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Ausland Keir Starmers

Ruanda-Gesetz, Ukraine-Kurs, EU-Rückkehr – Das ist der Kurs des britischen Wahlfavoriten

Korrespondentin in London
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Labour-Chef Keir Starmer empfängt den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in London
Quelle: picture alliance/empics/Stefan Rousseau
Der oppositionellen Labour-Partei wird ein Erdrutschsieg gegen die regierenden Konservativen vorausgesagt. Ihr Vorsitzender Keir Starmers könnte die britische Politik auf den Kopf stellen und hat große außenpolitische Ambitionen. Auf manchen Gebieten will er fundamentale Kurswechsel einleiten.
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Eine symbolträchtigere Momentaufnahme hätte es kaum geben können. Anfang Juni trafen sich die westlichen Regierungschefs in der französischen Normandie zum Gedenken an den D-Day vor 80 Jahren. Ein Regierungschef glänzte jedoch durch Abwesenheit: Der britische Premierminister Rishi Sunak verließ die Gedenkfeier vorzeitig, um in Großbritannien Wahlkampf zu betreiben. Keir Starmer, Chef der oppositionellen Labour-Partei, blieb dagegen bis zum Schluss und nutzte die Gelegenheit, sich mit Spitzenpolitikern wie dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ablichten zu lassen.

Die unterschiedliche Bedeutung, die die beiden britischen Chef-Politiker der Außenpolitik ihres Landes beimessen, wurde damit eindrucksvoll demonstriert. Während Starmer nicht müde wird zu betonen, dass Großbritannien unter seiner Führung „eine größere Rolle auf der Weltbühne“ spielen soll, widmet sich der Konservative Sunak lieber der Innenpolitik.

Die Gelegenheit für Starmer, außenpolitische Akzente zu setzen, könnte sich schon bald bieten. Am 4. Juli finden in Großbritannien Unterhauswahlen statt, die Sozialdemokraten liegen in den Umfragen weit vorn, einige Experten sagen ihnen eine absolute Mehrheit voraus. Aus dieser gestärkten Position heraus dürfte Starmer – trotz Brexit – schon bald versuchen, die europäische Politik in Sachen Migration und Ukraine maßgeblich mitzugestalten. Bereits Anfang Juli wird er auf dem Nato-Gipfel in Washington und beim Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPC) in London darlegen können, wie er sich die Zukunft Europas vorstellt.

Angesichts der wachsenden Bedrohung durch Russland, dessen Staatschef Wladimir Putin weiter Krieg gegen die Ukraine führt und Expansionsfantasien in Richtung Westen hegt, wird in Europa derzeit darüber diskutiert, wie die eigene Sicherheitsarchitektur gestärkt werden kann. Für Nervosität sorgt auch der US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump, der angedeutet hat, im Falle seiner Wiederwahl die Nato-Staaten im Ernstfall nicht verteidigen zu wollen. Labour könnte hier Antworten liefern.

Denn Großbritannien verfügt nicht nur über eine der stärksten Armeen Europas, sondern ist nach Angaben des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel) mit 8,8 Milliarden Euro Militärhilfe auch der zweitgrößte europäische Unterstützer der Ukraine nach Deutschland (10,2 Milliarden Euro). An der „Entschlossenheit Großbritanniens, der Ukraine beizustehen“, werde sich auch unter einer Labour-Regierung „nichts ändern“, erklärte der für das Amt des Verteidigungsministers vorgesehene Abgeordnete John Healey.

Keir Starmer (61 Jahre)
Keir Starmer (61 Jahre)
Quelle: REUTERS

Auch bei der nuklearen Abschreckung könnte London an sicherheitspolitischer Bedeutung auf dem Kontinent gewinnen. Neben Frankreich ist Großbritannien der einzige europäische Staat mit eigenen Atomwaffen. Anders als sein Vorgänger Jeremy Corbyn bekennt er sich zur Nato-Mitgliedschaft und zum britischen Atomprogramm „Trident“.

Vorantreiben wollen die Sozialdemokraten auch die Sicherheitszusammenarbeit mit der EU. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang Februar erklärte Starmer laut der Plattform „Policy Mogul“, Großbritannien und die EU sähen sich den gleichen Bedrohungen gegenüber, etwa der zunehmenden Aggression Russlands, der Instabilität im Nahen Osten, der Klimakrise und der globalen Gesundheitskrise. Abhilfe soll ein „europäisch-britischer Sicherheitspakt“ schaffen, der eine engere operative Zusammenarbeit der Streitkräfte und eine Kooperation bei der Rüstungsproduktion vorsieht.

Im Nahost-Konflikt dürfte Starmer sich von Sunak absetzen. Einerseits ist die Partei unter seiner Führung bemüht, sich von einem parteiinternen Antisemitismusskandal um Vorgänger Jeremy Corbyn zu distanzieren und sich proisraelisch zu geben. Andererseits verprellt sie damit angesichts der steigenden Opferzahlen in Gaza zunehmend britische Muslime und bringt die propalästinensische Parteibasis gegen sich auf.

Eine Entwicklung, die im Vorfeld der Wahlen für innerparteiliche Nervosität sorgt und auf den außenpolitischen Kurs der Partei in der Gaza-Frage abfärbt. Deutlich klarer war die Marschrichtung zu Beginn des Konflikts. Nach dem Massaker vom 7. Oktober bekannte sich die Partei zur Loyalität gegenüber Israel und zum Recht auf Selbstverteidigung.

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Im Februar hatte Labour ihre Position jedoch – nicht zuletzt auf Betreiben der britischen Muslime – zugunsten eines „sofortigen Waffenstillstands“ geändert – eine Wende, die angesichts der zunehmenden Eskalation im Gaza-Streifen allerdings auch in vielen westlichen Ländern vollzogen wird. Im Falle eines Wahlsieges, so versprach Wahlkampfkoordinator Pat McFadden, werde die Partei dem Wohlergehen der palästinensischen Bevölkerung „hohe außenpolitische Priorität“ einräumen.

In Brüssel blicken Politiker mit vorsichtigem Optimismus auf den wahrscheinlichen Einzug Starmers in die Downing Street. Während die Beziehungen zwischen der EU und London nach dem Brexit unter der konservativen Regierung bestenfalls neutral waren, ist unter Labour mit einer Annäherung zu rechnen. Der Labour-Chef und seine Partei sind EU-freundlich, Starmer stimmte 2016 gegen den Brexit und setzte sich später für ein zweites Referendum ein.

„Pragmatische Beziehungen“ zur EU

Einen Wiedereintritt in die EU, eine Rückkehr in den Binnenmarkt oder die Zollunion steht nicht zur Debatte. Stattdessen strebt Labour eine „pragmatische Beziehung“ zur EU an, wie der wohl nächste Außenminister David Lammy erklärte. So wünschen sich die Sozialdemokraten neue Abkommen mit der EU, die den Handel zwischen den Bündnisstaaten und Großbritannien erleichtern und so die desolate Wirtschaft ankurbeln sollen. „Labour will eine möglichst enge Beziehung zur EU, aber ohne Freizügigkeit“, erklärt Bronwen Maddox gegenüber WELT. Die Leiterin der britischen Denkfabrik Chatham House bezweifelt, dass das in Brüssel gut ankommt.

„Brüssel reagiert empfindlich auf Länder, die vom Binnenmarkt profitieren möchten, aber seine Regeln ablehnen. Frankreich und Deutschland sind derzeit zudem so sehr mit internen Angelegenheiten beschäftigt, dass es der britischen Regierung schwerfallen wird, Aufmerksamkeit auf ihre Pläne zu lenken.“

Dass Starmer jedenfalls zu Zugeständnissen bereit ist, zeigt sich in der Migrationspolitik. Da das Dublin-Abkommen, das die Rückführung von Migranten ermöglicht, seit dem Brexit nicht mehr für Großbritannien gilt, steht die Insel beim Umgang mit illegalen Einwanderern alleine da. Die EU weigert sich bislang, die Migranten, die vor allem über Frankreich in Booten nach England kommen, zurückzunehmen. Im vergangenen Jahr brachte Starmer deshalb die Idee eines „Quid pro Quo“-Migrationsabkommens mit Brüssel ins Spiel, wonach illegale Einwanderer, die sich in Großbritannien aufhalten, in die EU zurückgeschickt werden können und London im Gegenzug Migranten mit Bleiberecht aufnimmt.

Außerdem möchte er enger mit der EU-Strafverfolgungsbehörde Europol zusammenarbeiten, um kriminellen Schlepperbanden das Handwerk zu legen. Das Ruanda-Gesetz der Konservativen, das die Abschiebung illegaler Migranten in das ostafrikanische Land vorsieht und inzwischen auch in der EU auf Zustimmung stößt, will er aufheben. Der Labour-Chef steht in puncto Einwanderung im Wettlauf mit der Zeit. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit wird er mit einem unrühmlichen Erbe der Vorgängerregierung konfrontiert sein. In den ersten sechs Monaten des Jahres kamen über 11.000 Menschen über den Ärmelkanal nach England, ein neuer Rekord.

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