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PS WELT Verleih privater Fahrzeuge

Turo ist das Airbnb für Autos

Verleiht auch sein bestes Stück: Andre Haddad vor seinem Porsche 911. Der CEO von Turo steht allerdings im Alltag auf elektrisches Fahren Verleiht auch sein bestes Stück: Andre Haddad vor seinem Porsche 911. Der CEO von Turo steht allerdings im Alltag auf elektrisches Fahren
Verleiht auch sein bestes Stück: Andre Haddad vor seinem Porsche 911. Der CEO von Turo steht allerdings im Alltag auf elektrisches Fahren
Quelle: privat
95 Prozent des Tages stehen Autos nur herum. Wie man in dieser Zeit Geld verdient, zeigt der US-Anbieter Turo jetzt auch in Deutschland. CEO Andre Haddad verleiht sogar seine Supersportwagen.

Seine Lieblinge erscheinen sämtlich im Sonntagsstaat. Die Rede ist nicht von den eigenen drei Kindern, sondern von seinen herausgeputzten Autos. Andre Haddad hat sie extra von professionellen Fotografen in Szene setzen lassen: mehrere Tesla, Porsche 911, Audi R8. Fünf Autos – oder sollte man besser sagen: Raketen – mit insgesamt mehr als 2000 PS. Doch weniger Eitelkeit oder Kraftmeierei haben den CEO von Turo zu dem Shooting bewogen, sondern reines Geschäftsinteresse: Besser fotografierte Fahrzeuge lassen sich schlicht besser verleihen.

Verleihen? Fahrzeuge, die 100.000 Euro und mehr kosten, können von privat geliehen werden? Haddad grinst: „Wenn ich damit etwas verdienen kann, dann habe ich auch nicht mehr so ein schlechtes Gewissen, dass ich so viel Geld für Autos ausgebe“, sagt der gebürtige Libanese.

Denn darauf basiert die Idee von Turo: Wenn die meisten Fahrzeuge ohnehin 95 Prozent der Zeit nur herumstehen, warum soll man sie dann in dieser Zeit nicht verleihen und damit Geld verdienen? Es ist quasi die Anwendung von Airbnb auf Autos, nur dass es sich bei dieser Privatvermietung per Web und Apps nicht um das immobile, sondern das mobile Geschäft handelt.

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Es ist nicht die erste Idee, mit der Haddad auf dem internationalen Digitalmarkt reüssiert. Bereits Ende der 1990er-Jahre gelang ihm in Paris, wohin er aus dem Libanon geflohen war, mit der Gründung von iBazar die Initiierung eines der führenden europäischen Marktplätze im Internet. 2001 wurde iBazar für 140 Millionen US-Dollar von Ebay gekauft und Haddad arbeitete bei dem Internet-Auktionshaus eine Zeit lang als Senior Vice President, bevor er CEO beim Portal shopping.com wurde.

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Auch dieses war 2005 von Ebay erworben worden. Für 600 Millionen US-Dollar. Man darf ruhig davon ausgehen, dass jemand wie Haddad weiß, wie Consumer-Web und Big Data gewinnbringend miteinander verschmolzen werden. Wenn so jemand ein Airbnb für Autos pusht, sollte man genau hinsehen, ob sich dort nicht gerade eine Disruption des Mobilmarktes in größerem Maße anbahnt.

Er selbst erklärt seinen Hang zum Gründer- und Unternehmertum mit seiner eigenen Lebensgeschichte. „Wenn Menschen aus einem Land fliehen, heißt das zunächst einmal nur, dass sie die Umstände, so wie sie sind, nicht mehr hinnehmen wollen“, sagt Haddad bei einem Besuch in Berlin, während er an dem regenbogenfarbenen Armband seiner Apple-Watch spielt.

Verführt die minutengenaue Abrechnung zum Rasen?

Unfallforscher schlagen Alarm. Verführt Carsharing zum Rasen? – „Immer da wo Zeitdruck im Hintergrund ist, wird man natürlich verleitet, möglichst viel in dieser Zeit zu schaffen“, sagt Siegfried Brockmann von der Deutschen Versicherungswirtschaft.

Quelle: N24/ Christoph Hipp

Apple-Gründer Steve Jobs, der Sohn eines syrischen Immigranten, sei von so einem Hintergrund ebenso beeinflusst gewesen wie Amazon-Chef Jeff Bezos, der von seinem aus Kuba stammenden Stiefvater aufgezogen wurde. „Manche mit Migrationshintergrund wollen aber nicht nur ihre Lebensumstände ändern, sondern etwas schaffen, was die Welt tatsächlich auch besser macht.“

Das klingt sehr nach dem uramerikanischen Mantra und ist es auch. Haddad zog vor eineinhalb Jahrzehnten in die USA, wohnt dort seither mit seinem Mann und seinen drei von Leihmüttern geborenen Kindern in San Francisco. Und verdient jetzt Geld unter anderem mit dem Verleih seiner Autos. 2018 hat er bislang 30.000 US-Dollar gemacht. Nun gut, nicht jeder nennt mehrere Tesla oder gar Porsche sein eigen.

Aber dennoch: „In den USA verdienen die ‚hosts‘, die Verleiher, im Schnitt pro Trip 170 US-Dollar, hierzulande sind es pro Buchung aktuell 152 Euro“, sagt Marcus Riecke, Geschäftsführer von Turo in Deutschland. Rund 1500 private Verleiher sind es, die aktuell bei Turo ihre Fahrzeuge einstellen – die meisten davon in München, Frankfurt und Berlin – und mehr als 50.000, die sich hierzulande als Nutzer registriert haben. Weltweit waren es Ende Juli knapp 300.000 Fahrzeuge, die über Turo zur Miete angeboten wurden.

Ein Lamborghini Huracán für 524 Euro am Tag

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Den „hosts“ gibt der Anbieter Empfehlungen, was einer für sein Fahrzeug nehmen könnte. Doch es bleibt dem Verleiher vorbehalten, was er tatsächlich dafür nimmt. Die Preise schwanken extrem. Ein Pontiac Bonneville von 1967 wird in München für 111 Euro am Tag angeboten, ein VW Up von 2012 ist dort schon für 22 Euro zu haben. In Berlin gibt es eine auf Gasbetrieb umgerüstete Mercedes S-Klasse von 2009 schon für 60 Euro, während ein Ford Mustang GT mit 441 PS mit 129 Euro zu Buche schlägt. Gewerbliche Anbieter bieten ebenfalls über Turo an, einer ruft für seinen Lamborghini Huracán (610 PS, Vmax 325 km/h) 524 Euro am Tag auf.

Jedes Fahrzeug ist über einen großen deutschen Versicherer mit 100 Millionen Euro versichert, was den Hauptteil der Kosten für Turo ausmacht. Andererseits würde wohl kaum jemand sein Auto – der Listenpreis des genannten Lambos beträgt 178.500 Euro – freiwillig hergeben, wenn er bei einem etwaigen Unfall auf den Kosten sitzen bleiben oder seine eigene Versicherung in die Höhe schnellen würde.

Dass es auch hierzulande genug Platz auf dem Markt für Turo geben könnte, ist wenig fraglich. Nach wir vor ist das zahlenmäßige Angebot der Carsharing-Anbieter einigermaßen überschaubar. DriveNow, das mit BMW und Mini bestückt ist, begann 2011 in München mit einer Flotte von 300 Fahrzeugen und hatte im Juli 2018, also sieben Jahre später, 3370 Fahrzeuge. Car2Go, das Carsharing-Modell von Daimler mit Autos der Tochtermarke Smart, zählte in diesem Sommer 3910 Fahrzeuge

Andre Haddad mit seinem Tesla, den er auch über Turo anbietet. Die Mini-Version teilen seine Kinder allerdings nur unter einander
Andre Haddad mit seinem Tesla, den er auch über Turo anbietet. Die Mini-Version teilen seine Kinder allerdings nur unter einander

Selbst wenn beide Marken zum größten Carsharing-Anbieter in Deutschland – wie geplant – verschmelzen, dürfte man sich mit Turo kaum ins Gehege kommen. Ohnehin werden DriveNow, Flinkster & Co. eher für zeitlich wie räumlich kurze Strecken in Großstädten und Ballungsräumen herangezogen.

„Natürlich wird es für verschiedenste Anwendungsfälle unterschiedliche Anbieter geben“, schätzt Sebastian Hofelich, Geschäftsführer von DriveNow, die Entwicklung des Marktes gegenüber WELT ein. „Wir positionieren uns als Freefloating-Anbieter (ohne feste Stationen; d.Red.) grundsätzlich eher im urbanen Umfeld und werden hauptsächlich für kürzere Strecken herangezogen. Turo und andere Anbieter werden sicherlich im Schnitt eher längere Mietdauern aufweisen.“

In Deutschland werden die Fahrzeuge über Turo rund drei Tage gebucht, in den Staaten sind es dreieinhalb. Bei DriveNow hingegen beträgt die durchschnittliche Mietdauer hierzulande zwischen 20 und 40 Minuten. Doch entscheidend für Hofelich ist am Ende, „dass den Bürgern ein Gesamtangebot zur Verfügung steht, das ihnen ermöglicht, ohne Komfortverlust auf das eigene Auto verzichten zu können“.

Ein Ansinnen, das Haddad ebenfalls am Herzen liegt. Er selbst besitzt heute deutlich mehr Autos, als er braucht. Das sieht er selbst so. Als 2010 die Anzahl der Fahrzeuge auf der Erde die Milliardengrenze überschritt und Gründer Shelby Clark Turo unter dem damaligen Namen RelayRides in Boston startete, begeisterte sich Haddad sofort für die Idee und stieg selbst bei RelayRides ein. Der Kerngedanke ist trotz des Namenswechsels bis heute der gleiche geblieben: „Wie können wir Autos so einsetzen, dass beide Seiten etwas davon haben: die Menschen wie die Umwelt?“

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Sympathisch an dieser Art des Carsharings mag dabei für viele der moralinfreie, undogmatische Ansatz sein. Angeboten wie gefahren werden darf alles, was Spaß macht. Wer die Autos auf Turo durchforstet, wird dennoch überrascht sein, wie viele Elektrofahrzeuge dort zu finden sind. Ob einen Tesla Model X (228 Euro/Tag), BMW i3 (49 Euro) oder den Nissan E-NV200 (45 Euro): Offenbar begeistern sich nicht nur die Halter an ihren E-Mobilen, sondern teilen auch gern ihre Begeisterung.

Andererseits schafft eine Plattform wie Turo die Möglichkeit, einen neuen Antrieb wie den E-Motor über einen längeren Zeitraum zu testen. „Da ich bei Tesla oft zu den ersten Käufern gezählt habe, waren sie bei Turo in den ersten Monaten immer ausgebucht“, erinnert sich Andre Haddad. Damit er sein aktuelles Lieblingsauto, einen Tesla Model 3, überhaupt mal zu Gesicht bekommt, hat er sich nun eine zweite Version angeschafft: eine Mini-Ausgabe für seine Kinder.

Mitarbeit: Michael Volber

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