Lili und Natalie zuzeln eine Weißwurst. Irgendwie kriegen sie es beide nicht so richtig gut hin, obwohl Lili Münchnerin ist und es der aus Düsseldorf zugezogenen Natalie zeigen will. Aber wahrscheinlich liegt das auch daran, dass beide kaum zuzeln vor Lachen, denn so eine Weißwurst, hihi, sieht die nicht aus wie ein Penis? Und dann muss man da vorn auch noch ein Loch in die Wurst-hihi-haut beißen und das dann in den Mund nehmen!
Es geht gefühlt unendliche Minuten so, in RTLs neuer Reality-Show „The Real Housewives of Munich“. Die Namensähnlichkeit zu den US-Erfolgen („The Real Housewives of Orange County“ über New York bis Beverly Hills) ist nicht zufällig – gleichzeitig mit den Lizenzen, ab sofort einige Staffeln der „Real Housewives of Beverly Hills“ und der von New York auf der Streamingplattform RTL+ zeigen zu dürfen, startet der Sender eben auch sein eigenes Format.
Und das darf man nicht per se belächeln: Reiche Frauen, seien sie nun Hausfrauen, irgendeine Art Unternehmerin, Erbin oder Ehefrau, in ihrem Alltag zu begleiten, Einblicke in ihre oft absurden, manchmal skurrilen, teils beneidenswerten, aber oft gar nicht so unanstrengenden Leben zu bekommen, kann sehr unterhaltsam sein. Wenn es gekonnt inszeniert wird, wenn die Protagonistinnen sich zu einem gewissen Grad öffnen, wenn das Storytelling gut ist, Dynamiken zwischen den Frauen entstehen und Narrative etabliert werden.
All das funktioniert in den USA seit 2006 (!), all das funktioniert auf RTL+ bisher nicht.
Die Münchner Frauen bringen, wahrscheinlich, grundsätzlich durchaus Geschichten mit, Facetten, Hintergründe – sie werden nur nicht gezeigt. Etwa die zuzelnde Lili: Sie war jahrelang erfolgreich als Unternehmensberaterin, heiratete den ehemaligen Dressurreiter Tobias Wilmes, gab ihren Beruf auf, um sich um die gemeinsame Tochter zu kümmern. Die ist nun fünf, man sieht die beiden beim Kuchenbacken, Lili sagt: „Es ist toll, dass ich mich nicht stressen muss, sie pünktlich aus dem Kindergarten abzuholen.“ Aber der Rest bleibt vage: Sie managt „Familienprojekte“, heißt es bei RTL – was bedeutet das?
Fehlt ihr der Job, für den sie ja eine jahrelange Ausbildung absolvierte? Plant sie eine Rückkehr? Wie lebt sie? Wollte sie kein zweites Kind? Ja, nicht alle dieser Fragen sollte man einfach so jedem stellen – aber wer Protagonistinnen für ein solch eigentlich privates Format castet, sollte Frauen wählen, die darüber reden, die vielleicht stereotypisch für eine Geschichte stehen – aber die dann bitte auch erzählen. Und zeigen, wie sie wohnen. Gerade diese buchstäblichen Schlüssellochblicke machen Reality-Formate doch reizvoll – selbst beim „Perfekten Dinner“ gehört eine Haustour dazu. Lili sitzt meist vor einem weißen Vorhang an einem neutralen Tisch.
Bei den anderen Frauen ist es ähnlich, wenn auch im Detail anders: Einige haben offenbar eine Einwandergeschichte, doch es wird nie erklärt, wie und warum etwa Natalie, die andauernd erwähnt, dass sie Russin sei, nach Deutschland und zu ihrem Vermögen kam. Iranerin Pegah spricht offen über ihren Kinderwunsch, aber diese einigermaßen interessante Storyline wird mit absurden Exkursen rund um eine Wahrsagerin und eine Räucherstäbchen-Fruchtbarkeitsreinigiung ihres Hauses bagatellisiert.
Stattdessen wird die „Office Managerin“ ausführlich bei einer allzu inszenierten „Überraschung“ begleitet: Ihr Mann schenkt ihr einen neuen Porsche, ein Modell, groß genug für einen Kinderwagen: „Mein Liebster hat mir gestern einfach einen Porsche geschenkt!“, berichtet sie den anderen Frauen in St. Moritz.
Denn ja, wenn es um „reiche Leute“ geht, muss bei RTL immer irgendwas mit St. Moritz und Polo und Pelzen passieren, also stehen drei der Frauen beim Schneepolo im Engadin um einen Stehtisch herum, tragen und reden über Pelze, trinken Champagner. Und es sind genau diese Elemente, die einem wie am Konferenztisch in Köln skizziert („Was fällt euch ein, wenn ihr ‚reich‘ und ‚München‘ hört?) vorkommen: Champagner, aber bitte aus Bierkrügen, weil: München! Dinner mit Hummer, Catering von „Feinkost Käfer“, was kostet das Polo-Pferd?
Wie funktionieren Freundschaften in dieser Welt? Wie ihre Ehen? Wie erzieht man Kinder, wenn man zu viel Geld zum Ausgeben hat? Was brauchen und wollen diese Frauen wirklich, was sind nur Statussymbole? Neben den amerikanischen Original-Formaten gelingt es etwa auch „Selling Sunset“ auf Netflix, solche und ähnliche authentisch inszenierte Einblicke in das Leben von vermögenden Menschen zu geben und trotzdem Markenkleidung, teure Autos und Luxusimmobilien drumherum zu arrangieren. Bei den Münchner Hausfrauen geht es oft nur darum, dass eine Uhr teuer ist. Dass der Mercedes AMG toller ist als der Porsche. Gleichzeitig wissen vier von fünf „Ladys“ nicht, dass man zu einem privaten Abendessen ein Gastgeschenk mitbringt.
In den USA endete kürzlich die 13. Staffel der „Real Housewives of Beverly Hills“. Ob man es in München zu einer zweiten schafft? Übrigens: Der bayrische „Weißwurst-Botschafter“ Bertl Fritz nennt das Zuzeln der Weißwurst „nicht mehr zeitgemäß“, bei den heutigen Weißwürsten sei die Haut viel zu weich. Zuzeln sei heute nur noch „legendenbedingt“.
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