Wanderer am Strand Die Nordsee-Insel Juist im Wainter: ein Wanderer am Strand
Juist, ein Wintermärchen: ein einsamer Wanderer am Schneeweißchen-Strand
Quelle: Maike Grunwald

Zuerst höre ich das „Aau-Aau“ der Möwen, im Chor mit dem sanften „Dud-duud-dud“ der Ringeltauben. Dann das Gequatsche der Spatzen, die sich am Futterhäuschen sammeln, unter dem der prächtige Fasan jeden Morgen auf herabfallende Körnchen wartet. Das „Gäck-gäck“ der Nonnengänse aus der Arktis, die hier überwintern.

In das Vogelkonzert mischen sich Verkehrsgeräusche, doch selbst die sind idyllisch: Es ist Hufgeklapper – Rösser sind die einzigen Pferdestärken, die auf der autofreien Nordseeinsel Juist zugelassen sind. Sogar die Müllabfuhr arbeitet mit Kutschgespann.

Es gibt wohl keinen besseren Ort, um langsam in den Tag zu tauchen als das Töwerland, wie die Juister ihre Heimat nennen – das heißt „Zauberland“ auf Plattdeutsch. Jetzt im Winter ist seine Magie am stärksten. Es ist die beste Zeit, um Kraft zu tanken, die Natur zu erleben, zu sich zu kommen, Pläne zu überdenken oder sich einfach nur vom Festtagsrummel zu erholen.

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Danach sehnen sich viele. „Winterurlaub an der Nordsee ist ein Trend“, bestätigt Tourismusexperte Stefan Küblböck, Professor an der Hochschule Ostfalia. „Die Gäste suchen Romantik, Wellness, Cocooning. Vorreiter wie Sylt haben dafür spezielle Angebote.“

Im Zickzackkurs sucht sich die Fähre ihren Weg

Auf Juist, im Sommer ausgebucht, setzt man bewusst darauf, die Ruhe zu bewahren. „Nebensaison“ heißt die Phase vom 7. Januar bis Anfang März unter hiesigen Touristikern, ich nenne sie „Winterschlaf“. Viele Restaurants und Unterkünfte machen Pause, sogar das schicke Strandhotel im Kurhaus. Die Insulaner nutzen die Wochen, in denen nur wenige Gäste hier rauskommen, als Atempause – für Renovierungen, den Jahresurlaub der Mitarbeiter oder dazu, selbst einmal wegzufahren.

Auch das Kino macht Ferien in Juist, genau wie das TöwerVital, das Meerwasser-Erlebnisbad mit Panorama-Saunalandschaft. Die Tafel am Strandzugang, auf der sonst Veranstaltungen angeschlagen sind, ist leer – bis auf die Smileys. Jemand hat sie aus den Magneten arrangiert, die bis Saisonstart keine Zettel halten müssen. In der Winterschlafzeit braucht man auch keinen Gästebeitrag zu zahlen, die örtliche Kurtaxe – obwohl die Bedingungen für eine Erholungskur gerade dann ideal sind.

Nordseeinsel Juist: Die Fähre versucht sich als Eisbrecher
Die Fähre versucht sich als Eisbrecher
Quelle: Maike Grunwald

„Die schönste Sandbank der Welt“, wie Fans das 17 Kilometer lange, 500 Meter breite Eiland nennen, ist eine Welt für sich. Sie liegt zwischen Norderney und der Vogelschutzinsel Memmert, deren Betreten verboten ist, rund zehn Kilometer vor Ostfrieslands Küste.

Die Überfahrt von Norddeich-Mole dauert aber 75 Minuten oder länger: Im Zickzackkurs sucht sich die Fähre ihren Weg, der mit ins Watt gesteckten Birkenstämmen markiert ist. Nur dort ist das Wasser tief genug, und das auch nur bei Flut. Das Schiff verkehrt tideabhängig, ein-, höchstens zweimal am Tag. Tagestouristen gibt es daher nicht, man bleibt unter sich, die Juister und ihre Urlaubsgäste, die für diese Zeit selbst zu Insulanern werden.

Blick von der Aussichtsdüne auf das Wasser

Auf dieser Insel landet keiner aus Versehen, 70 Prozent der Urlauber sind Stammgäste. Sie kommen wegen der Natur, die auf der autofreien Insel dreifach wirkt. Zur einen Seite tobt die Nordsee, zur anderen liegt das Wattenmeer, Unesco-Weltnaturerbe. Und in der Mitte ruht der Hammersee, der größte Süßwassersee auf einer Nordseeinsel, ein Magnet für seltene Vögel.

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Von der Aussichtsdüne „Dree Water Utkiek“ blickt man auf alle drei Wasser. Wer trotzdem digitalen Stress befürchtet, gibt sein Smartphone für die Dauer des Urlaubs bei der Kurverwaltung ab.

Ich bin schon recht entschleunigt hier angekommen. Aus dem Ort Norden, südlich von hier. In der schmucken Küstenstadt, wo die Fähren ablegen, habe ich für einige Tage den Weg zum Ziel gemacht. Die Reise von Berlin nach Ostfriesland ist weit, und die Flut, die mich auf die Insel tragen sollte, kam an jenem Wintertag früh.

Die Pension, zu der meine Ferienwohnung gehört, heißt wie ich. Es ist Inselsitte, Häuser nach der ältesten Tochter zu taufen, und so stehen die Chancen für Frauen hier nicht schlecht, sich täglich selbst zu finden. Bisher war es mir noch nie gelungen, im beliebten „Haus Maike“ eine freie Unterkunft zu ergattern. Auch das ist ein Vorteil der Winterzeit.

Schnee dämpft den Hufschlag der Pferde

Eine Kanne Ostfriesentee später bin ich bereit für das erste Extremabenteuer des Tages: einen Strandspaziergang. Der Wind hat gedreht und kommt seit Tagen von Osten. „Russenpeitsche“ sagen die Berliner dazu. Hier draußen auf der Sandbank in der Nordsee ist er noch viel eisiger. Ich trage, Skiwäsche eingerechnet, vier Hosen übereinander, vier Lagen Oberbekleidung plus Wintermantel, eine Windjacke, Mütze und Schals unter der Kapuze.

So kann man sich entspannt in den Wind legen – und zwar buchstäblich, ohne umzufallen. Mir gefällt das. Seit ich so eremitenhaft in meiner Ferienwohnung auf der Insel hause und vorwiegend mit mir selbst rede, finde ich täglich mehr zu meinem wahren, ungeschminkten Wesen.

Auf der Nordseeinsel Juist fahren keine Autos
Hufgeklapper: Dieses Taxi fährt mit zwei PS
Quelle: Maike Grunwald

Heute morgen hält mich der Ostwind besonders stark in seinen Armen. Im Ort geht es ruhig zu. Schnee dämpft den Hufschlag der Pferde, die im Winter deutlich mehr Lasten als Gäste ziehen. Die Dünen glitzern weiß gepudert in der Sonne. Unten am breiten Strand aber hat der tosende Wind Räumdienst gespielt. Sand fliegt in Schlieren, ein changierender Boden, schwindelerregend, als gehe man auf Wolkenschleiern.

Kein Mensch ist zu sehen am 17 Kilometer langen Strand, einer der längsten der Nordsee. An lange Wanderungen ist derzeit aber nicht zu denken, vorausgesetzt, man möchte jemals zurück. Denn der Wind bestimmt die Richtung. Als ich mich ihm zuwende, reißt er mir den Atem fort und einen Schrei der Überraschung von den Lippen.

Die Nordsee ist zum Polarmeer geworden

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Ich drehe ihm den Rücken zu, lehne mich an und laufe seitlich wie ein Krebs hinunter zur Nordsee. Sie ist zum Polarmeer geworden. Eisschollen haben sich am Spülsaum aufgetürmt. Dahinter funkelt die See, blau wie der Winterhimmel. Der Anblick ist atemberaubend.

Vorsichtig nähere ich mich über knirschendes Eis, springe über fließende Priele. Trupps von Sanderlingen tippeln über weiß gefrorene Wellenmuster im Sand, suchen nach Futter. Die winzigen Watvögel sind Wintergäste, Überlebenskünstler aus der Arktis.

Juist: Im Wattenmeer an der Nordseeküste tauchen Sanderlinge vor allem im Winterhalbjahr auf
Im Wattenmeer an der Nordseeküste tauchen Sanderlinge vor allem im Winterhalbjahr auf
Quelle: UIG via Getty Images/Arterra

Mich aber treibt es trotz Expeditionskleidung bald zurück ins Warme. Im verschneiten Januspark lockt das „Lütje Teehuus“, zum Glück hat es geöffnet. Die halbe Insel scheint ähnlich zu denken, überraschend viele Tische sind besetzt. Teelichter leuchten in Stövchen, leiser Klönschnack mischt sich mit dem Duft nach den frisch gebackenen Waffeln, für die das Haus bekannt ist. Nach einer Dosis geselliger Wärme zieht es mich wieder raus in die Winterfrische.

Wenn Juist von der Außenwelt abgeschnitten ist

Der Cocktail aus jodhaltiger, salzig-kalter Seeluft, kandisgesättigtem Ostfriesentee, viel Bewegung und tiefem Nachtschlaf ist das reinste Dopingmittel, man fühlt sich wach und gleichzeitig erholt. Hoffentlich wird Juist vom Festland abgeschnitten, denke ich, dann muss ich länger bleiben – egal, welche Pflichten an Land rufen.

Es kann tatsächlich vorkommen, dass anhaltender Ostwind das Wasser aus dem Wattenmeer drückt und der Hafen vereist, dann wird der Fährverkehr eingestellt. Zwar verkehren auch kleine Propellerflugzeuge, doch bei widrigem Wetter fliegen sie nicht. Es geschieht aber nur selten, dass Juist abgeschnitten ist von der Außenwelt, und noch gilt die offizielle Ansage, dass mit keinen Einschränkungen zu rechnen sei.

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Zum Urlaub zieht es die meisten Menschen in die Sonne. Es gibt aber auch Reisende, die nasskaltes Schmuddelwetter bevorzugen. Tourismusforscher erklären, was hinter dem Reisetrend steckt.

Quelle: WELT/Thomas Vedder

„Geh besser noch mal Lebensmittel kaufen. Wenn die Fähre länger nicht kommt, schmilzt die Auswahl“, meint hingegen Astrid Anbu Witschorke. Für die Juisterin besteht kein Zweifel, dass die Insel einfrieren wird. Die Elementarwesen hätten es vorhergesagt, sagt sie, Elfen, Feen und andere Naturgeister.

An jedem anderen Ort hätte ich den Kopf geschüttelt. Aber wir sind im Zauberland. Brav befolge ich den Rat. Dabei neige ich zu Aversion, wenn etwas nach Esoterik riecht. Doch die Autorin der Buches „Wir bitten euch Menschen um Frieden“ ist so besonders wie die Insel. Mit ihren Spaziergängen „Juister Kraftplätze“ will sie Gästen einen liebevollen Umgang mit der Natur vermitteln, mitsamt ihren Wesen, einschließlich der Menschen.

Das langsame Gehen, mit Innehalten an Bäumen und anderen Pflanzen, hat etwas märchenhaft Meditatives. Wer sich darauf einlässt, fühlt sich entspannt, gestärkt – und hat vielleicht sogar Zwerge gesehen, zumindest vor dem inneren Auge.

Eine Art Elementarwesen ist auch Heino Behring, Wattführer aus Leidenschaft. Auf seiner Website posiert er als Neptun zwischen Eisschollen. Er darf das: Auf der Insel geboren, hat er, wie vor ihm sein Vater, sein Leben dem Meer gewidmet. Sogar geheiratet hat er im Watt. Mehr als 70 Jahre Expertise, gepaart mit einer Liebe zur Natur, die mitreißt wie die Flut, die man bei seinen Exkursionen miterleben kann.

Ein paar Tage mehr im Zauberland

Seine legendären Wattwanderungen macht Behring rund ums Jahr. Heute hat sich eine Kur-Gruppe angemeldet – der Heileffekt der Seeluft ist im Winter durch das aufgewühlte Meer noch stärker. Ich schließe mich dem vermummten Trupp an. „Stellt euch dicht zusammen, jeder schützt jeden!“, brüllt der Wattführer gegen den eisigen Ostwind.

Wie arktische Watvögel in Gummistiefeln wandern wir dann über schimmernde Eisfelder bis hinaus zu Behrings Stolz: eine Austernbank, gewachsen auf einem Matratzenrahmen, den er vor zehn Jahren dafür hier verankert hat. Unterwegs erfahren wir Spannendes über das Wattenmeer, von Würmern, die bei Kälte tiefer liegen als bei wärmerer Witterung, von Vögeln in Naturdaunen und Muscheln, die eigenes Frostschutzmittel produzieren.

Auch Behring sagt, dass die Schiffe nicht mehr lange fahren. Am Vortag meiner geplanten Abreise sehe ich der Fähre beim Versuch zu, abzulegen. Mehr als eine halbe Stunde kämpft der Kapitän, erst im Rückwärtsgang gelingt es ihm, durchs Eis zu brechen. Es folgt die erhoffte Nachricht: Der Schiffsverkehr wird eingestellt! Ich freue mich auf ein paar Tage mehr im Zauberland – und als ich später wieder zum Polarstrand gehe, ist es mir, als ob ich Nixen sehe.

Quelle: Infografik WELT

Tipps und Informationen

Anreise: Mit dem Zug oder Auto bis nach Norden-Norddeich Mole, von dort weiter mit der Fähre (reederei-frisia.de). Bei weiter Anreise ist ein Zwischenaufenthalt in Norden schön. Im „Romantik Hotel Reichshof“ (reichshof-norden.de) können Gäste während des Inselaufenthalts ihr Auto parken.

Unterkunft: Für Selbstversorger empfiehlt sich das „Haus Maike“ mit hübschen Ferienwohnungen, gratis Leihrädern, Garten mit Wintervogelhaus, Apartment mit Küche ab 58 Euro/Nacht (haus-maike.de). Das „Romantik und Wellness Hotel Achterdiek“, gerade ausgezeichnet mit dem HolidayCheck Award, bietet Vier-Sterne-Superieur-Komfort mit großzügiger Bade- und Saunalandschaft, Spa und Slow-Food-Restaurant, Doppelzimmer mit Frühstück ab 182 Euro (hotel-achterdiek.de).

Natur erleben: Wattwanderungen mit Flutbeobachtung macht Heino Behring ganzjährig, Termine und individuelle Anfragen unter heino-juist.de; Inselspaziergänge „Juister Kraftplätze“ bietet Astrid Anbu Witschorke im Winter nach Möglichkeit auf Anfrage an, aus-liebe-zur-natur.de.

Auskunft: juist.de, die-nordsee.de

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von der Kurverwaltung Juist und Die Nordsee GmbH. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter axelspringer.de/unabhaengigkeit.

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